Die Branche könnte heute bei sich selber neuen Sinn und neue Zuversicht finden: Die Rezepte finden sich in den Regeln früherer Bankiers-Generationen. Ein Beitrag von Robert U. Vogler.

Erst gab es die Turbulenzen um die nachrichtenlosen Vermögen, dann tobten die internationalen Debatten über die masslosen Gehälter und Boni. Es folgte die Finanzkrise, wobei einige Banken nur mit Staatshilfe überlebten, in der Schweiz die UBS und in deren Windschatten die Credit Suisse. Einige wenige Banker fuhren für weite Teile des Finanzplatzes Schweiz einen gewaltigen Reputationsschaden ein, so gewaltig, dass das höchste Gut einer Bank – das Vertrauen der Kunden und der Öffentlichkeit – noch auf lange Zeit beschädigt und unter schärfster Beobachtung bleiben wird, auch für unbeteiligte Institute.

Diese Entwicklung begleitet uns nun bereits seit Ende der Neunzigerjahre. Doch wie konnte es so weit kommen?

Die heutige Situation wäre in der Schweiz zu verhindern gewesen, wenn einige alte Grundsätze des Bankgeschäfts beherzigt worden wären, Tugenden, die man mit gutem Recht auch als schweizerisch bezeichnen kann. Sie sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, viele davon basierend auf einer guten Erziehung im Elternhaus: gemeint sind Anstand, Ehrlichkeit und Respekt, Bescheidenheit und Rücksicht auf sozial Schwächere sowie Ehrgeiz in einem gesunden Ausmass. Es sind dies Eigenschaften auch eines echten Bankiers.

Kapitulation vor den Söldnern

Aber was mussten wir in den letzten rund zehn Jahren erleben? Eine nahezu totale Verwässerung dieser Werte, eine Kapitulation vor Söldnern, angeblich bestens ausgebildeten Investmentbankern, Managern angelsächsischen Zuschnitts, in ihrer Mehrheit in Tat und Wahrheit skrupellos und gefühlslos gegenüber jeglichen gesellschaftlichen Konflikten, total von sich selbst eingenommen, oft mit einem grossen Manko an Anstand, das kaum mehr aufzufüllen ist. «Leider ist es heute so: Die Hoffnung auf Anstand reicht nicht immer», sagte Hilmar Kopper, der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, unlängst in einem Interview.

Glaubte man anfänglich, diese Haltungen seien spezifisch für Investmentbanker, so mussten UBS wie CS feststellen, dass diese Attitüden sich wie ein Krebsgeschwür auch in ihrem Private Banking auszubreiten begannen. Resultat ist die Aushöhlung des Bankgeheimnisses durch die rechtlichen Auseinandersetzungen insbesondere mit den USA.

Ausbildung gut, Bildung ungenügend

Manager selbst bezeichnen sich oft als «Entrepreneurs», obschon sie als Angestellte keinerlei private Risiken für ihren Arbeitgeber eingehen. Der Begriff Manager aber übertüncht die Realität. Manager heisst nämlich gar nichts, in der angelsächsischen Welt wird auch der Chef eines Schuhladens als Manager bezeichnet.

Doch an was liegt es? Doch wohl mehrheitlich an einer guten Kinderstube und an Bildung – nicht Ausbildung, die wäre oft nicht schlecht. Aber an ihrem effektiven Bildungsstand sind schon lange mehr als Zweifel angebracht: «Jene bildungsfernen Schichten in den Handelssälen der Investmentbanken, die außer Hörweite des Sozialen ihren Geschäften nachgehen, werden gleichgesetzt mit dem Unternehmer, der forscht, herstellt und verkauft, der sich um seine Mitarbeiter kümmert, als seien sie Teil der eigenen Familie.» Treffender als Gabor Steingart im Düsseldorfer «Handelsblatt» (vom 8. November 2011) könnte man es nicht formulieren.

Offenbar vermitteln auch die hochgelobten Eliteuniversitäten nur Ausbildung und nicht das, was man unter Bildung versteht. Sie umfasst eben nicht nur Wissen, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung und transportiert ethische und moralische Werte. Dieser Mangel qualifiziert viele Manager als bildungsfern und langfristig wohl auch als bildungsresistent.

