Es war ein Zufall – mit Sicherheit jedoch kein glücklicher. Vielleicht war die Begegnung ein unvermeidliches Aufeinandertreffen. Der Begriff Zufall passt da schon eher. Ein schicksalshafter Zufall.

Bill Gross gründete 1971 die Anlagegesellschaft Pimco. Heute ist er Managing Director des Unternehmens, das zum Allianz-Konzern gehört, und verwaltet den zweitgrössten Fonds der Welt, den Pimco Total Return Fund. Hier ist seine neueste Kolumne.

 


In einem Taxi ereignen sich glückliche Zufälle eher selten, und es war ein San Franciscoer Taxi – kein Uber –, in dem ich mit meiner fernen Vergangenheit konfrontiert wurde. Meine Frau Sue und ich befanden uns auf dem Rückweg ins Four Seasons Hotel, nachdem wir vom «Top of the Mark»-Restaurant einen flüchtigen Blick auf die Metropole bei Sonnenuntergang erhascht hatten.

 

Der Fahrer schien vietnamesischer Abstammung zu sein, und da ich bereits ein oder zwei Margarita intus hatte, stolperte ich misslicherweise in den emotionalen Dschungel Vietnams, den ich vor knapp einem halben Jahrhundert betreten und heil wieder verlassen hatte. «Sie sind Vietnamese», sagte ich, «wie alt sind Sie?» «53», antwortete er. «Ich wuchs in Da Nang auf und floh mit meiner Mutter, als ich acht war, nachdem mein Vater und mein älterer Bruder ermordet worden waren.»

Peinliche Stille

Ich subtrahierte acht von 53 und kam schnell zu dem Ergebnis, dass er zur gleichen Zeit in Vietnam gewesen sein musste wie ich, im Jahr 1969. «Waren Sie jemals dort?», fragte er. «Nun ja», stotterte ich, «etwa zur gleichen Zeit, in der Sie das Land verliessen; allerdings war ich bei der Navy» – eine Entschuldigung, die mich von einer direkten Beteiligung freisprechen sollte, es in Wirklichkeit jedoch nicht tat.

Es folgte eine peinliche Stille. Ich wollte ihm versichern: «Was wir damals taten, tut mir leid. Ich/wir hätten nicht dort sein dürfen.» Ich wollte es unbedingt aussprechen, tat es jedoch nicht. Also verpasste ich meinen Moment der Sühne, und wir setzten unsere Fahrt in Richtung Hotel fort. Als wir ausstiegen, gab ich ihm anstelle des Fahrpreises von acht Dollar einen 20-Dollar-Schein – was selbstverständlich eine schwache Entschuldigung war, und er wusste es.

Entschuldigung angenommen

«Nein», sagte er, «das ist zu viel. Nehmen Sie fünf Dollar zurück.» Ich tat es – Entschuldigung angenommen, so unzureichend sie auch war. Er und seine Mutter hatten überlebt und die Vergangenheit hinter sich gelassen. Ich vermutlich auch. «Gute Nacht», sagte ich. Gute Nacht, Vietnam...

Sagen Sie nicht «Gute Nacht», sondern «Guten Abend» zur Aussicht auf künftige Kapitalgewinne an den Anlagemärkten. Denn viele davon werden die Anleger nicht erfahren. Die Finanzmärkte blicken auf knapp ein halbes Jahrhundert der friedlichen (manchmal volatilen) Vermögenszuwächse zurück, die insbesondere dem Rückgang der realen und nominalen Zinssätze ab 1981 zu verdanken waren.

Nahe der Nullgrenze

Zwar ist uns bewusst, dass sinkende Zinsen einen Anstieg der Anleihenkurse bewirken, dennoch müssen wir auf irgendeine Weise daran erinnert werden, dass sich dies ähnlich auf Aktien, Immobilien und Rohstoffe auswirkt. Nahezu alle allgemeinverständlichen und historischen Finanzmodelle zeigen uns, dass die Zinsen einer der wichtigsten Treiber der Vermögenspreise sind. Aktuell – und zwar seit 2012 – stehen wir jedoch am Anfang vom Ende, ebenso wie ich 1969 – dem Ende der steigenden Vermögenspreise, da diese ihren zentralen Zinstreiber verloren haben.

Fünf Jahre mit US-Leitzinsen nahe der Nullgrenze und quantitativen Lockerungsmassnahmen auf globaler Ebene, die bei der US-Notenbank – um nur eine zu nennen – eine Bilanzverlängerung von knapp vier Billionen Dollar bewirkten, ebenso wie eine verhältnismässig höhere Verschuldung bei der Bank of Japan und der Bank of England, sind nun ins Land gegangen. Nun ist die Weltwirtschaft für weiteren Fortschritt auf das Wirtschaftswachstum angewiesen – ein Wachstum, das sich derzeit sowie in jüngster Vergangenheit als historisch unzureichend erweist.

