Die beiden Schweizer Grossbanken informieren dieser Tage zu den Cheflöhnen. Doch wie viel verdient das Kader? Die Bonizahlungen für das Jahr 2022 werden für einzelne Gruppen und Bereiche markant tiefer ausfallen, sagt Headhunter Klaus Biermann zu finews.ch.


Herr Biermann, wenn man sich bei einem Banker erkundigte, wie es ihm gehe, antwortete so mancher mit «frag' mich im März wieder, wenn der Bonus da ist». Ist diese Fixierung auf den Lohn im Zeitalter von New Work und Purpose noch verbreitet?

Das Gehalt ist sicher ein grosser Anreiz für eine Karriere in der Finanzbranche. Es wird auch mit geringeren Boni ein wichtiger Faktor der Industrie bleiben. Voraussetzung für die hohe Bezahlung muss jedoch die nachhaltige Profitabilität und die strategisch richtige Ausrichtung des jeweiligen Instituts sein. Ausserdem bieten Banken neben der immer noch sehr guten Bezahlung überdurchschnittliche Social Benefits und auch bezüglich New-Work-Thematiken sehr attraktive Angebote. Das Wohlbefinden sollte entsprechend nicht nur vom Bonus abhängig sein.

Also geht es den Bankerinnen und Bankern diesen März wieder bestens?

Je nach Struktur, Herkunft und dem einzelnen Arbeitsbereich gibt es natürlich grosse Unterschiede. Durch die Verschiebung von Boni hin zu Fixgehältern hat in vielen Bereichen die Bedeutung des Bonus über die Jahre etwas abgenommen. Wir dürfen bei der Diskussion um Boni und Gehälter das aktuelle Extrem- oder Negativbeispiel der Credit Suisse auch nicht auf die gesamte Industrie übertragen.

Wieso?

Es gibt sehr viele Institute, insbesondere auch klassische mittelgrosse Privatbanken und Institute in der Schweiz und mit Sitz im Fürstentum Liechtenstein, die sehr solide und nachhaltig arbeiten und wirtschaften.

«Die Mitarbeitenden, die nur über den Lohn motiviert werden, sind sicherlich nicht die besten»

Diese hatten über Jahre damit zu kämpfen, dass sie bewusster gewirtschaftet haben und nicht die teuren – wohlgemerkt sage ich nicht die besten – Talente für sich gewinnen konnten. Diese Politik scheint sich für einige Institute nun auszuzahlen.

Die meistgehörte Rechtfertigung für hohe Löhne lautet aber weiterhin, dass nur so die besten Leute zu holen wären. Stimmt das denn gar nicht?

Auf diese These hin sollte erst einmal definiert werden, wer denn die besten Leute sind. Sind das diejenigen, die schon die letzten Jahre trotz schlechten Ergebnissen und Nichterfüllung ihrer Verantwortung Sonderboni und hohe Fixgehälter bekommen haben? Sind die besten Leute diejenigen, die ihre Institute, Bereiche und Produkte strategisch absolut falsch aufgestellt haben? Sind es diejenigen, denen die kurzfristige und persönliche Nutzenoptimierung scheinbar wichtiger ist? Sind die besten diejenigen, die selbst das Rampenlicht suchen und sich über das Unternehmen stellen?

Das sind rhetorische Fragen.

Nehmen wir einmal an, die Credit Suisse hätte Ende 2022 folgendes beschlossen: Die Geschäftsleitung erhält keine Boni, ausserdem wird die Hälfe der Fixgehälter gestrichen oder als Zahlungen in Aktien gewandelt. Und weiter: alle Ebenen bis zu einem Fixgehalt von 180’000 Franken erhalten maximal 50 Prozent weniger Bonus als im Jahr zuvor. Alle anderen Mitarbeiter bekommen gar keinen Bonus, werden aber im Falle eines Gewinnes in den nächsten Jahren bevorzugt honoriert.

Was wäre passiert?

