Beim jüngsten Stresstest musste sich die Europäische Zentralbank auch gewissen nationalen Interessen beugen. Darum ist weiterhin eine sehr grosse Vorsicht beim Kauf von Bankaktien angezeigt, wie Bruno Gisler, Chefökonom der Zürcher Aquila-Gruppe, findet.

Sicher sei die Europäische Zentralbank (EZB) aus eigenem Interesse bemüht gewesen, bei den Tests Strenge anzuwenden. Sie musste sich sehr wahrscheinlich aber auch gewissen nationalen Interessen beugen, sagt Bruno Gisler (Bild), Chefökonom der Zürcher Finanzgruppe Aquila.

Doch insgesamt dürfte die neuste Prüfung der Banken in der Eurozone durchaus aussagekräftiger gewsen sein, als die liederlichen europäischen Bankentests der Jahre 2010 und 2011.

Gewinner und Verlierer identifizieren

Der Umstand, dass das widrige Szenario keine Stresssituation darstelle, lasse manche Bank aus diesem Test indessen robuster hervorgehen, als sie tatsächlich sei, vermutet Gisler und vergleicht die aktuelle Lage mit den letzten Stresstest in den USA. Dort wurden immerhin rund 30 Banken als systemrelevant betrachtet.

«Dies lässt erahnen, wie gross der Bereinigungsbedarf unter den 130 systemrelevanten Banken der Eurozone noch ist. Engagements in Banken der Eurozone sollten daher nur Investoren halten, die sich auch zutrauen, Gewinner und Verlierer in diesem Prozess zu identifizieren», betont der Aquila-Ökonom weiter.

Eine Einschätzung der wichtigsten Resultate

  • Von den 130 geprüften Banken bestanden per Stichtag Ende des letzten Jahres 25 Banken den Test nicht. Unter Berücksichtigung der von den betroffenen Banken im Jahr 2014 ergriffenen Massnahmen sind es per Ende Oktober noch 13 Banken, die die Vorgaben der EZB nicht erfüllten. Diese bescheidene Durchfallquote ist auf verschiedene Umstände zurückzuführen.
  • Einerseits haben viele Banken im Hinblick auf die Prüfung ihre Bilanzen verbessert. Gemäss Angaben der Behörden haben die ab November direkt der EZB Aufsicht unterstellten Institute ihre Bilanzen seit Sommer 2013 durch neue Eigenmittel, einbehaltene Gewinne, Verkauf von Aktiven und andere Massnahmen um 203 Milliarden Euro gestärkt.
  • Andererseits sind die Szenarien in den Stresstests optimistisch. So beinhaltet das Basisszenario für die Eurozone für 2015 ein reales Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent und eine Inflation von 1,3 Prozent. Das Szenario mit dem widrigen Wirtschaftsumfeld beruht auf einem realen Wachstum von -1,5 Prozent und einer Inflation von 0,6 Prozent.

Fazit: Nicht stressig genug

Daraus folgert Gisler: «Das Basisszenario entspricht wohl eher einer Wunschvorstellung als einer realistischen Beurteilung der Wirtschaftskraft der Eurozone. Auch eine Halbierung der Werte erscheint noch optimistisch. Das widrige Szenario ist nicht stressig genug, um schwache Banken als solche zu entlarven.»