Starke Diskrepanz

Bei PIMCO erinnerte uns Paul McCulley unlängst daran, dass die strukturellen Wachstumsraten auf globaler Ebene gesunken sind, was durch die starke Diskrepanz zwischen Gesamtnachfrage und Gesamtangebot bedingt ist. Ökonomen erklären dies, so nehme ich an, mit Schwächen bei den Verbrauchern:

  • 1. Sie sind zu stark verschuldet,
  • 2. die Generation der Baby-Boomer wird älter,
  • 3. die Qualifikation der Arbeitskräfte ist überholt, und sie werden durch Technologie ersetzt, und
  • 4. die Arbeiterschaft wird von Unternehmen dominiert, die über die Macht verfügen, den Lohnanstieg auf geringerem Niveau zu halten als das Umsatzwachstum. Die Nachfrage ist unzureichend, da die Verbraucher in vielfacher Hinsicht ihr eigenes Vietnam erleben.

Da die Renditen die Talsohle erreicht haben und die Märkte nun mit einem allmählichen Anstieg rechnen, wird das Wachstum zum neuen Hoffnungsträger – ob es sich realisieren lässt, bleibt jedoch fraglich. Sicherlich sind die USA weiter oben auf der Wahrscheinlichkeitsskala angesiedelt, doch ein Realwachstum von zwei Prozent seit der Grossen Rezession ist nichts, worauf man stolz sein könnte. Im Jahr 2010 hätte dies der absoluten Mindesterwartung entsprochen. Andernorts müssen sich die Anleger über den fehlenden «Wachstums-Sonnenschein» nicht nur wundern, sondern sich vielleicht sogar vorübergehend davon verabschieden.

Nur mit Schwimmflügeln

Südamerika ist praktisch in eine Rezession abgerutscht, wobei die grossen Drei – Brasilien, Argentinien und Venezuela – sich einer Art Wundstarrkrampf nähern. Euroland hält sich über Wasser, allerdings nur mithilfe von Schwimmflügeln, während die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in den Peripherieländern (Spanien, Portugal und Italien) der 20-Prozent-Marke immer näherkommt – ein Zustand, der zuletzt in den dreissiger Jahren vorherrschte. Russland zieht sich aus geopolitischen Gründen zurück.

Und Japan/China werden lediglich durch die Kreditschöpfung gestützt, und zwar in einem Umfang, der an Minsky, Ponzi oder Potemkin erinnert – mit seinen mythischen Dörfern, deren Wachstum nur Fassade ist und nicht auf Produktivität schliessen lässt. Wo ist das Wachstum geblieben? Die Welt, wie McCulley sie richtig analysiert, ist durch einen Mangel an Nachfrage und einen Überfluss an Angebot gekennzeichnet.

Struktureller Gegenwind

Aus diesem Grund wird ein Anstieg der Vermögenspreise – im Marktjargon: Kapitalgewinne – schwieriger zu erreichen sein. Ohne den Rückenwind der rückläufigen Zinsen, die mit höheren Gewinnmargen und niedrigeren Zinsobergrenzen einhergehen, werden die Anleger stattdessen mit strukturellem Gegenwind zu kämpfen haben.

Doch lassen Sie mich noch deutlicher werden – deutlicher, als ich es gegenüber dem vietnamesischen Taxifahrer wurde: PIMCO sagt nicht, dass die Vermögenspreise sinken werden – sie werden lediglich weniger stark ansteigen, als viele es erwarten. Dabei wird das Zinseinkommen – und nicht der Kapitalzuwachs – zum dominanten Treiber der künftigen Erträge. «Guten Abend», Kapitalerträge. «Guten Morgen», abhängigeres Zinseinkommen – selbst im aktuellen Zeitalter der künstlich niedrigen Zinssätze.

Neue Neutralität

Unsere Begründung für das Fortbestehen eines künstlich bewerteten, globalen Anlagemarkts, der vermutlich weder ein Bären- noch ein Bullenmarkt sein wird, basiert auf unserem erwarteten Zinspfad in der Neuen Neutralität. Wenn die globalen Leitzinsen künftig anziehen, jedoch in geringerem Masse als derzeit erwartet, lassen sich die Vermögenspreise und KGVs besser aufrechterhalten.

PIMCO ist überzeugt, dass die realen und nominalen Leitzinsen der «Alten Neutralität» von zwei beziehungsweise vier Prozent der Vergangenheit angehören. Die Leitzinsen (USA) der Neuen Neutralität von null Prozent real und zwei Prozent nominal dürften der Realität eher entsprechen. Die Taylor-Regel – ist überholt. Die von PIMCOs Rich Clarida aufgestellte Regel – ist aktuell.

