Ist die Flucht aus den Festverzinslichen die ultimative Herausforderung für Anleger? Giovanni Leonardo von Swiss & Global Asset Management gibt Entwarnung.

Von Giovanni Leonardo, Head of Multi Asset Class Solution von Swiss & Global Asset Management, Zürich

Jede Bewegung braucht einen Namen. Auch diese hat einen: Great Rotation – grosse Rotation. Der US-Bank Merrill Lynch haben wir es zu verdanken, dass das, was derzeit am Anleihenmarkt passiert, diesen Namen trägt. Ob das Geschehen am Ende wirklich diesen grossen Namen verdient, wird erst im Nachhinein bewertet werden können.

Zweifel sind nämlich durchaus angebracht. Denn derzeit passiert vor allem eines: Weil sich die Zinsen auf historischen Tiefstständen bewegen, schauen sich Anleihen-Anleger nach alternativen Lösungen für ihre Renten-Investments um.

Normales Phänomen statt «Great Rotation»

Aber ist das Umschichten wirklich eine «Great Rotation» – eine grosse Rotation von Anleihen in Aktien? Wir sprechen eher über ein normales Phänomen innerhalb eines Finanzierungszyklus. Das Umschichten von der einen in die andere Vermögensklasse hat es in der Vergangenheit immer schon gegeben und wird es wahrscheinlich auch immer geben.

Neu ist in der derzeitigen Situation vielleicht nur, dass es sich um ein weltweites, nahezu synchrones Geschehen handelt und dementsprechend viel Geld bewegt wird. Mit den Signalen der Erholung aus Europa und den USA ist es ein logischer Schritt für Investoren, sich aus dem geschützten Raum der Staatsanleihen in risikoreichere Anlagen zu bewegen. Das müssen im Übrigen nicht nur Aktien sein. Auch Rohstoffe, Private Equity oder Infrastruktur können Ziel der Umschichtung sein.

Relativ risikoarme Anlageklasse

Aber ein Aussterben der Anleihen muss niemand fürchten. Die Zinsen der festverzinslichen Wertpapiere sind am Boden angekommen, sie werden zwangsläufig die Richtung wieder ändern. Zudem bleiben festverzinsliche Wertpapiere eine vergleichsweise risikoarme Anlageklasse.

Die Investoren, die sich den strenger gewordenen Regularien wie Basel III oder Solvency II unterwerfen müssen, können sich schon regulierungsbedingt gar nicht in die risikoreicheren Anlagen wie Aktien bewegen.

Andere Anleger schrecken im Nachgang der Finanzkrise nach wie vor davor zurück ein grösseres Risiko einzugehen und bleiben, trotz magerer Renditen, erst einmal dort, wo sie sind. Anleihen bleiben damit ein Fundament der Finanzwirtschaft.

Es wird nicht zwangsläufig sofort vollständig aus der Asset-Klasse herausrotiert, sondern zunächst einmal die nächsten Stufen der Risikoleiter bei den Anleihen genommen. Das sind dann vielleicht Corporate Bonds oder High-Yield-Anleihen mit geringerer Bonität.

Immense Wucht

Eine schlagartige Flucht von Anleihen zu Aktien wird es also nicht geben und das ist auch richtig so. Denn angenommen, diese grosse Rotation würde quasi über Nacht eintreten, dann wäre die Wucht für das Weltfinanzsystem immens.

Es wäre sogar zu befürchten, dass die teils noch sehr vagen Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung wieder verschwinden würden. Die Zinsen der Anleihen würden schnell steigen und die Kapitalaufnahme über Anleiheemissionen für die Unternehmen teuer machen. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt ungünstig, denn günstiges Kapital ist das Schmiermittel der Wirtschaft. Mit dem Geld, was derzeit dank der Neuemissionen zu niedrigen Zinsen fliesst, können Unternehmen investieren.

Doch wahr ist auch: Die global agierenden Anleger arbeiten nicht für die Privatschatulle, es handelt sich um institutionelle Investoren, die gewisse Renditevorgaben und -erwartungen ihrer Kunden erreichen müssen. Das Problem aussitzen kann also keiner.

Gute Korrektur

Es ist sogar gut, dass es jetzt eine gewisse Korrektur im Bond-Markt gibt: Anleihen boten den Anlegern über Jahre hinweg nur eine Scheinsicherheit. Wenn nämlich die Zinsen steigen, dann verlieren viele Anleihen an Attraktivität.

Die Konsequenz für den Anleger, auch für den reinen Anleihekäufer, muss es also sein, selektiv vorzugehen. Diversifikation ist das Gebot der Stunde. Dann wird man vielleicht feststellen, dass Anleihen aus den Emerging Markets eine gar nicht so unattraktive Rendite-Risiko-Struktur haben.

Fazit: Jetzt reagieren

Eine Rotation findet statt, zwangsläufig und normal. Wahrscheinlich befinden sich die Finanzmärkte aber nur an einem Wendepunkt, an dem Aktien für eine gewisse Zeit wieder attraktiver sind als Staatsanleihen.

Wie dieser Anpassungsprozess letztlich genannt wird, ist bedeutungslos. Wichtig ist, dass Anleger ihn rechtzeitig erkennen. Dann dürfte er die Anleger nicht verunsichern, sondern sie eher ermuntern, ihr Portfolio genauer unter die Lupe zu nehmen und neu auszurichten.