Noch relativ selten, aber immer öfter, findet man Orange Weine auf der Weinkarte oder beim Weinhändler. Was steckt dahinter? Kündigt sich damit der nächste Getränke-Trend an?

Von Karin M. Klossek, Mitgründerin der Lifestyle-Webseite Glorious Me

Auf den ersten Blick könnte man die Farbe Orange, nach Weiss, Rot und Rosé lediglich für einen neuen Farbtrend halten. Nach Aperol Spritz nun orangefarbener Wein? Ein klares Nein.

Während der Aperol Spitz seine intensive orange Farbe von einem Likör und dessen (chemischen) Farbstoffen erhält, steckt hinter Orangen Weinen ein anderes Konzept. Orange Weine verdanken ihre Farbe Weissweintrauben, die ähnlich wie Rotwein gekeltert werden.

Behutsam gepresst

Der orange Farbton kann sehr unterschiedlich sein und reicht von einem sehr hellen Orange, das an Rotgold erinnert bis zu einem Orange, das verrostetem Stahl gleicht.

Die Weissweintrauben lagern bei der Produktion von Orangen Weinen länger mit ihren Schalen auf der Maische, werden anschliessend sehr behutsam gepresst, bei manchen Winzern gefiltert und dann in Fässern aus Holz oder in Behältern aus Stahl, Beton oder Ton gelagert. Der Werkstoff Ton verrät es: Orange Weine herzustellen, erinnert an die alte, ursprüngliche Weise, Wein zu produzieren.

Was macht den Orangen Wein interessant?

Viele (nicht alle) Orangen Weine werden von Winzern produziert, die sich dem naturdynamischen Weinbau widmen, also Naturweine produzieren. Die Signalfarbe Orange ist ein guter Anlass, dem Thema Naturweine oder biodynamischen Weinen, die bislang eher ein Nischendasein geführt haben, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Was bedeutet Biodynamischer Weinbau? In der Reinform:

  • Verzicht auf Pestizide
  • Verzicht auf Herbizide
  • Verzicht auf den Zusatz von Hefen
  • Verzicht auf alle sonstigen Zusätze im Weinkeller
  • Verzicht auf den Zusatz von Schwefeldioxid (Sulfite), die Nachgärungen verhindern und den Wein leichter konservierbar machen.

Sulfite entstehen beim Gärprozess auf natürliche Weise und werden auch bei manchen Naturweinen in geringen Mengen zugesetzt. Bis zu einer Menge von maximal 30 mg Schwefel pro Liter darf der Wein in Europa als «Sulfit-Free» gekennzeichnet werden. Das klingt gut für Ihren Kopf am nächsten Morgen. Das klingt gut für die Natur. Das klingt gut für die Zukunft. Für Winzer bedeutet das:

  • mehr Arbeit
  • mehr Kosten
  • mehr Einklang mit der Natur
  • mehr Schonung für den Boden des Weinbergs
  • mehr Überraschungen.

Die Natur lässt sich nicht kontrollieren. Wenn Sie einen Orangen Wein finden: Ausprobieren. Das ist wortwörtlich gemeint. Orange Weine findet man noch relativ selten. Wenige Winzer produzieren ihn. Darunter sind sehr renommierte Winzer wie beispielsweise im französischen Elsass das Traditionhaus Domaine Zind-Humbrecht, die nach Jahrzehnten konventionellen Weinbaus einen neuen Weg gehen möchten, der die Böden in ihren Weingütern weniger auslaugt.

Orange Weine werden auch von einigen Jungwinzern produziert, die mit grossem Enthusiasmus, viel Handarbeit und Fleiss an einen Weinbau ohne Chemie glauben.

Terroir ernstgenommen und nicht nur eine Floskel

Das Zauberwort Terroir liebt jeder Weinkenner. Denn ist es nicht genau das, was wir schmecken möchte? Die Umgebung, in der der jeweilige Wein entstanden ist: Die Beschaffenheit des Bodens, bei dem die Reben womöglich um jeden Tropfen Wasser kämpfen mussten, die Pflanzenwelt im Weinberg, das Klima der Region. Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht.