Das kann sicherlich niemand final beantworten. Jedoch sind die Mitarbeitenden, die nur über den Lohn motiviert werden, sicherlich nicht die besten. Natürlich würden nach einer Nullrunde einige kündigen – es gäbe aber insbesondere bei einer Adresse wie der Credit Suisse intern sehr viele Talente, die nachrücken könnten und vielleicht auch den Mut hätten, neue Aufgaben zu übernehmen und alte Prozesse und Strukturen aufzubrechen. Diese würden auch eine neue Identität schaffen. Es gäbe sicherlich zudem externe Talente und Personen, etwa ehemalige CS-ler, die bereit wären, bei einem glaubwürdigen Neuanfang mitzuwirken. Der Kunde würde ein solches Vorgehen sicherlich eher honorieren, Verständnis haben und die Treue halten.

Das klingt leider nach Wunschdenken.

Aber der andere Weg hat doch seit Jahren nicht funktioniert, und die aktuelle Situation spricht für sich. Die Credit Suisse muss sich eine neue Identität geben. Der Verwaltungsrat und die Aktionäre müssten hier auch viel stärkere Treiber der Veränderung sein. Diese Hoffnung ist jedoch, wenn man die vergangenen Jahre betrachtet, tatsächlich sehr gering. Schade ist, dass all dies immer auf dem Rücken der verdienten Mitarbeiter in der Region und im unteren und mittleren Management erfolgt.

Am gestrigen Montag wurden die Cheflöhne bei der UBS veröffentlicht. Es sticht ins Auge, dass dort CEO Ralph Hamers gut 1 Millionen Franken mehr verdiente, das Personal aber insgesamt weniger als im Jahr 2021. Wie wirkt eine solche Lohnschere bei den Mitarbeitenden aus?

Natürlich sind die Zahlen, einzeln betrachtet, riesig und für viele Marktteilnehmer nicht nachvollziehbar. Im Vergleich zu den internationalen Vergleichsinstituten ist das Gehaltspaket jedoch durchaus gerechtfertigt.

«Die Boni für das Jahr 2022 werden für einzelne Bereiche markant tiefer ausfallen»

Auch eine Steigerung aufgrund des Ergebnisses ist nachvollziehbar. Gleichzeitig muss der Bonus als variable Komponente gelebt werden, in schlechten Jahren sollte er auch geringer sein oder entfallen. Dass der Gesamtlohn des CEO steigt, wenn die Gehälter der Mitarbeiter nicht steigen, ist jedoch unglücklich. Wenn dem wirklich so ist, hätte dies vermieden werden sollen. Insbesondere im Erfolg ist die Sensibilität gegenüber dem Personal sehr wichtig.

Im Gegensatz zur UBS haben zahlreiche Akteure in der Finanzindustrie ein schwieriges Jahr 2022 hinter sich. Wie stark hat sich dies auf die Sondervergütungen ausgewirkt?

Die Bonizahlungen für das Jahr 2022, meist zahlbar zwischen Februar und April, werden für einzelne Gruppen und Bereiche markant tiefer ausfallen. Im Schnitt sehen wir im Wealth Management Kürzungen von 20 bis 30 Prozent, im Asset Management im Schnitt um 30 bis 35 Prozent, teils auch bis zu 50 Prozent. Investmentbanker hatten ebenfalls ein sehr schwieriges Jahr. Entsprechend sind die Boni auch hier teilweise um mehr als 50 Prozent gesunken. Natürlich gibt es, und das ist auch richtig, grosse punktuelle Unterschiede. Zudem werden Sondervergütungen nicht mehr so stark gleichmässig und mit der Giesskanne verteilt. Persönliche wie auch Team- und Unternehmen-bezogene Ziele fliessen in die Beurteilung stärker mit ein.

Wo im Finanzwesen steigen die Löhne eher noch?

Banker mit einem aktiven Kundenbuch im Private Banking, Investment Banking oder Asset Management besitzen zumindest das Potenzial, aus diesem Trend etwas herauszubrechen. Auch im Portfolio-Management sehen wir relativ stabile Boni.

