In einem Transportmittel des öffentlichen Verkehrs geschichtet ausschlafen, sich mit einem motorisierten Untersatz zum Arbeitsplatz stauen oder doch im Frühtau sportlich ins Geschäft «gümmele»?

Von François Huwiler

Für mich trifft weder das eine noch das andere zu, ausser es hagelt Katzen. Denn angesichts der Tatsache, dass sich die Familienbehausung in 1,7 Kilometer luftlinearer Entfernung von meinem Broterwerb befindet, und da sich die Körperertüchtigung ansonsten in allerengsten Grenzen hält, wird der Gang zum entlöhnten Engagement per pedes bewältigt.

Nur ist auch diese Variante nicht ohne ihre Tücken; wie in diversen anderen Lebenssituationen spielt auch hier das minutiöse Timing eine zentrale Rolle, denn: mein Arbeitsweg führt mich durch die Passage gen Sihlpost!

Guet Nacht Frau Seeholzer

Wird der richtige Zeitpunkt für die Durchschreitung verpasst – tja dann rollen geschätzte 52 Zugskompositionen gleichzeitig in den Zürcher HB ein und spülen gefühlte achthunderttausend vorwiegend arbeitswilliger Geschöpfe von den Perrons in die Unterführung, welche es zumeist schaurig pressant haben - «Guet Nacht Frau Seeholzer»!

Logisch eilen 99 Prozent in die Gegenrichtung. Natürlich wird weiterhin emsig am unentbehrlichen Mobile hantiert. Auch muss die Pendlerzeitung zwingend in der Masse zu Ende gelesen werden. Und an Evidenz nicht zu übertreffen ist auch der Umstand, dass ein grosser Teil des Hausrates mitgeschleppt wird, welcher vorsätzlich-fahrlässig in alle Himmelsrichtungen geschwungen wird.

Pièce de résistance

Speziell während der kalten Monate offenbart Letztgenanntes dank den Wintersportlern ein ungeahntes Spektakel. Langer Schrift kurzer Sinn, diese Wand kostet schon mal gehörig Substanz und bringt mich allenthalben gefährlich nahe an den roten Bereich.

Ist das Erklimmen des gegenüberliegenden Endes der Passage dann erfolgreich vollzogen, wartet das zwischenzeitliche Nadelöhr «Baustelle Sihlpost» darauf, bewältigt werden. Im Grunde genommen ein Klacks, diese 100 Meterchen. Hat allerdings ein komplett überfülltes, stadteinwärts fahrendes Tram ganze Heerscharen an Land gesetzt, sieht man sich einer asphaltaufwirbelnden Stampede gegenüber und die paar Meter entpuppen sich als «pièce de résistance».

In bester Slapstick-Manier

Gekoppelt mit den rasanten Velofahrern, Kick- und allen anderen Boardern, welche in der Hast ihre Fortbewegungsmittel unkoordiniert in der Gegend herumwirbeln, ergibt sich daraus ein erfrischendes Morgenerlebnis erster Güte.

Nach diesem monumentalen Hürdenlauf wirkt das anschliessende Abtauchen in den Schanzengraben wie die Einnahme eines Baldriankonzentrates, einfach wunderbar. Nur sollte es nicht die ganze Nacht geregnet haben, die Kombination von profillosen Ledersohlen und schmierigem, mit Laub gespicktem Untergrund zaubert ansonsten manchen Ausfallschritt in bester Slapstick-Manier hervor.

Wie Moses

Diesem frühmorgendlichen Hindernisparcours kann selbstredend elegant ausgewichen werden, wenn das Verlassen der heimatlichen Gefilde auch nur um wenige Minuten prämaturierter erfolgt; dann scheint bei Betreten des unterirdischen Bahnhofsgeländes, als hätte Moses soeben das (Menschen-)Meer geteilt.