Hiesige Finanzinstitute beeilen sich, den Frauenanteil in den Konzernleitungen zu erhöhen. Dennoch bleibt die Schweiz ein Diversity-Entwicklungsland. Der Arbeitsmarkt sorgt nun für Druck zur Veränderung.

29,4 Prozent – auf diesen Wert ist der Frauenanteil in den Verwaltungsräten der von Schweizer Unternehmen gewachsen, die im Swiss Market Index (SMI) und im Swiss Market Index Mid (SMIM) enthalten sind. Das ist ein Anstieg von 2,5 im Vergleich zum Vorjahr, wie einer neuen Studie des Personalberatungs-Unternehmens Russell Reynolds zu entnehmen ist.

Das Resultat ist einerseits positiv. Denn bis zum Erreichen der 30-Prozent-Marke und der Erfüllung der ab 2026 geltenden gesetzlichen Vorgabe ist es nicht mehr weit. Wenig schmeichelhaft ist hingegen der Befund, dass die Schweiz im europäischen Vergleich punkto Diversity nach wie vor ein Entwicklungsland ist. In den am französischen CAC40-Index gelisteten Unternehmen beträgt der Frauenanteil in Verwaltungsräten über 45 Prozent.

Diversity-Graben bei den Versicherern

Der Blick auf Schweizer Finanzinstitute ist zudem einer auf einen Entwicklungsgraben: Unternehmen wie Zurich Insurance (55 Prozent), die Credit Suisse (CS, 42 Prozent) oder neuerdings auch Julius Bär (40 Prozent) stehen mit ihrem Frauenanteil weit über der verlangten Quote. Auch eine UBS erreicht noch 33 Prozent. Es fehlt hingegen noch an Frauen in den Verwaltungsräten von Partners Group (25 Prozent), von Swiss Re (23 Prozent) und vor allem Swiss Life (18 Prozent).

Der grösste Schweizer Lebensversicherer weist zudem eine reine Männer-Geschäftsleitung auf. Punkto Diversity erscheint Swiss Life demnach als rückständiges Schweizer Unternehmen. Allerdings ist der Frauenanteil in den SMI- und SMIM-Unternehmen insgesamt mit 13 Prozent noch immer dürftig.

Druck ist enorm

Grundsätzlich zeigen die Russell-Reynolds-Daten aber: Finanzunternehmen, die eine hohe Frauenquote im Verwaltungsrat haben, verfügen in der Regel über eine gute Quote auch in der Geschäftsleitung. Zurich und CS belegen diese Regel. Bei Swiss Re und der UBS sitzen immerhin zwei Frauen in der Konzernleitung.

Der Druck auf die Unternehmen, nicht nur die gesetzgeberische Vorgabe, sondern auch die Erwartungen in der Öffentlichkeit, zu erfüllen ist enorm, wie aus einem Gespräch mit Michel Roserens, Berater bei Russell Reynolds hervorgeht. In den Suchaufträgen hätten Frauen derzeit absolute Priorität, beobachtet er und ist darum sicher: «Viel Unternehmen werden den Frauenanteil in der Geschäftsleitung und im Verwaltungsrat über die gesetzlichen Vorgaben hinaus erfüllen.»

Frauen-Pool wird kleiner, je höher die Karrierestufe

Einfacher, so scheint es, ist die Suche nach Verwaltungsrätinnen, was Roserens bestätigt. «Für ein Verwaltungsrats-Mandat ist eine Karriere als C-Level-Executive mit operativer Verantwortung nicht unbedingt ein Kriterium, das erlaubt bei der Suche mehr Freiraum. Für eine Karriere, die bis in eine Konzernleitung führt, braucht es sehr viel persönliches Commitment.»

Eine weitere Schwierigkeit ist: Der Frauen-Pool ist kleiner. In der Schweiz fehlt es nach wie vor an geeigneten Strukturen, um Frauen mit Familie die gleichen Karrierechancen zu ermöglichen wie Männer. Ist der Frauenanteil unter den Universitätsabschlüssen sogar noch etwas höher als jener der Männer, wird dieser immer kleiner, je höher die Karrierestufe. Es werden schon fürs mittlere Management deutlich weniger Frauen befördert als Männer – aufgrund systemischer Mängel im Wirtschafts-, Betreuungs- und Bildungssystem werden sie vielfach schon vor ihrer Karriere ausgesiebt.

Männerdominanz gilt als rückständig

Die Unternehmen sind darum gezwungen, eine aktive Diversity-Politik zu betreiben. Wie oft, ist die öffentliche Meinung mit ihren Erwartungen schon viel weiter fortgeschritten als die Gesetzgebung. Roserens beobachtet, «dass es für nur mit Männern besetzte Konzernleitungen schwierig geworden ist, Frauen zu rekrutieren. Solche Unternehmen gelten in mancher Hinsicht als rückständig.»

Zurück liegen die Schweizer Finanzunternehmen nicht nur darin, Frauen auch in sogenannte «Positions of Power» zu holen. Russell Reynolds beobachtet in in den Verwaltungsräten ein Missverhältnis von Frauen zu Männer bei Verwaltungsrats-Präsidien, Vize-Präsidenten und auch beim Vorsitz von Committees.

Männer wollen nicht nur mit Männern arbeiten

In den Geschäftsleitungen ist es ähnlich. Dort fällt beispielsweise auf, dass es bei Finanzunternehmen keine weibliche CEO und nur sehr vereinzelt CFO gibt, dafür aber die Position Chief Human Resources vielfach von einer Frau besetzt ist. Die CS beispielsweise hob diese Position erst vor gut zwei Jahren auf Konzernleitungsstufe. «Durch das Anheben von Human Resources auf Konzernleitungsstufe werden Frauenquoten verbessert», erklärt Roserens dazu. «Der positive Effekt: Eine Frau in der Konzernleitung ist vielfach die Türöffnerin für weitere Frauen-Rekrutierungen.»

Headhunter machen bei ihren Executive-Suchen inzwischen die Erfahrung, dass Frauen es schlicht ablehnen, einen Job in einer rein männlichen Konzernleitung anzunehmen. Und nicht nur Frauen, wie Roserens bestätigt. «Es gibt inzwischen auch viele Männer, die für solche Firmen nicht arbeiten möchten.»