«Eigentlich sollten die Aktionäre rebellieren»

Natürlich gibt es auch bei Unternehmen in Krisen viele sehr erfolgreiche Angestellte, die über die normale Leistungsgrenze hinaus Einsatzbereitschaft gezeigt haben – es darf aber nicht vergessen werden, dass die Mitarbeiter immer noch für ein Unternehmen und nicht für sich selbst arbeiten. Generell sehen wir aktuell und auch dieses Jahr kaum Raum für breite und markante Lohnsteigerungen in der Finanzindustrie.

Auch wenn sich die Märkte erholen?

Die Gehälter befinden sich bereits auf einem hohen Niveau, und bei einigen Adressen rächt sich vielleicht die Lohnpolitik der letzten Jahre. Es wurden auf gewissen Ebenen schlichtweg zu hohe Gehälter und Boni bezahlt. Sicherlich können sich auch die Bereiche Private Markets und Private Equity, die zuletzt sehr gehypt wurden, einer gewissen Konsolidierung der Gehälter nicht entziehen. Einzelne Sonderbereiche, wie beispielsweise der Infrastruktur- und Impact-Bereich, könnten Ausnahmen bilden. Hier erwarten wir punktuell Lohnsteigerungen.

Bei krisengeplagten Instituten sind die Löhne teils nicht so schnell gesunken wie die Einnahmen. Welche Signale sendet dies nach aussen?

Eigentlich sollten Aktionäre erkennen, dass gewisse Rahmenbedingungen respektive Gehälter nicht mehr zeitgemäss sind, und entsprechend rebellieren. Sie verhalten sich jedoch erstaunlich ruhig. Kurzfristige Ausnahmen und Anpassungen sind zuweilen notwendig und vertretbar – aber wenn ein Jahr dem nächsten folgt, wenn ein Modell der Gratifikation dem nächsten folgt, wenn nach einem Verlustjahr Boni gezahlt werden und im kommenden Jahr dann wieder neue Modelle entwickelt werden, um weitere Boni zu rechtfertigen, dann ist eher an der Grundstruktur etwas falsch.

Es besteht also Handlungsbedarf.

Die klaren Signale werden nicht wahrgenommen, und man versteckt sich hinter alten Floskeln, man verliere sonst die besten Talente. Ich ziehe hier gerne den Vergleich zum Fussball: Vereine, die durch Probleme, Verletzungen und Krisen in den Abstiegskampf geraten, können nicht einfach so weitermachen. Sie müssen eine neue Kultur, Arbeits- und Herangehensweise finden. Wer das nicht annimmt, schlittert immer weiter in die Krise und steigt höchstwahrscheinlich ab. Demut, Bescheidenheit und harte Arbeit sind gefragt, sowie Respekt vor dem Dienst am Kunden. Letzterer sollte über allem stehen.

Der so genannte War for talent existiert ja nicht nur in alten Floskeln, sondern ist angesichts des Fachkräftemangels im Banking brandaktuell. Manche Beobachter erklären, der gegenwärtige Arbeitskräftemangel sei nicht vorübergehend, sondern ein Megatrend. Zu recht?

Der demographische Wandel wird auch die Finanzindustrie treffen, vielleicht sogar noch härter als andere Branchen. Durch die Finanzkrise und den eingetrübten Ruf der Branche sind bereits jetzt die jüngeren und mittleren Jahrgänge unterdurchschnittlich vertreten.

«Die Kreativität mancher Arbeitnehmenden bezüglich zusätzlicher Social Benefits ist schier unendlich»

Das Durchschnittsalter steigt rasant an. Gleichzeitig erfreulich ist jedoch, dass im Vergleich zur Zeit vor der Finanzkrise ältere Ü-50-Mitarbeitende mehr geschätzt und auch gesucht werden. Ihr Rat und Wissen hat immens an Bedeutung gewonnen.

Tatsächlich?

Wo es früher noch hiess, mit Mitte 50 ist die Karriere im Banking spätestens vorbei, fängt sie heutzutage durchaus nochmals neu an. Auch bezüglich der Diversität muss das Alter eine grössere Rolle spielen. Generationen übergreifende Teams können insbesondere in der Vermögensverwaltung und Kundenbetreuung sehr grosse Mehrwerte liefern. Eine Industrie oder Branche, gerade im Dienstleistungsbereich, kann und darf es sich nicht leisten, auf die Erfahrung langjähriger Mitarbeiter zu verzichten.


