Es braucht Länder wie die Schweiz, die für ihre Innovationsfreude bekannt sind, um das Potenzial tokenisierter Vermögenswerte zu fördern und weiterzuentwickeln.

Von Darko Stefanoski (links im Bild), Partner, Digital Law Leader Financial Services Switzerland und Orkan Sahin, Manager, Digital Law Financial Services Switzerland

EY Adv Kombi 500

Rechtliche Grundlagen für Distributed Ledger-Technologie und Blockchain in der Schweiz

Mit der einstimmigen Gutheissung der Rechtlichen Grundlagen für Distributed Ledger-Technologie und Blockchain in der Schweiz durch den National- und Ständerat werden die Entwicklungen im Bereich «Decentralized Finance (DeFi)» rasant voranschreiten.

Die Chancen stehen gut, dass die Gesetzesänderungen – insbesondere betreffend die Schaffung einer neuen Wertpapierkategorie im Obligationenrecht, die Aussonderung von tokenisierten Vermögenswerten im Fall eines Konkurses im Insolvenzrecht und die Schaffung einer neuen Bewilligungskategorie für DLT-Handelssysteme im Finanzmarktinfrastrukturrecht – bereits auf den 1. Januar 2021 in Kraft treten.

Dieses frühe Inkrafttreten würde einen starken Wettbewerbsvorteil für den Wirtschaftsstandort Schweiz bedeuten.

Was versteht man unter DeFi?

DeFi ist im Kern ein Sammelbegriff für dezentrale Finanzdienstleistungen unter Einsatz der Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Die daraus entstehenden Applikationen («Decentralized Apps» oder kurz: dAPPs) wachsen rasant mit unterschiedlichen Anwendungszwecken. Hierzu zählen beispielsweise die dezentrale(n)

  • Kreditgewährung und -aufnahme ohne Einbezug von Intermediären;
  • Zahlungsdienstleistungen, welche durch die involvierten Parteien (statt einer Drittpartei) abgewickelt werden;
  • Börsen, welche tokenisierte Vermögenswerte zwischen den Parteien ohne den Einbezug eines zentralen Verwahrers handeln;
  • Derivate, welche ohne einen dazwischengeschalteten Broker automatisch zwischen den Parteien gehandelt werden.

Viele der erwähnten Anwendungen befinden sich noch in der Entwicklungsphase, werden jedoch durch die etablierte Finanzindustrie mit grossem Interesse beobachtet.

Weitere Anwendungsbeispiele von DeFi, welche die Entwicklungsphase bereits hinter sich gelassen haben, sind unter anderem die Tokenisierung von Vermögenswerten, «Security Token Offerings» (STO), «Stablecoins» sowie digitales Zentralbankengeld. Im Folgenden gehen wir auf die Tokenisierung von Vermögenswerten näher ein.

Tokenisierung von Vermögenswerten

Bei der Tokenisierung werden Rechte (bzw. Anteile) an realen oder virtuellen Vermögenswerten in eine einzigartige digitale Abbildung – einen sogenannten Token – umgewandelt. Der Prozess der Tokenisierung ist zukunftsweisend, da er eine Verknüpfung zwischen realer und digitaler Welt herstellt. Tatsächlich existierende Vermögenswerte können dadurch digital übertragen, verwahrt und gehandelt werden, ohne dass es dabei einer zentralen Instanz oder eines Intermediärs (wie ein Auktionshaus, Online-Marktplatz oder Vermittlungsportal, Immobilienbroker, Autohändler, Wertpapierhaus oder eine Bank) bedarf, welcher die Abwicklung sicherstellt.

Die Tokenisierung von Vermögenswerten bietet weitere Vorteile, welche von einer höheren Kosteneffizienz bis zu verbesserten Möglichkeiten der Handelsfinanzierung reichen. Schwer bewegbare und illiquide Vermögenswerte können teilbar, handelbar und dadurch einem breiteren Anlegerkreis als «neue Anlageklasse» zugänglich gemacht werden.

