Die Tage des schnellen Reichtums seien vorüber, und die Tage des langsamen Reichtums vermutlich auch, schreibt Anlageguru Bill Gross in seinem neusten Investment Outlook. 


Bill-Gross-200Bill Gross gründete 1971 die Anlagegesellschaft Pimco. Heute ist er Managing Director des Unternehmens, das zum Allianz-Konzern gehört, und verwaltet den zweitgrössten Fonds der Welt, den Pimco Total Return Fund.


Was mich fasziniert, ist die Anzahl unterschiedlicher Ansätze, die die Anleger verfolgen, um den Wert von Wertpapieren oder anderen Anlagen wie Gewerbeimmobilien oder Eigenheimen zu definieren. Viele dieser Ansätze sind legitim und schaffen eine solide Basis für die akademische Recherche oder sogar den allgemeinen Menschenverstand.

Zinsniveaus, Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGVs), Zinsobergrenzen, Risiko- und Liquiditätsprämien und sogar die Lage von Immobilien sind mögliche Wege, um den fundamentalen Preis eines Vermögenswerts zu bestimmen. Wenn wir diese mit dem emotionalen Einfluss der menschlichen Natur kombinieren, erhalten wir eine ziemlich gute Vorstellung davon, warum die Kurse steigen und fallen – nicht notwendigerweise davon, wann sie steigen und fallen, doch das Warum ist zumindest teilweise erkennbar.

Eine Art von Kredit

In diesem recht komplexen Labyrinth des Warum ging jedoch die Funktion der Kredite und der Kreditausweitung in einer modernen, finanzbasierten Wirtschaft verloren. Die Vermögenspreise hängen von der Kreditausweitung und in bestimmten Fällen auch von der Kreditverknappung ab, und man könnte ganz legitim sagen, dass sich die Märkte im Einklang mit den Krediten entwickeln.

Dies tue ich mit äusserstem Nachdruck! Doch was meine ich mit «Kredit» eigentlich genau? Nun, Geld in all seinen Erscheinungsformen. Nach meiner Definition sind Barmittel eine Art von Kredit, da man sie zur Bezahlung von Dingen einsetzen kann.

Wie eine milde Südseebrise

Anleihen sind eine Art Kredit. Aktien sind eine Art Kredit. Häuser und Grundstücke können ebenfalls als eine Art Kredit angesehen werden, wenn sie verbrieft und an Anleger in Hypotheken-Pools verkauft werden. In unserer modernen Finanzwirtschaft zählt alles als Kredit, das elektronisch oder per Computer von einem Konto auf ein anderes übertragbar ist und letztlich als Basis dient, um Geld für Dinge wie Lebensmittel oder Flugtickets auszugeben.

Wenn ein Anleger also versucht, «Preise» für diese unterschiedlichen Kreditarten festzulegen, sollte er begreifen, aus welchem Grund sich Kredite eher wie eine milde Südseebrise oder ein destruktiver Taifun im Chinesischen Meer verhalten. Die Kreditschöpfung beziehungsweise -vernichtung ist in Wirklichkeit die fundamentale Kraft, die KGVs, Risikoprämien, natürliche Zinsniveaus etc. verändert. Die meisten Anleger dürften Schwierigkeiten haben, dies zu begreifen.

Wirtschaft floriert

Stellen Sie sich vor, Sie wären zu zweit auf einer Südseeinsel gestrandet. Jeder von Ihnen verfügt über die halbe Insel, baut eigene Lebensmittel an und besitzt vier Schweinchen für Speck, Koteletts und all die anderen leckeren Dinge, die Menschen gerne essen. Alles läuft ausgezeichnet, die lokale «Wirtschaft» floriert, doch eines Tages findet Ihre Kameradin ein Verfahren zur Kultivierung einer neuen Pflanze heraus, die Ihnen unbekannt ist.

Sie ist sozusagen die Unternehmerin der Insel. Und da Ihre bisherige Kameradin eifersüchtig ist und vielleicht auch ein wenig gierig, weigert sie sich, das Geheimnis mit Ihnen zu teilen. Stattdessen bietet sie Ihnen einen künftigen Anteil ihrer Ernte im Gegenzug für eines Ihrer Schweinchen an – schliesslich gibt es auf der Insel weder Geld noch Kredite oder Ähnliches.

Zwar lieben Sie Speck; Ihre Kameradin erlangt mithilfe der neuen «Pflanze» jedoch ein höheres Wohlstandsniveau, also gehen Sie auf das Angebot ein – ein Schwein gegen eine Jahresernte der künftigen «Pflanze». Obwohl es keinen «Aktienmarkt» als solchen gibt, wird «Getreide» nun zu einem KGV von einem Schwein gehandelt. Ein Schwein ist somit gleich viel wert wie eine üppige Jahresernte Ihrer ehemaligen Kameradin.