Erwartungen senken

Wie kommt es dazu? Weil eine verschuldete Weltwirtschaft nicht mehr tragen kann. Weil eine Weltwirtschaft mit einem Nachfragedefizit eine längere Phase der niedrigen Zinsen benötigt, um einen Mindestkonsum aufrechtzuerhalten. Weil eine Weltwirtschaft mit geringem Wachstum einer Deflation in zahlreichen Fällen näher ist als einer Inflation. Weil, weil, weil.

Wie sollte man als Anleger reagieren? Erstens: seine Erwartungen senken. Zweitens: nicht auf Vermögenswerte zurückgreifen, die sich ausserhalb des eigenen Risikouniversums befinden. Und vor allem: erkennen, dass sich die Generierung von Alpha in einem Umfeld mit zu geringen Kapitalgewinnen, einer Orientierung am Zinseinkommen und niedrigen Gesamtrenditen schwieriger gestaltet denn je. In einem niedrig rentierlichen Investmentumfeld mit Zinsen von vier bis fünf Prozent sind Überschussrenditen von 100 Basispunkten bei nahezu gleichen Sharpe- und Information-Ratios umso wertvoller.

Eine aussichtsreiche Wette

In diesem Punkt ist PIMCO brillant. Man betrachte nur einmal unsere Bottom-up-Einzeltitelanalyse. Oder unsere ausgewählten Positionen zur Diversifikation des Zinseinkommens in strategischen Anlagekategorien. Dasselbe gilt für unsere top-down-orientierten, makroökonomischen Leitlinien nach McCulley und Clarida sowie für unser revitalisiertes Investment-Komitee. Kein Versprechen, und dennoch eine aussichtsreiche Wette. Über 40 Jahre haben wir es ermöglicht und werden es auch 2014 tun. Sehen Sie sich einfach die Zahlen an, nicht die Schlagzeilen.

Was spezifische Strategien angeht, erscheinen uns erstklassige US-Staatsanleihen und Unternehmenspapiere als fair und nicht als günstig bewertet. Unsere Duration ist in der Regel an den Indizes orientiert. Wir gehen von einer allmählichen Abflachung der Zinskurve aus, die allerdings nicht die zyklischen Proportionen der Vergangenheit annehmen wird.

In alle Ewigkeiten

Die Risikoaufschläge halten wir für niedrig, sie könnten aber trotzdem auf diesem Niveau bleiben. Wir rechnen nach wie vor damit, dass die Federal Reserve bis Mitte 2015 abwarten wird, um ihre Zinsen bis 2017 allmählich auf die zwei Prozent unserer Neuen Neutralität anzuheben. Unseres Erachtens sollte man als Investor Anleihen halten, ebenso wie einen durchschnittlichen Aktienanteil.

Als wir beim Four Seasons aus unserem Taxi ausstiegen, schien mein vietnamesischer Freund unser Gespräch bis in alle Ewigkeit fortführen zu wollen. «Wie ist es möglich, dass wir 45 Jahre später an diesen Ort gelangten?», schien er zu fragen. «Wie kommt es, dass nun Frieden zwischen uns herrscht und kein Krieg? Und warum sind Sie überhaupt nach Vietnam gekommen?»

Zusätzliches Trinkgeld

Aus Zufall, nehme ich an, und zwar nicht aus einem glücklichen. Auf seinen fragenden Blick ging ich nicht weiter ein; eine verpasste Chance. Unser Abschied war nicht unbedingt ein fröhlicher und das zusätzliche Trinkgeld keine angemessene Entschuldigung. Nichtsdestotrotz schien es eine gewisse Anerkennung zwischen uns zu geben und eine gemeinsame Hoffnung auf eine friedliche Zukunft. Ein neues Zeitalter – ebenso wie für die globalen Anlagemärkte.

Gute Nacht, Vietnam – Resümee

  • 1. Aufgrund der zu geringen Gesamtnachfrage und des anhaltenden Angebotsüberhangs werden die Wachstumsraten rund um die Welt niedrig bleiben.
  • 2. In nahezu allen Vermögensklassen gelangen die Kapitalgewinne an ihr Ende. Niedrige, dennoch aber relativ verlässliche Zinserträge werden der künftige Markttreiber sein.
  • 3. PIMCO richtet die Duration in den Portfolios aktuell nach den Indizes aus, rechnet mit einer Abflachung der globalen Zinskurven, die dennoch steiler bleiben werden als in der Vergangenheit, und ist in Anleihen leicht übergewichtet.
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