Philipp Vorndran, Kapitalmarkt-Experte bei Flossbach von Storch, wagt eine kühne Prognose für den Aktienmarkt.


Philipp Vorndran ist seit 2009 Kapitalmarktstratege der Vermögensverwaltungsgesellschaft Flossbach von Storch, wo er zuvor bereits als Aufsichtsrat amtiert hatte. Von 1997 bis 2008 arbeitete er bei Credit Suisse, unter anderem als Chefstratege im Asset Management.


Herr Vorndran, Sie waren jüngst in Japan.

Ja. Zwei Wochen Urlaub machen.

Ihr Fazit?

Sie kommen nicht in ein Land, in dem morgen die Lichter ausgehen. Wenn Sie heute vom Mond nach Japan reisen, ohne Informationen und als erster Besuch auf der Erde, dann kommen Sie zum Schluss, dass die Welt schön ist und man vom Boden essen kann.

«Da wird sich nichts ändern. Die Staaten müssen durchfinanziert werden»

Als wir wieder in Frankfurt gelandet und in die S-Bahn gestiegen sind, war der erste Ausspruch meines Sohnes: Willkommen in einem Entwicklungsland. Jedes Land betrachtet seinen grössten Flughafen als Aushängeschild. In Frankfurt schicken die da die ältesten Bahnen hin.

Dafür ist Japan ein Land, in dem die Staatsschulden bei 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen.

Ja, aber die Notenbank hält die Zinsen bei null. Das macht die Situation erträglich. Und wo steht geschrieben, dass es nicht auch 500 Prozent sein dürfen?

Vor fünf Jahren lagen die Schulden bei 160 Prozent und alle dachten, die Welt geht unter.

Um die 250 Prozent zu schultern, sind heute 13 Prozent des japanischen Staatshaushalts nötig. Nun erhöhen Sie mal die Zinsen auf 3 Prozent. Dann sind Sie bei über 50 Prozent. Das ist nicht mehr finanzierbar, und die US-Notenbank und die EZB stehen vor demselben Problem. Und daran wird sich nichts ändern. Die Staaten müssen durchfinanziert werden.

«Der Euro funktioniert nicht, solange wir nicht die Vereinigten Staaten von Europa haben»

Die Bank von England hält 30 Prozent der britischen Staatsschulden und wird auch noch mehr kaufen. Die Zinszahlungen des britischen Staats gehen umgehend wieder zurück. Wir haben also schon de facto einen Schuldenschnitt von 30 Prozent in Großbritannien. Da ist nur noch pro forma ein Kupon drauf.

Zeichnen Sie doch mal ein volkswirtschaftliches Bild für die Eurozone.

Wir gehen von positivem Wachstum aus, das aber unter den Möglichkeiten bleibt. Deutschland ist die einzig verbliebene Lokomotive, und das negative Wachstum der südeuropäischen Volkswirtschaften wird geringer.

Frankreich ist ein Problem und bleibt ganz schwach, da sehen wir keine Trendwende. Es ist katastrophal. Für jedes Unternehmen, das in den vergangenen zwölf Monaten geschlossen wurde, wurde nur ein halbes gegründet.

«Wir sehen den Dax bei 15'000 Punkten in fünf Jahren»

De-Industrialisierung in der Peripherie ist ein Trend, in Frankreich ebenso. Und alles kommt nach Deutschland. Das ist das Ergebnis einer Perversion der Zinsstrukturkurve. Es ist eine Todesspirale und zeigt, dass der Euro nicht funktioniert, solange wir nicht die Vereinigten Staaten von Europa haben.

Die Notenbanken werden auch künftig Geld drucken, um die Zinsen niedrig zu halten. Damit bleiben Asset-Klassen jenseits der Staatsanleihen auch künftig attraktiv. Wie substanziell ist die Entwicklung an den Aktienmärkten?

Wir haben eine Analyse verfasst und sehen den Dax bei 15'000 Punkten in fünf Jahren. Der Grund ist ganz einfach: Wir sind davon überzeugt, dass das Zinsniveau aus den eben geschilderten Gründen tief bleiben muss.

Die hohen Kupons sind irgendwann alle aus den Depotauszügen herausgerollt. Allein durch die reinen Dividendenzahlungen von 4 Prozent pro Jahr erreiche ich die 10'000 Punkte schon locker. Da braucht sich keine Aktie auch nur einen Millimeter zu bewegen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Bewertungen erweitern werden und der Dax ein KGV von 16 oder 17 bekommt statt wie bisher von 12 oder 13. Und das ist der verbleibende Rest.

Dann ist beim Rasenmähen am Samstag die Aktie wieder ein Gesprächsthema, und auch im Taxi gibt es wieder Tipps. Da sind wir ja heute definitiv nicht. Wir haben die 15'000 Punkte auch in den Raum gestellt, um zu zeigen, dass keine spekulative Blase benötigt wird.

Viele raten heute von der Aktie ab.

Das ist ja das Fatale. Aber was soll denn ein Bankenprofessor der «Bild»-Zeitung heute auch sagen, wenn er schon vor anderthalb Jahren die Märkte für überteuert hielt. Die Situation heute ist vergleichbar mit dem Jahr 2000, nur umgekehrt. Damals gab es für Bundesanleihen 8 Prozent. Aber jeder wollte den Neuen Markt. Sie werden es sehen. Bei 15'000 Punkten wollen wieder alle Aktien. Heute ist der Dax fair bewertet. Das ist in fünf Jahren wohl nicht mehr der Fall.

Das Interview erschien im Original im «Private Banking Magazin».