Verschiebt sich die Verhandlungsmacht in Richtung Arbeitnehmende?

Aktuell sehen wir das nur für gewisse Bereiche, wie etwa im Vertrieb oder für einzelne Private Banker und Betreuer mit einem aktiven Kundenbuch. Ebenso haben jüngere Kandidaten und Talente mit einem diversen Background im Falle eines Wechselwunsches sehr gute Chancen, mehrere Opportunitäten für einen Wechsel in Betracht zu ziehen. Arbeitnehmende, die unternehmerisch und flexibel denken, sich stets selber hinterfragen und lernen, werden in den kommenden Jahren sicherlich wenig Probleme haben, eine neue Aufgabe zu finden.

Jüngere Arbeitnehmende finden flache Hierarchien und Home-Office angenehm. Aber wenn man in die Finanzbranche hineinhört, gewinnt man eher der Eindruck, es finde gerade eine Rückbesinnung auf die Arbeitswelt von vor der Coronakrise statt.

Die Arbeitswelt wird sicherlich nicht mehr so sein, wie sie es vor Corona war. Allerdings wird das Modell mit einer Überzahl an Home-Office-Tagen auch nicht mehr die Regel sein. Wichtig ist das Thema Flexibilität. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass dies sowohl für den Arbeitnehmer als auch für das Unternehmen gelten sollte. Wir gewinnen den Eindruck, dass einige Arbeitnehmende viel einfordern, und dass ihre Kreativität bezüglich gewünschter zusätzlicher Social Benefits schier unendlich ist. Final muss das Modell für das Unternehmen, die jeweilige Einheit und Struktur passen. Ich persönlich finde ein Modell mit ein bis maximal zwei Tagen Home-Office ideal und verträglich.

Wie handhaben Sie dies eigentlich bei Biermann Neff?

Bei uns im Team arbeiten wir seit vielen Jahren zusammen, man vertraut einander und wir leben hohe Flexibilität. Egal, wo jemand gerade ist, spüren wir, wann es wichtig ist, Dinge von Angesicht zu Angesicht zu besprechen. Das dies nicht überall durchsetzbar ist, ist klar. Wir sehen viel Potenzial in Modellen mit zusätzlichen Urlaubstagen oder einer Anzahl flexibler Tage, die man im Jahr frei wählen kann.

Am Ende hängt wohl viel an der Motivation. Wie zufrieden mit ihrer Arbeit sind die Finanzkader, denen Sie in Ihrer täglichen Praxis begegnen?


Wenn wir dies an unserem Eindruck aus tagtäglichen Gesprächen messen müssten, wäre die Zufriedenheit wahrscheinlich recht niedrig und weit unter 50 Prozent. Allerdings liegt das auch an unserem Job: Einem Headhunter teilt man die Unzufriedenheit und den Wechselwunsch eher mit. Zum Glück sehen wir in vielen Gesprächen, dass eine oberflächliche Unzufriedenheit doch nicht nachhaltig ist und viele im Brainstorming oder Gespräch mit uns erkennen, dass zahlreiche Dinge eigentlich gar nicht so schlecht sind, wie sie erscheinen. Entsprechend geben wir sehr vielen Kandidaten Feedback, dass Sie glücklicher und zufriedener sein sollten.

Sind Finanzprofis wehleidig?

Nein, das sind sie nicht. Aber zuweilen wird auf hohem Niveau geklagt. Wer unzufrieden ist, kann sich die Frage stellen: wie viele der Tage, die ich für das Büro verbringe, sind gut? Wenn die Quote unter 70 Prozent liegt, sollte man überlegen, was man verändern kann.


Klaus Biermann ist Mitgründer von Biermann Neff. Die Executive-Search-Firma mit Sitz in Zürich ist auf Talentsuche in der Finanzbranche spezialisiert. Dies mit einen Fokus auf den Bereichen  Wealth Management, Asset Management, Alternatives Anlagen und Privatmarkt-Investments sowie digitale Transformation.