Wo kommt mein Wein her, und was ist drin? Selbst die striktesten Weinverordnungen lassen noch viel Spielraum für Eingriffe im Keller, die mit der Natur wenig zu tun haben. Die Mehrzahl der Konsumenten erwartet ein relativ standardisiertes Produkt, zu dessen Beschreibung gerne exotische Früchte herangezogen werden, wie «Erinnert an Mango mit einem Hauch Zitrusduft und feinen Anklängen an Vanille im Abgang», selbst wenn der Wein aus einer Gegend stammt, in der nur Kartoffeln und Kraut wirklich gut wachsen.

Naturweine möchten das Terroir sehr viel stärker zur Geltung bringen. Denn ohne künstliche Zusatzstoffe und den Verschnitt mit Weinen aus anderer Regionen bleibt dem Wein zur Differenzierung nur sein Terroir auf dem die Weinreben stehen sowie die Sorgfalt und Stilistik des Winzers.

Oranger Wein als Naturwein ist ein Nischenprodukt

Oranger Wine als Naturwein lässt sich nicht zu einem Niedrigstpreis produzieren. Da er sich einer hohen Standardisierung natürlicherweise entzieht, ist er auf den meisten Weinkarten im Restaurant selten zu finden. Eine Qualität, die sich von Jahr zu Jahr sehr stark unterscheidet und damit den Vertrieb aufwändiger und die Erläuterung am Tisch des Gastes langwieriger macht, ist nicht überall möglich oder erwünscht.

Die Zahl der Gastronomen, wie das Restaurant Emma Metzler in Frankfurt am Main oder das Glacis Beisl im Museumsquartier in Wien, die ihr Weinangebot ganz bewusst auf Naturweine eingestellt haben, ist noch klein. Restaurants, wie das Naughty Piglets in London, die ausschliesslich Naturweine anbieten und Orange Weine als eigene Kategorie in ihrer Weinkarte ausweisen, sind noch rar.

Damit das Leben bunt bleibt

Der erste Versuch macht Sie vermutlich nicht gleich zum Fan von Orangem Wein. Im Gegensatz zum gewohnten Weißwein und zum gefälligen Roséwein, ist der Orange Wein individueller, meist etwas rauher und gewöhnungsbedürftiger. Genau das macht ihn interessant und spricht dafür, Orangen Wein auszuprobieren beispielsweise nach einem Besuch bei einem Weinhändler, dessen Herz (auch) für Naturweine schlägt. Daheim angekommen probieren Sie den Orangen Wein doch mal mit einer Tafel dunkler Schokolade. Eine schöne Kombination.

Wir wissen ja, dass sich am Tisch des Restaurants alle Augen auf Sie richten, wenn es um die Weinbestellung geht. Bei einem Geschäftsessen, bei dem es möglichst reibungslos am Tisch verlaufen soll, würden wir nicht empfehlen, auf Orangen Wein einzusteigen. Denn viel zu sehr ist unser aller Gaumen auf das bisherige Weinangebot trainiert.

In einer entdeckungsfreudigen, weininteressierten Freundesrunde kann ein erster Ausflug auf das Terrain des Orangen Weins Spass machen und eine lebhafte Diskussion über Weinvorlieben starten. Entdecken Sie demnächst auf der Weinkarte Orangen Wein, sind Sie bestens präpariert.


Karin M. Klossek lancierte 2018 mit Maike Siever die Lifestyle-Website GloriousMe.Net. Zudem ist sie Co-Gründerin der Branding-Beratungsfirma Glorious Brands in Frankfurt am Main. Zuvor arbeitete sie in Frankfurt, Auckland, Sydney und London in den Bereichen Mode, Financial Services und Gesundheit mit dem Fokus auf strategischer Markenführung und Marketing.