Die Themen Diversity und Inklusion sind bei den Banken in aller Munde. Doch eine neue Studie zeigt: wo es um Geld und Macht geht, bleiben Frauen  die Ausnahme.

Gelingt es nicht, in der Geschäftswelt neue Regeln aufzustellen und neue Karrierewege zu schaffen, bleibt die Geschlechter-Parität in den Kadern von Schweizer Unternehmen ein Wunschdenken. Zu diesem Schluss kommen die Autorinnen des «Intelligence Report 2021» von Advance und der Universität St. Gallen (HSG). Advance ist eine Organisation in der Schweiz, die sich aktiv für mehr Frauen in Wirtschaftskadern einsetzt.

Die fünfte Ausgabe des Reports – er basiert auf Daten von 320'000 Angestellten aus 90 Organisationen – fällt nun ernüchternd und mit einem dringenden Appell aus. Die jüngsten Entwicklungen in den Kadern von Schweizer Unternehmen würden auf eine Stagnation von Frauenkarrieren hinweisen, heisst es.

Warten bis ins Jahr 2078

Seit 2018 sei der Frauenanteil im Kader um einen einzigen Prozentpunkt gestiegen. «Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, wird Geschlechterparität bestenfalls im Jahr 2078 Realität».

Im Report wird die untersuchte Unternehmenswelt nicht nach Branchen unterteilt. Es ist also nicht klar, ob sich das Geschlechterverhältnis in den Teppichetagen der Schweizer Finanzunternehmen verbessert hat. Man muss befürchten: nein, hat es nicht.

Zwar tun sich insbesondere die Grossbanken darin hervor, das Ungleichgewicht auf den Kaderpositionen und in den Verwaltungsräten zu verändern. Doch eine Studie der Hochschule Luzern Ende letzten Jahres zeigte auf, dass bei den kleineren Banken die Frauenquoten in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten nach wie vor sehr tief sind.

Andere Karriere-Spielregeln für Frauen

Die Autorinnen sagen klar: Für Frauen gelten andere Karriere-Spielregeln, und die Ursachen dafür sind systemischer Natur. Die Autorinnen vermeiden es aber tunlichst, die Einführung einer Frauenquote zu verlangen, um das festgestellte Ungleichgewicht aufzuheben.

Doch müssten für echte Fortschritte die Regeln geändert werden. Gudrun Sander, Titularprofessorin für Betriebswirtschaftslehre und Direktorin des Competence Centre for Diversity and Inclusion (CCDI) an der HSG, sagt, die Regeln der Geschäftswelt müssten neu geschrieben werden.

Neue Karrierewege schaffen

Es brauche «eine klare Vision der angestrebten Inklusions-Kultur. Zweitens müssen entsprechende Ziele in alle wichtigen Personalprozesse wie Rekrutierung, Beförderungen und Retention integriert und der Fortschritt gemessen werden.» Vor allem müssten auch Vorgesetzte ein inklusionsförderndes Verhalten im Umgang mit Mitarbeitenden im Führungsalltag leben, so Sander. Eine weitere Empfehlung aus dem Report ist, neu zu definieren, was Karriere bedeutet. Es müssten Führungsnormen infrage gestellt und neue Karrierewege geschaffen werden.

Das für den Report erarbeitete statistische Material ist in der Tat ernüchternd: Während die Geschlechterverteilung unterhalb des Kaders ausgeglichen ist, sind in Schweizer Unternehmen 83 Prozent des oberen Kaders sowie 77 Prozent des mittleren Kaders Männer. 79 Prozent aller Neubesetzungen im oberen Kader seien Männer, bei den Beförderungen ins obere Kader kämen zu 75 Prozent auch Männer zum Zug. Die meisten Frauen, so hält der Report fest, kommen kaum über die unterste Kaderstufe hinaus.

54'000 Frauen mit Hochschulabschluss 

Der Report schätzt die Anzahl von Frauen mit Hochschulabschluss, die nicht Teil des Arbeitsmarktes sind, auf 54'000. Wäre die Arbeitsmarkt-Teilnahme der Frauen bis ins Jahr 2025 gleichauf mit derjenigen der Männer könnte das Schweizer BIP um annähernd 190 Milliarden Franken anwachsen, heisst es weiter.

Die Frauen bleiben auf dem Weg zu einer Karriere auf der Strecke, so der Report. Die gängigen Strukturen, Prozesse und die Kultur in der Wirtschaft würden wie ein grosses Sieb funktionieren, das weiblichen Nachwuchs herausfiltere. Dies gelte umso mehr für die höheren Hierarchie-Ebenen.

Idealer Mitarbeiter: Männlich, Vollzeit

Damit hat das Schweizer Wirtschaftssystem die traditionellen Geschlechterrollen noch längst nicht überwunden. Frauen, das haben Schweizer Studien aufgezeigt, tragen bis zu 77 Prozent aller Aufgaben der Familien- und Betreuungsarbeit. Das gängige Karrieremodell konzentriert sich aber weiterhin auf den idealen Vollzeit-Mitarbeiter. Während Männer zwischen 31 und 40 Jahren ihre Karriere vorpfaden – etwa die Hälfte aller Beförderungen finden in dieser Altersspanne statt – sind Frauen vielfach für einige dieser entscheidenden Jahre Vollzeit- oder Teilzeitmütter.

Männer, so der Report weiter, würden in dieser «Rush Hour» des Lebens einen markanten Karrierevorsprung erhalten und für den Rest ihres Arbeitslebens behalten. Für Frauen könne diese Zeit als Karrierekiller betrachtet werden.