Eine US-Investmentbank rührt an einem Tabu, indem sie mit einem klaren Angebot auf Mitarbeiterinnen zugeht. In der Schweiz schreckt die Branche noch vor fixen Regelungen zurück, wie sich zeigt.

Ausgerechnet die schon als «Vampirkrake» gescholtene US-Investmentbank Goldman Sachs macht sich an ein Tabu heran. Das Institut bietet Mitarbeiterinnen nach einer Fehlgeburt drei Tage bezahlten Urlaub an, wie jüngst die amerikanische Zeitung «Wall Street Journal» (Artikel bezahlpflichtig).

Wobei die Signalwirkung nicht im Kurzurlaub liegt, sondern rein im Umstand, dass die Bank den Frauen signalisiert, dass sie sich mit dem Erlebten ans Unternehmen wenden dürfen. Das betrifft nicht wenige: Nach Angaben der Schweizer Spitalgruppe Hirslanden endet jede fünfte Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt.

Gesellschaftlichen Normen

Dennoch ist das Thema hierzulande weitgehend tabu, gerade am Arbeitsplatz. Die gesellschaftlichen Normen legen nahe, dass Frauen ihre Schwangerschaft nicht vor Ablauf von drei Monaten bekannt geben sollten. Die Tatsache, dass die meisten Fehlgeburten gerade in diesem ersten Trimester auftreten, macht die Erfahrung für die Betroffenen noch quälender.

Balz Stückelberger, Geschäftsführer des Branchenverbands Arbeitgeber Banken, hat sich auf Anfrage von finews.ch bei den Mitgliedern umgehört. Das Resultat: Keine der befragten Banken kennt eine fixe Regelung.

Alle betonten, aber, sagt Stückelberger, dass entsprechende Fälle in der Vergangenheit mit viel Verständnis und grosszügig gehandhabt wurden. «Den betroffenen Mitarbeiterinnen wird jeweils gesagt, sie sollen sich genügend Zeit nehmen, um das Ereignis zu verarbeiten und entsprechend auch bezahlte Absenztage zu beziehen.» Zudem böten viele Institute über ihre interne oder externe Gesundheitsberatung auch psychologische Betreuung an.

«Pauschalregelung kontraproduktiv»

Allerdings: Mehrere Banken hätten darauf hingewiesen, dass bei einer gesetzlichen Regelung die Mitarbeiterinnen gezwungen wären, den Grund der Absenz mitzuteilen – «was sie möglicherweise nicht wollen», so der Leiter Arbeitgeber Banken. «Insgesamt vertreten wir damit nach wie vor die Auffassung, dass es keine gesetzliche Regelung für diese Fälle braucht, und dass eine solche Pauschalregelung sogar kontraproduktiv wäre.»

Insofern wird bei der Arbeit wohl oftmals weiterhin geschwiegen und die schmerzvollen Erfahrungen der Privatsphäre zugeschlagen. Diese gilt zwar in der Schweiz als hohes Gut, und auch der Arbeitnehmerschutz ist hierzulande zweifellos besser als in den USA. Dennoch verkennen die Schweizer (Finanz)-Unternehmen einen Trend, wenn sie nicht aus eigenem Antrieb auf physische und psychische Notlagen ihres Personals eingehen.

Besonders im angelsächsischen Raum ist hierzu eine grosse Veränderungen zu beobachten. Dort haben mittlerweile auch Banken begonnen, Mitarbeitende in Fragen der psychischen Gesundheit zu schulen, etwa, um Kollegen vor dem Ausbrennen bei der Arbeit zu bewahren.

Eizellen einfrieren auf Wunsch

Die Technologieunternehmen des Silicon Valley waren Pioniere, wenn es darum ging, auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen. Als Facebook, der heutige Internet-Riese Meta, im Jahr 2014 seinen Mitarbeitern erstmals anbot, die Kosten für das Einfrieren ihrer Eizellen oder für Fruchtbarkeitshilfen zu übernehmen, entstand der Eindruck, dass das Unternehmen Frauen aufforderte, die Mutterschaft zu verschieben.

Tatsächlich reagierte das Unternehmen damit auf einen Wunsch seiner Mitarbeitenden. In der Zwischenzeit bieten viele Konkurrenten aus der Tech-Welt ähnliche Dienstleistungen an, ganz einfach, weil sie danach gefragt werden. Wenn Schweizer Unternehmen in der Rekrutierung wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen sie darüber nachdenken, wie sie proaktiv auch schwierige Themen zugehen können.