Der legendäre Fondsmanager appelliert an Frankreichs Präsidenten: Carmignac sagt einen Wirtschaftseinbruch voraus und fordert dringend Reformen. Hier sein Text.

Zuletzt redete alles von Zypern, jetzt herrscht wieder mal Eurokrisen-Notfallübungs-Pause. Aber dass es demnächst weitergeht, ist wohl allen klar.

Sicher scheint auch, was dabei den schlafenden Elefanten in der Mitte des Raumes darstellt: Frankreich. Das Kernzonen-Land steht am Rande einer Rezession, und beim Budgetdefizit wie bei der Staatsverschuldung liegt es in der Problemzone Europas. Thomas Meyer, der ehemalige Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, erfasste die Lage unlängst mit dem Ausspruch, dass französische Finanzwerte bei genauer Betrachtung höhere Risikoaufschläge verdient hätten als italienische Papiere.

Einer, der für sein Land seit längerem schwarz sieht, ist Edouard Carmignac. Der Gründer der gleichnamigen Vermögensverwaltungsgesellschaft, einer der erfolgreichsten Fondsmanager unserer Tage, warnte schon einmal öffentlich vor schweren Rückschlagen – und er forderte, dass die Regierung dringend Reformen anpackt.

Jetzt hat Carmignac nachgelegt. In einem offenen Brief an Staatspräsident François Hollande, heute veröffentlicht, prognostiziert Carmignac einen BIP-Rückgang um 1 Prozent. Und er fordert, dass die Regierung den Staatsapparat endlich unter Kontrolle bringt. «Die Zeit drängt», schreibt er.


 

Edouard_CarmignacSehr geehrter Herr Präsident

Vor knapp neun Monaten habe ich Ihre Wahl zum Staatsoberhaupt begrüsst und auf die sich Ihnen bietende historische Gelegenheit hingewiesen, unser Land mit der Unterstützung der gesamten Gesellschaft tiefgreifend zu reformieren.

Ich habe mir zudem erlaubt, Sie auf die drohenden schweren Folgen der ersten von Ihrer Regierung angekündigten Projekte aufmerksam zu machen. Da meine Befürchtungen scheinbar ungehört verhallten, möchte ich Ihnen hiermit mitteilen, dass die Weiterverfolgung des aktuellen Kurses Frankreich meiner Überzeugung nach in eine dreifache Sackgasse wirtschaftlicher, politischer und moralischer Natur führen wird.

Die ergriffenen Massnahmen, die hinter den zuversichtlich stimmenden Ankündigungen ihrer Minister zurückblieben, und der von uns erwartete Einbruch des Bruttoinlandprodukts um 1 Prozent im laufenden Jahr werden weder die Stabilisierung der Arbeitslosigkeit noch die Reduktion des Haushaltsdefizits erleichtern. Kommt dies überraschend?


«Tatsächlich hat die Vertrauenskrise schwer kontrollierbare Konsequenzen»


Premierminister Jean-Marc Ayrault hat sich unglücklicherweise dazu entschieden, die Staatsausgaben nicht zu reduzieren, und versucht stattdessen, das Defizit der öffentlichen Hand auszugleichen, indem er die Haushalte und Unternehmen stärker belastet.

Der Einsatz staatlicher Ausgaben zur Stabilisierung einer sich abschwächenden Konjunktur ist grundsätzlich sinnvoll und eine Finanzierung dieses Zusatzaufwands durch eine vorübergehende Steuererhöhung für die höchsten Einkommensklassen an sich nicht unvernünftig. Doch unsere Volkswirtschaft ist aufgrund ihrer geringen Wettbewerbsfähigkeit zu einem längerfristig schwachen Wachstum verdammt, die Ausgaben der öffentlichen Hand belaufen sich auf 57 Prozent des BIP und werden zu lediglich 90 Prozent durch Steuereinnahmen gedeckt.

Vor diesem Hintergrund ist Ihre Weigerung, einen glaubwürdigen Plan zur Reduktion der Staatsausgaben vorzulegen, fast schon selbstmörderisch.

Tatsächlich hat die Vertrauenskrise, welche die Flucht nach vorne in Bezug auf die staatlichen Ausgaben ausgelöst hat, schwer kontrollierbare Konsequenzen.

Wie sollen Privathaushalte ihren Konsum erhöhen, wenn die Angst vor höheren Steuern und Arbeitslosigkeit umgeht?

Weshalb sollten Unternehmer in einen offensichtlich angeschlagenen Binnenmarkt investieren, während sie gleichzeitig mit einer geradezu konfiskatorischen Steuerbelastung konfrontiert sind?


«Die Rückgewinnung der Kontrolle über den Staatsapparat wird zur Frage der Moral und des öffentlichen Wohls»


Die Versuchung, unserem Land den Rücken zu kehren, nimmt zu, und zwar nicht nur in den Führungsetagen unserer Unternehmen, sondern auch bei den jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräften. Dies beeinträchtigt eine künftige Erholung.

Die Schlagseite des öffentlichen Sektors ist nicht Ihnen anzulasten. Frankreich ist das einzige Industrieland, in welchem die Zunahme der Staatsangestellten jene der Arbeitskräfte im Privatsektor seit 1987 übersteigt. Die Rückgewinnung der Kontrolle über den Staatsapparat wird damit zur Frage der Moral und des öffentlichen Wohls.

Eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit käme allen zugute, doch das Wirtschaftswachstum wird sich nicht beschleunigen, wenn Sie kein glaubwürdiges Reformprogramm umsetzen, das letztlich eine Beendigung der Sparpolitik erlauben wird.

Ich fordere Sie auf, mutig und visionär zu regieren. Frankreich hat zahlreiche Trümpfe, um den drohenden Abstieg zu vermeiden; darunter insbesondere unsere grossartigen Unternehmer, die in den letzten Monaten leider allzu oft den Eindruck von Verfolgten vermittelten.

Doch die Zeit drängt. Die Ereignisse in Europa überstürzen sich, und das Misstrauen, unter dem die politische Klasse Italiens leidet, muss zu denken geben.

In diesem Sinne möchte ich Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, freundliche Grüsse übermitteln.

Edouard Carmignac