Medizinische Zwecke

Nun, die Monate verstreichen, und eins führt zum anderen – und aus irgendeinem Grund möchten Sie mehr von der «Pflanze» Ihrer Nachbarin erhalten. Vielleicht handelt es sich dabei um Marihuana, und die Insel hat es soeben für medizinische Zwecke legalisiert. Nur mal angenommen. Und angenommen, Sie wären bereit, für einen weiteren Anteil dieses medizinischen «Grases» auf ein weiteres Schwein zu verzichten. Ihre Nachbarin sagt jedoch voller Enthusiasmus: «Nein, es wird Dich drei Schweine kosten», und das ist alles, was Sie haben.

Da Sie jedoch high sind und selbstverständlich sehr hungrig, willigen Sie ein. Dieses sonderbar riechende «Gras» verkauft sich inzwischen also für drei Schweine beziehungsweise zu einem Schweine-zu-«Gras»-KGV von 3/1 – und alle sind glücklich. Bis... naja... um in die reale Welt zurückzukehren: Bei den Schweinchen handelte es sich in Wirklichkeit um Kredite oder Zahlungsmitteläquivalente. Und um dieses System am Laufen zu halten, benötigen Sie mehr Schweine beziehungsweise mehr Kredite.

Ins Unermessliche

Die Schweine sind Ihnen jedoch ausgegangen. Auf dieser kapitalistischen Südseeinsel geschieht nun etwas Merkwürdiges, das vorwiegend auf den Preis des Marihuanas zurückzuführen ist: Im vergangenen Jahr wurde das Kraut zu einem Verhältnis von drei Schweinen zu einer Jahresernte gehandelt – da Sie jedoch keine Schweine und keine Kredite mehr haben, bricht der Kurs ein. Der Preis des Grases fällt auf null, da es keine Kredite mehr gibt – Sie haben keine Schweine mehr, um es zu bezahlen.

Für jene unter Ihnen, die nicht in den US-Staaten Washington, Colorado oder ähnlichen Gegenden aufgewachsen sind und mir dieses Beispiel ein wenig übelnehmen, möchte ich es wie folgt umformulieren: KGVs von 3 oder 15 oder 0 sind eng mit dem vorhandenen Kreditvolumen verknüpft. Dasselbe gilt für die Zinssätze. Wenn nur ein einziger Dollar an Krediten zur Verfügung stünde und jemand ihn unbedingt haben wollte, würden die Zinsen ins Unermessliche steigen.

Papiergeld, Kredite, Schulden

Wenn jedoch eine Billion Dollar an Krediten zur Verfügung stünde und aus irgendeinem Grund niemand Geld leihen wollte, läge der Zins bei 0,01 Prozent – ebenso wie heute und während der vergangenen fünf Jahre auf meinem privaten Geldmarktkonto. Das Kreditvolumen und seine Wachstumsrate sind von entscheidender Bedeutung für die Vermögenspreise, und selbstverständlich sind die Vermögenspreise in unserer modernen Volkswirtschaft von entscheidender Bedeutung für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die künftigen Investmentaussichten.

Unsere Wirtschaft basiert auf Papiergeld / Krediten / Schulden und hängt von der kontinuierlichen Schaffung von immer neuen Krediten ab, um zu gedeihen und – einige würden sogar sagen – um zu überleben. Wir brauchen diese Schweine und noch mehr davon. Und sie müssen zirkulieren und gehandelt werden – was einige als «Umlaufgeschwindigkeit» bezeichnen würden –, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Unsere Südseeinsel-Wirtschaft veränderte sich erst, als die neue Pflanze entdeckt wurde; eigentlich sogar erst, als sie gegen Schweine getauscht wurde.

Vor der Lehman-Pleite

Aus welchem Grund? Nun, um die USA als Beispiel zu nehmen: In den USA beläuft sich der Umfang der Kredite offiziell auf 57 Billionen Dollar (Aktien sind in der offiziellen Definition der US-Notenbank nicht eingeschlossen), und vermutlich gibt es noch 20 weitere Billionen in Form dessen, was als «Schatten»-System bekannt wurde. Gehen wir jedoch einmal von 57 Billionen aus, wie die Federal Reserve und Schaubild 1 es tun.

