Seit dem Ausbruch der Finanzkrise würden die wichtigsten Zentralbanken eine Geldpolitik betreiben, die weit von dem abgerückt sei, was man einst als «Pfad der Tugend» geldpolitischer Steuerung verstanden habe, behauptet Finanzprofessor Erwin Heri.

Von Erwin W. Heri, Professor für Finanztheorie an der Universität Basel und am Swiss Finance Institute in Zürich

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die damaligen ausserordentlichen Ereignisse von 2008 haben nach ausserordentlichen Massnahmen verlangt; auch und gerade von Seiten der Zentralbanken. Sie bewahrten das weltweite Finanzsystem vor dem Zusammenbruch und letztlich stabilisierten sie die Weltkonjunktur.

Unterschiedliche Pflichtenhefte

Des Weiteren ist auch klar, dass sich die unterschiedlichen Zentralbanken in den verschiedenen Ländern unterschiedlichen Pflichtenheften zu unterziehen haben. So hatte zum Beispiel das Federal Reserve Board, also die US-Zentralbank, schon immer neben der Erhaltung eines stabilen Geldwertes auch konjunkturpolitische Aufgaben, während sich zum Beispiel die Schweizerische Nationalbank (SNB) oder die Deutsche Bundesbank respektive die Europäische Zentralbank (EZB) in erster Linie einem stabilen Geldwert verpflichtet sahen.

Nicht wenige der geldpolitischen Handlungsprinzipien waren und sind das Ergebnis vergangener Krisen im geld- und währungspolitischen Gefüge: auf der einen Seite der Erfahrungen mit Systemen fixer Wechselkurse in den frühen siebziger Jahren und auf der anderen Seite der Lehren aus den Hochinflations- respektive Hochzins-Zeiten in den frühen achtziger Jahren.

Erfahrungen gelten nichts mehr

Situationen, die schmerzhafte Erfahrungen mit sich brachten und zur Überzeugung führten, dass geldpolitische Disziplin und von der Politik (und damit den politischen Wahl- und anderen Zyklen) möglichst unabhängige Zentralbanken das «Sine qua non» vernünftiger Wirtschaftspolitik wären.

Alles Schnee von gestern. Historische Erfahrungen gelten nichts mehr. Wir leben hier und heute und Wirtschaftsgeschichte ist für die Ewiggestrigen. Die Ver-x-fachung der Geldmengen, die zur Überwindung der Finanzkrise wohl unausweichlich war, ist kaum mehr rückgängig zu machen.

Total Einschüchterung

Zu stark haben sich die wichtigsten Zentralbanken an die Leine der Politik nehmen lassen. Jeder Zentralbanker, der sich auch nur im Geringsten getraut, auf die entstandenen Probleme aufmerksam zu machen, wird entweder von der Politik sofort zurückgepfiffen.

Oder er wird von den Finanzmärkten auf eine Art und Weise eingeschüchtert, dass er sofort vergisst, was eigentlich seine Hauptaufgabe ist: die Steuerung der Geldmenge dergestalt, dass die Liquiditätsversorgung der Volkswirtschaft eine mehr oder weniger inflationsneutrale Konjunkturentwicklung zulässt.

Dass dabei Rezessionen und strukturelle Ungleichgewichte entstehen, liegt an der Dynamik des komplexen Systems, das wir Wirtschaft nennen, und sollte nur in Extremphasen von Zentralbank-Aktionen gestört werden.

Viel zu lasche Geldpolitik

Aber heute ist alles anders: Die Zentralbanken finanzieren grosszügig überbordende Staatshaushalte über die Notenpresse. Notmassnahmen, die seinerzeit als Sündenfall zur Rettung von «Too-big-to-fail»-Banken verdammt wurden, werden heute als für die Staaten und Zentralbanken gewinnbringende Anlagestrategien gesehen.

Und vor lauter Kommunikation und «Forward Guidance» kommen die Zentralbanker gar nicht mehr dazu, endlich den Ausstieg aus einer viel zu laschen und viel zu abhängigen Geldpolitik technisch an die Hand zu nehmen.

Auf breiter Front negativ

Es wird Zeit, zu realisieren, dass man möglichst rasch aus dem Krisenmodus aussteigen sollte. Auch heute schon wird dieser Ausstieg schmerzen. Die Zinsen werden steigen. Die Preise von Obligationen, die durch die Zentralbank-Aktionen geradezu aufgeblasen wurden, werden fallen. Die Finanzmärkte werden in einer ersten Phase auf breiter Front negativ reagieren, und es wird nicht ohne einen Anstieg der Inflationsraten vonstatten gehen.

Je früher sich aber die Zentralbanken wieder an das geldpolitische Ruder begeben, ihre Unabhängigkeit von der Politik verkünden und endlich wieder das tun, wozu sie da sind, desto schneller werden sich auch die Finanzmärkte wieder beruhigen. Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist, wieder in vernünftiges Fahrwasser zu kommen.


Dieser Beitrag ist ebenfalls erschienen im Geld-Magazin PRIVATE, Ausgabe 5/13.