Fürs eigene Gewissen das Geld der Aktionäre verteilen

Das fehlende Engagement gegenüber der Gesellschaft wird oft durch pekuniäre Zuwendungen kompensiert, etwa Stiftungen oder grosszügige Spenden – eine moderne Variante des Ablasshandels zur Beruhigung des schlechten Gewissens. Oft geht die Arroganz der Manager so weit, dass sie sich in der Rolle eines klassischen Mäzenen wähnen, wenn sie im Namen ihres Hauses Geld verteilen, das den Aktionären ihrer Bank gehören würde und deren Anteil sie bereits einmal durch ihre masslosen Saläre und Boni geschmälert hatten.

Machen wir uns nichts vor. Auch eine respektable Zahl von Schweizer Bankmanagern – also leitenden Grossbankangestellten – waren mehr als anfällig für solche krassen Fehlentwicklungen. Einzelne Exponenten haben Entwicklungen in die Wege geleitet mit den grössenwahnsinnigen Vorstellungen, man könne im Chor der Allergrössten mitsingen. Ihnen fehlte in vielen Fällen das notwendige Rüstzeug, für welches nicht in erster Linie eine akademische Bildung nötig ist, dafür gibt es genügend Belege.

«Vom Verhältnisblödsinn zur Megalomanie und zum Grössenwahn»

Robert Holzach«Schauen wir uns doch die Fehlleistungen unseres Wirtschaftszweiges während der letzten zwanzig Jahre an! Es ist regelmässig menschliches Versagen gewesen, Ungenügen in der Einhaltung moralischer Wertverpflichtungen. Die Skala reicht von der einfachen Wirtschaftskriminalität über mangelnde Ernsthaftigkeit, fehlende Sorgfalt bis zum Verhältnisblödsinn und zur Megalomanie, zum Grössenwahn. Es ist ein Irrglaube, für menschliche Dienstleistungen und Partnerschaften auf das menschliche Mass verzichten zu können»: Das sagte kein geringerer als Robert Holzach (1922–2009). Holzach, erst Präsident der Generaldirektion und bis 1988 Präsident des Verwaltungsrates der Schweizerischen Bankgesellschaft, machte die prophetische Aussage im Jahr 1983 an der Direktionskonferenz seiner Bank.

Wir haben es also mit alten Verhaltensmustern zu tun, lediglich die Instrumente änderten – und vor allem die Grössenordnungen. Diese sind klar gefährlicher geworden, bis hin zur Systemrelevanz.

«Gesinnung wäre gefragt»

Holzachs Zitat enthält prophetische Worte aus dem Munde eines Bankmanagers alter Schule, der sich als Bankier verstanden wissen wollte und wohl ebenso in einer klassischen Privatbank Karriere gemacht hätte, wo die Gesellschafter noch mit ihrem Privatvermögen haften. Seine kontinuierliche Begleitung der Entwicklungen als auch der Fehlentwicklungen im Bankgeschäft hat vieles vorausgesehen.

In einem unveröffentlichten Text von 1996 wird seine Meinung über die «Hochkonjunktur des Handels» und deren Übertreibungen deutlich: «Auch Handel und Spekulation mit intakten Unternehmen sind ein aktuelles Thema unserer Börsenspezialisten und schon beinahe tägliches Spiel im Aktienhandel. (...) Der 'Markt' ist nicht einfach das durch alle Produktions- und Verteilstufen gültige und empfehlenswerte Feilschen um den derzeit gültigen Preis. Selbst die einfachsten Verträge dieser Art – denn um solche handelt es sich – unterliegen Usanzen und Regeln von Wohlerzogenheit und Anstand. (...) Ich spreche nicht von kriminellen Elementen, vielmehr spreche ich von den in der Wirtschaft aktiv Agierenden, die – als Generation, als abwegige Besserwisser oder als akademisch gebildete Pseudoelite – ihren Berufs- und Lebensinhalt ohne Engagement für Werte nur noch nach Zahlen und nach den anschliessenden Nullen bestimmen. Die Katastrophe droht aus der Übernahme solcher Mentalitäten. Gesinnung wäre gefragt, aber eine Mentalität von integralem Geldwertdenken wird angeboten.»

Wer mit dem Bentley kommt, ist verdächtig

Bleiben wir bei Robert Holzach. Er sah das Kreditgeschäft als die eigentliche Schule des Bankiers, weil es richtiges «Relationship-Banking» ist, wo sich Bankier und Kunde noch kennen, und weil es die beste Schule für die Einschätzung von Risiken darstellt. Von ihm soll das Bonmot stammen, dass ein Kreditnehmer, der mit dem Bentley vor die Bank fahre, als Kunde nicht mehr erwünscht sei. Wo und wie er die Katastrophe vorausahnte, mutet heute direkt hellseherisch an.