Vor der Lehman-Pleite wuchs das Kreditvolumen jährlich um acht bis zehn Prozent an, heute wächst es jedoch nur noch um drei bis vier Prozent. Dieses Wachstum ist zum Teil auf die Regierung und ihre jüngste Defizitfinanzierung zurückzuführen: Ein Defizit in Höhe von einer Billion US-Dollar kam in 2009-2010 bereits einer Kreditwachstumsrate von zwei Prozent gleich.

Dessen ungeachtet waren die übrigen Kreditnehmer, darunter private Haushalte, Unternehmen, lokale und ausländische Regierungen sowie Finanzinstitute, jedoch nicht sonderlich darauf aus, es der Regierung gleichzutun. Da das Defizit inzwischen auf etwa 600 Milliarden US-Dollar geschrumpft ist, verliert das US-Finanzministerium als Quelle des Kreditwachstums an Bedeutung.

Umlaufsgeschwindigkeit kommt ins Spiel

Und obgleich viele diese Entwicklung als positiv empfinden, wirkt sie sich auf kurze Sicht negativ auf die Expansionsfähigkeit der Wirtschaft und das Wachstumspotenzial der KGVs aus; es sei denn, der Privatsektor springt ein und leiht Geld, investiert, kauft neue Häuser etc. In den vergangenen zwölf Monaten wuchs das Kreditvolumen mit einem Schneckentempo von 3,5 Prozent und reichte kaum aus, um ein nominales BIP-Wachstum im selben Umfang zu stützen.

Besteht zwischen dem Kreditwachstum und dem BIP ein Eins-zu-eins-Verhältnis? Selbstverständlich nicht. An dieser Stelle kommt die Umlaufgeschwindigkeit ins Spiel, die wiederum von den Zinssätzen und den Kreditkosten beeinflusst wird. Durch die beginnende Drosselung des quantitativen Lockerungsprogramms und die um 150 Basispunkte höheren Zinsen und Hypothekenzinsen als noch im Juli 2012 dürfte sich die Umlaufgeschwindigkeit aktuell jedoch negativ auf diese Gleichung auswirken.

In den klassischen Lehrbüchern erklären Ökonomen diesen Sachverhalt wie folgt: MV = PT beziehungsweise Geld x Umlaufgeschwindigkeit = BIP. Das neue Modell sollte in Wirklichkeit jedoch wie folgt aussehen: CV = PT beziehungsweise Kredit x Umlaufgeschwindigkeit = BIP. Die meisten Ökonomen verfechten jedoch das klassische Friedman-Modell, das Geld in viel engerem Sinne definierte.

Geflüsterte Deflation?

Unser PIMCO-Wort des Monats lautet also: «Vorsicht». Bullenmärkte entstehen entweder durch eine Kreditausweitung, oder sie werden von ihr begleitet. Da sich das Kreditwachstum teils durch die geringeren Haushaltsdefizite verlangsamt und das Zurückfahren der Anleihenkäufe die Umlaufgeschwindigkeit verringern wird, dürften die USA und gleichermassen kreditbasierte Volkswirtschaften bald feststellen, dass das künftige Wachstum möglicherweise nicht so kräftig sein wird, wie der IWF und andere modellbasierte Prognostiker es annehmen.

Vielleicht kommt dies auch in dem geflüsterten «Deflationsbegriff» zum Ausdruck, der während der vergangenen Wochen mitschwang. Wenn dem so ist, werden erstklassige Anleihen weiterhin hoch im Kurs stehen und risikoreiche Assets ein wenig an Glanz verlieren. In jedem Fall sollten Sie an den heutigen wie an den künftigen Anlagemärkten kein Schwein sein. Die Tage des schnellen Reichtums sind vorüber, und die Tage des langsamen Reichtums vermutlich auch.

Ausserdem sollten Sie weiterhin auf PIMCO vertrauen. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass wir gegenwärtig ein besseres Team sind, als wir es zuvor waren. Ich/wir stellen uns der künftigen Herausforderung, vor der alle Vermögensverwalter stehen, mit einem nahezu heiligen Vertrauen.

Fazit

  • Die Vermögenspreise hängen von der Kreditschöpfung und -ausweitung ab.
  • In den USA und anderen Ländern werden weniger Kredite durch die öffentliche Hand geschaffen, da die Haushaltsdefizite schrumpfen.
  • In den USA dürfte eine Kreditausweitung von drei bis vier Prozent nicht ausreichen, um ein Wachstum von drei Prozent aufrechtzuerhalten – insbesondere nicht, wenn die Vermögenspreise sinken und sich auf die Umlaufgeschwindigkeit auswirken.
  • In einem hoch verschuldeten, globalen Markt sollten Sie kein Schwein sein. Dort draussen lauern Gefahren.