Das Eigentum an einer Sache kann in einzelne Fragmente gestückelt und übertragen werden. Es lassen sich alle erdenklichen Vermögenswerte tokenisieren, beispielsweise Edelmetalle, Immobilien, Unternehmen oder wertvolle Raritäten wie ein Kunstwerk van Goghs.

Gleichzeitig bringt eine derartige Tokenisierung von Vermögenswerten auch Herausforderungen mit sich. Um die Attraktivität eines solchen Marktes mit entsprechender Liquidität sicherzustellen, braucht es professionelle Marktteilnehmer. Rechtssicherheit ist hier der entscheidende Faktor.

Weiter sehen sich auch Token-Emittenten mit einer Vielzahl von rechtlichen und regulatorischen Hürden konfrontiert (wie die Einholung von allfällig notwendigen Bewilligungen, Aufbau angemessener Governance-Strukturen, Einhaltung von regulatorischen Rahmenbedingen bei grenzüberschreitenden Aktivitäten, etc.).

Trotz des wachsenden Interesses an tokenisierten Vermögenswerten gehen – bis auf wenige Ausnahmen – traditionelle Finanzinstitute sowie die zuständigen Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden ausserhalb der Schweiz das Thema Tokenisierung bislang noch zurückhaltend an.

Es braucht Länder wie die Schweiz, die für ihre Innovationsfreude bekannt sind, um das Potenzial tokenisierter Vermögenswerte zu fördern und weiterzuentwickeln. Dieser Innovationsgeist, die Lebensqualität, Zugang zu qualifiziertem Personal und ihr unternehmensfreundliches steuerliches und regulatorisches Umfeld machen die Schweiz zu einem attraktiven Standort für solch innovative Vorhaben.

Ausblick

Die verschiedenen Anwendungen der DeFi eröffnen insbesondere den Finanzmärkten vielversprechende Möglichkeiten und wirken als Brandbeschleuniger im Digitalisierungsprozess der Finanzmarktakteure. Um die Chancen der Marktakzeptanz zu erhöhen, muss unseres Erachtens an folgenden Themen weitergearbeitet werden:

1. Ein Schlüsselelement für die Zukunft der Tokenisierung liegt in der Herstellung der Interoperabilität mit den vorhandenen (IT-)Systemen, um eine grössere Verbreitung zu erreichen und damit auch die Etablierung dieser neuen Anlageklasse in der Vermögensverwaltung und Anlageberatung. Hierzu sind weitere Anstrengungen nötig, um die Brücke zwischen dem traditionellen Finanzsektor und neuen DLT-bezogenen Unternehmen zu schlagen. Diese sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten.

2. Treibende Kraft der Tokenisierung ist die institutionelle Nachfrage. Professionelle Anleger bringen die nötige Liquidität in den Markt. Allerdings vertrauen diese in eine solide Infrastruktur (zum Beispiel hinsichtlich Verwahrung) und benötigen eine hohe Rechtssicherheit. Die Rechtssicherheit wird hoffentlich im Jahre 2021 mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Grundlage für «DLT-basierte Wertrechte» erreicht. Damit können die professionellen Anleger ihre Rolle wechseln: vom stillen Beobachter zum aktiven Teilnehmer.

3. Wie bei den traditionellen Finanzinstrumenten muss auch für tokenisierte Vermögenswerte mit Effektenqualität (sogenannte Security Token) ein funktionierender Sekundärmarkt sichergestellt werden. Weil es sich bei Security Token in der Regel um regulierte Finanzprodukte handelt, müssen die Betreiber von Sekundärmarktinfrastrukturen entsprechend bewilligt werden.


Lesen Sie unser Magazin, das regelmässig zum Thema «Decentralized Finance» Beiträge publiziert. Die aktuelle Ausgabe beinhaltet vertiefte Informationen zu den Themen tokenisierte Vermögenswerte, Security Token Offering, Stablecoin und digitales Zentralbankgeld (engl.: Central Bank Digital Currency, CBDC). Kontaktieren Sie uns, falls Sie über künftige Trends informiert bleiben möchten.