Die an der Urne hart erkämpfte Ehe für alle ist inkraft getreten. Doch reiche Paare und Unternehmerfamilien könnten mit dem neuen Gesetz noch manche Überraschung erleben, sagt der Rechtsanwalt und Lalive-Partner Werner Jahnel zu finews.ch.

Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass sich am 1. Juli lange Schlangen vor den Schweizer Standesämtern bildeten: Seit Monatsanfang gilt von Gesetzes wegen die Ehe für alle – gleichgeschlechtliche Paare können in der Schweiz heiraten, genau so, wie es in zahlreichen westeuropäischen Ländern bereits gang und gäbe ist.

Bisher sind hierzulande für Frauen- und Männerpaare nur eingetragene Partnerschaften möglich gewesen; das neue Gesetz bringt für sie nun auch die erleichterte Einbürgerung sowie die Möglichkeit, Kinder zu adoptieren.

Warnung vom Zivilstandsamt

Während in den Medien nur vereinzelt gleichgeschlechtliche Hochzeitspaare gezeigt werden, ist umso mehr von den Unsicherheiten die Rede, die mit der noch unerprobten Gesetzesänderung einhergehen. Das Schweizer Fernsehen «SRF» wusste gar zu berichten, dass in der Stadt Zürich das Zivilstandsamt Trauwillige vor rechtlichen Unsicherheiten warnt.

Auf einige Arbeit mit der Ehe für alle stellt sich auch Werner Jahnel ein, seines Zeichens Partner bei der Wirtschaftskanzlei Lalive Rechtsanwälte in Zürich und unter anderem Spezialist für Erb- und Scheidungsrecht. In dieser Kapazität berät er sehr vermögende Personen im In- und Ausland, sowie Unternehmen und deren Eigentümerfamilien - also jene Klientel, welche auch die Banken, Vermögensverwalter und -berater am Finanzplatz zu ihrer Zielkundschaft zählen.

Jahnel hat einige mahnende Worte an die Adresse von gleichgeschlechtlichen Paare übrig, die sich eine Eheschliessung oder eine Umwandlung der eingetragenen Partnerschaft überlegen. «Der 1. Juli müsste ein Trigger-Event sein, damit sich gleichgeschlechtlich Paare vertieft mit ihrer Gütersituation auseinandersetzen», sagt der österreichisch-schweizerische Jurist.

Emotional zwar wünschbar, aber...

In eingetragenen Partnerschaften war dies bisher nicht notwendig, weil im Trennungs- und Erbfall die Gütertrennung galt. In der Ehe ist hingegen die Errungenschaft massgeblich; beide Partner haben anteilig Anspruch am gemeinsam erarbeiteten Vermögen, auf Sozialleistungen und Vorsorge – was Scheidungen und Erbschaften schnell höchst konfliktträchtig macht.

«Während emotional eine Ehe wünschbar ist, spricht finanziell wohl einiges dagegen. Gerade, wenn der Vermögensunterschied zwischen den Partnern gross ist», erklärt Jahnel. In der Beratung würde er dazu tendieren, einen Ehevertrag zu empfehlen. Und dennoch: «Das Argument ist wichtig, dass diese Möglichkeit auch genutzt werden sollten, wenn sie an der Urne schon erkämpft wurde». Er rechne auf jeden Fall damit, dass die neu mögliche Umwandlung in eine Ehe genutzt werde.

«Extremer Dschungel»

Heiratswillige Paare würde jedoch auf einen «extremen Dschungel» treffen, in dem sich kaum jemand noch auskenne. Als tückisch erscheinen insbesondere die Regelungen, die ausländische Paare mit Wohnsitz in der Schweiz betreffen; gerade Zürich sei ein Hot-Spot für gleichgeschlechtliche Paare aus dem Ausland, weiss Jahnel. Dies dank den guten Arbeitsbedingungen und des liberalen Umfelds.

«Wir beraten viele internationale Mandanten, und was hier von Bedeutung sein wird: Im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen wurden in der Schweiz bisher nur als eingetragene Partnerschaft behandelt», sagt der Lalive-Partner. Mit der Gesetzesänderung ändert sich dies nun rückwirkend – sie werden automatisch als Eheleute betrachtet. Entsprechend gilt in der Schweiz für sie rechtlich im Todes- und Scheidungsfall ab sofort die Errungenschaft, und dies rückwirkend auf den Zeitpunkt der Eheschliessung im Ausland.

«Ich gehe von einigen Hundert Personen in der Schweiz aus, für welche dieser Mechanismus gilt», sagt Jahnel.

Und noch eine Gesetzesänderung

Es geht noch verwirrlicher. Wer im Ausland in eingetragener Partnerschaft lebt, wird zwar in der Schweiz auch als in einer solchen Bindung stehend betrachtet. Für die Vermögen gelten aber neu die rechtlichen Vorgaben beim Schweizer Güterstand einer Ehe, also die Errungenschaft. «Auch bei heterosexuellen Partnerschaften hat dies schon für Überraschungen gesorgt», berichtet Jahnel aus der Praxis.

Sinnigerweise fällt die Ehe für alle praktisch mit einer weiteren Gesetzesänderung zusammen, die für diese Praxis ebenfalls von Bedeutung ist. Mit dem neuen Erbrecht, das ab Anfang 2023 gilt, können kinderlose Eheleute neu die Ehepartnerin oder den Ehepartner zu 100 Prozent als erbberechtigt einsetzen.

Die Krux mit den Trusts

Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind oftmals kinderlos, weshalb der Pflichtteil der Eltern immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Auch das ändert sich nun zugunsten des Partners oder der Partnerin, was aber auch Konflikt-Potenzial birgt. «In der Praxis habe ich bereits viele Testamente gesehen, die den Pflichtteil der Eltern herabsetzen», sagt Jahnel. «Solche Testamente konnten bisher aber angefochten werden.»

Trusts wiederum, die für die Weitergabe von grossen Vermögen auch in der Schweiz eine Rolle spielen, markieren einen Sonderfall. Nutzniesser des Trusts haben wenig Einfluss auf dessen Ausgestaltung; Partner eingetragener Partnerschaften oder von Ehen müssen mit dem Treuhänder Kontakt aufnehmen, um ihre Wünsche bezüglich der Begünstigung des Partners anzubringen. Insbesondere sei abzuklären, ob gemeinsame Kinder, die nicht blutverwandt sind, begünstigt würden, sagt der Anwalt.

Bessere Basis im Streit mit Unternehmerfamilien

«Wir sehen auch in Familienverfassungen von Unternehmerfamilien sehr oft, dass nur heterosexuelle Verbindungen berücksichtigt werden», erklärt er weiter. Mit der Ehe für alle würde sich nun die Verhandlungsbasis von gleichgeschlechtlichen Partnern auf eine Berücksichtigung beim Erbe verbessern. «Denn Ehe ist schliesslich Ehe.»

Aktionärsbindungs-Verträge könnten hier mehr Klarheit schaffen, sagt Jahnel. Erbrechtlich führe die Diskussion über Pflichtteile an Unternehmen oder noch schlimmer an Immobilien zu Streit. «Wir sind in der Praxis immer wieder mit komplexen Verfahren rund um Pflichtteil-Verletzungen konfrontiert. Dieses heisse Eisen der Unternehmensnachfolge müsste im Erbrecht nun ebenfalls angepackt werden.»