Die Europäische Zentralbank ist im Vergleich zu früher «untätig» geworden. Das müsse nicht unbedingt schlecht sein, findet IG-Bank-Analyst Andreas Ruhlmann

Von Andreas Ruhlmann, Marktanalyst bei der IG Bank

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat letzte Woche keinen Kurswechsel ihrer Geldpolitik angekündigt. Auch machte EZB-Präsident Mario Draghi (Bild oben) entgegen seiner Gewohnheit keine Angaben zu eventuellen Massnahmen in näherer Zukunft, und er verweigerte kategorisch jeden Kommentar zur weiteren Entwicklung des Programms zur Quantitativen Lockerung (Aktienkauf, Bankanleihen oder Helikoptergeld).

Trotz des Brexit-Risikos korrigierte der Chef der EZB die Wachstums- und Inflationsprognosen für die Jahre 2017 und 2018 nur ganz leicht nach unten. Insgesamt zeichnete Draghi ein positives Bild der Geldpolitik der EZB.

Tiefstand erreicht

Die Untätigkeit der EZB bewirkte einen Anstieg der Renditen europäischer Obligationen (fallende Obligationspreise), wodurch sich die Renditedifferenz zugunsten des Euro verschob.

Auch wenn sich die Prognosen der EZB angesichts der noch unbekannten Auswirkungen des Brexit und der ungewissen künftigen Lockerungsmassnahmen als zu optimistisch herausstellen dürften, könnte die Einheitswährung doch einen Tiefstand erreicht haben.

Leichte Hausse-Tendenz

Seit der Euro im März 2015 auf die Tiefststände gefallen war, setzte er seine Talfahrt nicht weiter fort – und das trotz der Ausweitung und Erhöhung der Quantitativen Lockerung und der Einführung negativer Zinssätze. Seitdem schwankt der Euro/Dollar-Kurs zwischen 1.08 und 1.15 mit einer leichten Hausse-Tendenz.

Durch die Negativzinssätze sinkt die Rentabilität der Banken. Da sie ihre Bilanzen bereits durch den Kapitalbedarf geschwächt sehen, geben sie nur widerwillig Kredite aus. Die Banken haben insbesondere ihre Darlehenstätigkeit im Ausland eingeschränkt, wo die Risikoprämie nicht mehr gerechtfertigt ist.

Viel zu pessimistisch

Dies stärkt die europäische Gemeinschaftswährung. Solange die Banken unter Druck stehen, werden die Liquiditätsspritzen die Realwirtschaft nur schwerlich erreichen. Deshalb sieht die EZB keinen Grund, die Zinssätze noch weiter zu senken.

Dennoch werden die Erwartungen einer weiteren Senkung der Zinssätze innerhalb des kommenden Jahres am Markt auf 70 Prozent eingeschätzt, was viel zu pessimistisch scheint.

Blick nach Japan

Japan erlebte eine ähnliche Situation: Es wurden Negativzinssätze eingeführt, und sechs Monate später hatte der Yen den höchsten Stand seit 2013 erreicht. Seitdem hat die japanische Notenbank ein wenig gegengesteuert und eine weitere Senkung der Zinssätze scheint heute unwahrscheinlicher was zu einer 30-prozentigen Kurserholung der japanischen Banken führte.

Für die Schweiz bedeuten diese Entwicklungen, dass die Zinssätze vermutlich einen Tiefstand erreicht haben. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird jedoch auch in Zukunft handlungsbereit bleiben, sollte es – wie beim Brexit – erneut zu einer volatilen Entwicklung gegenüber dem Franken kommen.

Der Wechselkurs Euro/Franken dürfte sich weiterhin um 1.10 bewegen und eine Hausse-Neigung aufweisen.