Der Schweizer Finanzplatz arbeitet im Homeoffice. Beobachtungen zeigen: Für Frauen und ihre Karrieren bedeutet dies einen Rückschritt. Diversity-Professorin Gudrun Sander sagt im Gespräch mit finews.ch, Frauen drohten in traditionelle Rollen zurückzufallen.

Eigentlich sollte das Jahr 2020 ein Jahr der Frauen werden. Viele Banken verfolgen ambitionierte Ziele, was Diversität und Inklusion anbelangen. Die Credit Suisse etwa verfolgt das in den «Sustainable Development Goals» (SDGs) der Vereinten Nationen festgeschriebene Ziel, der Chancen- und Lohngleichheit von Frauen und Männern im Unternehmen. Doch Corona scheint den Inclusion- und Diversity-Zielen vieler Unternehmen einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Das Homeoffice erweist sich als eigentlicher Karrierekiller für Frauen. Insbesondere bei geschlossenen Schulen und Kitas wird der Job für die Frau im Homeoffice zur Doppelbelastung. Für die Arbeitgeberseite wird es gleichzeitig deutlich schwerer, ihre Diversity-Förderprogramme fortzusetzen.

Benachteiligung bei Beförderungen

«Dies führt dazu, dass Frauen bei der Verteilung von Projekten und Beförderungen benachteiligt werden, sagt Gudrun Sander, Direktorin des Competence Centre for Diversity and Inclusion an der Universität St. Gallen, sagt im Gespräch mit finews.ch.

Die Beobachtungen sind insbesondere für den Schweizer Finanzplatz und die Banken relevant. Im Lockdown arbeiten wohl über 50 Prozent der Schweizer Bank- und Finanzangestellten im Homeoffice. Während des Lockdowns im Frühjahr des vergangenen Jahres waren es je nach Bank bis zu 80 Prozent. 

Die Umstellung auf das Homeoffice gelang den Schweizer Banken so gut, dass dieser Arbeitsmodus beibehalten wird. Institute wie die UBS planen, künftig bis zu einem Drittel ihrer Belegschaft im Homeoffice zu beschäftigen.

Rückschritt bei der Gleichberechtigung

Doch hat sich in den vergangenen Monaten abgezeichnet, dass diese Pläne mit den Zielen, Frauenkarrieren innerhalb der Finanzinstitute zu fördern, schlecht vereinbar sind. So sagte beispielsweise die deutsche Jutta Allmendinger in einem Interview mit dem Magazin «Spiegel» (gebührenpflichtig): «Die Krise hat die Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung um Jahrzehnte zurückgeworfen.»

Punkto Gleichberechtigung der Geschlechter ist der Schweizer Finanzplatz weiterhin ein eigentliches Entwicklungsland. Eine Auswertung von finews.ch hatte vor Jahresfrist ergeben, dass keine der 50 bedeutendsten Schweizer Banken mehr als einen Drittel ihrer Geschäftsleitungsposten mit Frauen besetzt hat. 

Rückfall in alte Muster und Ausstieg

Diversity-Spezialistin Sander beobachtet, dass in der Pandemie reflexartige Muster herrschen: «Wenn man unter Druck ist, fallen wir alle einfacher in alte Muster zurück. Viele Frauen haben das Pensum reduziert oder sind sogar ganz ausgestiegen».

Gemäss Sander spielen bei einer Rollenverteilung zwischen Frau und Mann in einer Familie auch Faktoren wie etwa der Mindset, die Kultur, ländlicher Wohnsitz und Zugehörigkeit zur deutschsprachigen Schweiz eine wichtige Rolle. Je häufiger diese Faktoren auftreten – also wie traditionell das Familienbild ist – desto weniger würden neue Arbeitsmodelle akzeptiert. «Homeoffice verstärkt dieses Muster zusätzlich», sagt Sander.

Was bedeutet dies für die Frau im Finanzsektor?

Ein weiterer Stressfaktor: Vielfach ist die Produktivität im Homeoffice höher. Finanz- und Versicherungsunternehmen profitieren von einer gesteigerten Effizienz und gesunkenen Kosten im Vergleich zum Status vor der Krise.

«Im Versicherungssektor zeigt sich, dass mehr Abschlüsse gemacht wurden», sagt Sander. Dies habe mit wegfallender Reisezeit zu tun, die durch das Homeoffice eingespart werden könne. Auf die Frage, ob Frauen durch die gewonnene Zeit zuhause nicht mehr Freiraum erhalten, um sich ihrer Karriere zuzuwenden, sagt sie: «Es ist meine grosse Hoffnung, dass die Zeit etwa für Online-Weiterbildung genutzt wurde. Studienergebnisse weisen aber bis jetzt nicht in diese Richtung.»

Das Positive an der Krise

Ganz so pessimistisch wie die deutsche Soziologin Allmendinger ist Sander aber nicht. «Es ist viel mehr an Flexibiliät gewonnen worden. Zudem wurde das Bewusstsein geschärft. Frauen werden in zwei bis drei Jahren – also nach dem Corona-Rückschritt – von diesem Effekt profitieren», sagt sie. «Jene die bereits digital unterwegs waren, haben dies als Vorteil wahrgenommen. Eigene von Ihnen wurden sogar selbst zu Unternehmerinnen».