So prangerte Holzach bereits 1988 den schleichenden Niedergang des klassischen, grossen Kreditgeschäftes an, jenes Geschäftes also, welches die Schweizer Grossbanken dann im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts weitgehend aufgegeben haben, weil angeblich zu risikobehaftet und zu teuer. In Tat und Wahrheit hätten sie mit kleineren Risiken als im Investmentbanking stabile Erträge erzielen können, stattdessen fuhren sie netto betrachtet riesige Verluste ein.

Er warnte schon 1987 vor der Re-Regulierung

Holzachs Auge richtete sich auf die Innovationsfreudigkeit der Banken, auf Scheininnovationen, wo er bereits dann grosse Gefahren sah, noch lange vor der Subprime-Krise von 2008: «Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass die Erfahrungen und Lehren aus der gegenwärtigen Innovationsschwemme zu einer dramatischen Umkehr zwingen. (...) Die jetzt möglicherweise allzu nachgiebigen Aufsichtsbehörden werden dann mit entsprechend unerbittlichen Interventionen reagieren. (...) Nach schlechten Erfahrungen mit 'deregulations' wird eines Tages die notwendige Verbesserung möglicherweise über 'reregulations' angestrebt.» (in: Walter Wittmann, «Innovative Schweiz», Verlag NZZ, 1987).

Doch wo bleibt die neue Generation von Bankiers, welche an den Schalthebeln unserer Grossbanken diese falschen Entwicklungen wenigstens teilweise wieder rückgängig machen? Schaut man auf das Führungspersonal – wichtigstes Merkmal ist nach wie vor Hire and fire, ohne Kontinuität oder Personalplanung auf oberster Stufe, mit kurzen Durchlaufzeiten für CEOs und andere Exponenten –, so ist hier momentan noch wenig Ermutigendes festzustellen. Angelsachsen geben den Ton auf weiten Strecken an. Was machen die eigentlich besser?

Wir brauchen keine Schönwetterbankiers

Sie sind keine Bankiers, sondern bezahlte Söldner. Was wir brauchen, sind Bankiers mit dem Weitblick fürs Ganze, Durchhaltevermögen und allen bereits genannten Attributen. Vor allem auch keine Schönwetterbankiers, die die grossen Gewinne dann einfahren, wenn es alle tun, in weniger guten Zeiten aber das Weite suchen und bei der nächsten Bank anheuern.

Mit grösster Sicherheit gibt es in unseren Grossbanken auf mittlerer und oberer Kaderstufe Persönlichkeiten, die bereit sind, auch ohne astronomische Gehälter mit Engagement eine vorzügliche Arbeit zu leisten. Sie könnten die neue Generation zukünftiger Bankiers bilden. Ermutigende Beispiele gibt es, der Beweis muss aber erst noch geführt werden.

Lehren auch aus der jüngsten Vergangenheit

Diese Ideen – schon Ende letzten Jahres verfasst – haben durch die Ereignisse bei der Schweizerischen Nationalbank keineswegs an Aktualität eingebüsst, im Gegenteil. Berücksichtigt man die von Robert Holzach geäusserten Bedenken, so muss der seit Jahren schleichend begangene Verrat an einer liberalen Wirtschaftsordnung ins Auge stechen. Anstatt weniger Regulierung erleben wir immer mehr. Es stellt sich die Frage, ob nicht gerade viele Exponenten aus Wirtschaft und Politik mit ihrem Verhalten die direkten Treiber einer solchen Entwicklung sind, also diejenigen, welche sie dauernd anprangern.

Moralische und ethische Verfehlungen einzelner Persönlichkeiten laden jedenfalls dazu ein, Regulierungen aller Art und überall einzubringen. Leider scheinen diese hohen Ansprüche zwar immer wichtiger zu werden. Entscheidend ist aber, dass sie nicht nur schöne Worte bleiben, sondern auch gelebt werden. Andernfalls sind wir alle die Verlierer.


Robert U. Vogler war von 1988 bis 1998 Pressesprecher der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG), danach Leiter von Historical Research und bis Anfang 2009 Senior Political Analyst bei Public Policy von UBS. Bekannt wurde er durch seine grundlegende Schrift «Das Schweizer Bankgeheimnis: Entstehung, Bedeutung, Mythos» (2005). Seit 2009 wirkt er als unabhängiger Historiker.