Herr Lagassé, die Konsolidierung schreitet voran und das Projekt einer Grossbankenfusion wurde gerade wieder diskutiert. Wird der Schweizer Finanzplatz an Bedeutung gewinnen?

JF Lagasse

Jean-Francois Lagassé (Bild oben): Ich muss Sie leider enttäuschen. Ich glaube eher, dass das Gewicht der Schweizer Finanzindustrie als Ganzes in Relation zum Bruttoinlandprodukt sinken wird. Global tätige Fintech-Player drohen die Erträge der Schweizer Banken zunehmend wegzufressen. Wenn Sie den Bereich Payments anschauen: Apple oder Google Pay sind global kompatibel, während die hiesige Bankenlösung Twint nur in der Schweiz anwendbar ist. Oder das Kreditkartengeschäft: Neobanken wie Revolut sind inzwischen einflussreiche Konkurrenten.

Herr Savoia sprach vor allem die Bedeutung des Schweizer Wealth Management an.

In dieser Disziplin bin ich auch eher zuversichtlich. Die Schweizer Privatbanken werden weiterhin von globalen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und der Stabilität des Landes profitieren können. Und ja, Grösse kann im Wealth Management ein Vorteil sein. Nichtsdestotrotz: Der Schweizer Finanzplatz benötigt einen gewaltigen Innovationsschub, sonst wird er an Bedeutung verlieren.

Welche Art von Innovationsschub?

Der Schweizer Bankenplatz sollte sich überlegen, wie die Blockchain-Technologie genutzt werden kann, um ein Geschäft oder eine Aktivität wirklich global zu skalieren. Libra, die Kryptowährung von Facebook, ist so ein Beispiel.

«Chinas Strategie ist, die Hoheit des Dollars anzugreifen»

Schauen Sie nach China, das einen grossen Vorsprung auf uns hat: Dort arbeitet die Zentralbank an einem China Coin. Und Ant Financial hat mit Alipay ein international anerkanntes Zahlungssystem. Die Strategie ist augenscheinlich, die Hoheit des Dollars anzugreifen und eine alternative Währung zu etablieren.

Muten da Szenarien wie eine Fusion zwischen UBS und Credit Suisse oder ein grenzüberschreitender Zusammenschluss mit einer anderen Grossbank nicht wie ein Akt der Hilflosigkeit an?

Das ist ein anderes Thema: Da geht es in erster Linie um den Wettbewerb mit den US-Banken, den der europäische Bankensektor in den vergangenen zehn Jahren verloren hat. Keine europäische Bank ist noch unter den Top Ten der globalen Investmentbanken. Die Amerikaner haben direkt nach der Finanzkrise konsolidiert.

In Europa herrscht einerseits Protektionismus und Regierungen schützen Banken, die sie als «Nationale Champions» bezeichnen, die aber oft langfristig nicht überlebensfähig sind. Andererseits ist die Regulierung in Europa uneinheitlich. Allerdings sehen wir nun gewisse Bewegungen, beispielsweise in Italien und in Spanien, wo grössere Fusionen bereits stattgefunden haben. Für eine echte europaweite Konsolidierung im Bankensektor braucht es aber grenzüberschreitende Deals.

Zweifeln Sie daran, dass es zu einer grenzüberschreitenden Konsolidierung innerhalb Europas kommt?

Es wird sicherlich schwierig angesichts nationalstaatlicher Einwände. Doch eine Konsolidierung ist und bleibt notwendig weil die hohen Kosten der Regulierung und der Digitalisierung eine bestimmte Grösse bedingen.

«Das Schweizer Private Banking ist noch nicht vereinheitlicht»

Denn Fakt ist: Der europäische Bankensektor verliert laufend an Wert, weil die einzelnen Institute Eigenkapitalrenditen aufweisen, die ihre Kapitalkosten nicht decken. Setzt sich dies fort, wird früher oder später eine amerikanische oder eine asiatische Finanzgruppe auftauchen und den Markt konsolidieren. Es wäre aber sehr wichtig, dass «europäische Champions» entstehen.

Innerhalb der Schweiz läuft eine Konsolidierung im Private Banking. Droht ein Einheitsbrei der Angebote und Dienstleistungen, wenn immer mehr kleine und mittelgrosse Institute verschwinden?

Die Konsolidierung bei den Privatbanken ist nicht so weit fortgeschritten, dass man von einer zu starken Vereinheitlichung sprechen kann. Sie hat zudem zwei Phasen: Zuerst waren es die Auslandsbanken, die ihr Schweizer Privatbanken-Geschäft verkauft haben, nachdem sie in der Finanzkrise Staatshilfe erhalten hatten. Beispiele sind hier Lloyds, ABN Amro oder die Royal Bank of Scotland mit Coutts.

Seit kürzerem sind Banken in Schweizer Besitz die Konsolidierungsobjekte: Vielen von Ihnen fehlt es an Grösse, Kapitalbasis und internationalem Netzwerk.

Ist der Verkauf von Reyl an Intesa Sanpaolo, den Sie beratend begleitet haben, so ein Beispiel?

Die Reyl Gruppe hat sich in den 15 Jahren, seit François Reyl und seine Partner das Ruder übernommen hatten, sehr gut entwickelt. Damals war Reyl ein Vermögensverwalter, der knapp eine halbe Milliarde Franken Kundengelder hatte. Nun sind daraus beachtliche 14 Milliarden Franken geworden.

Das ist der Erfolg einer Nischenstrategie, die auf Unternehmerkunden fokussierte und auch Family-Office oder Corporate-Advisory-Dienstleistungen anbietet. Allerdings brauchte die unabhängige Reyl eine stärkere Bilanz, um weiter zu wachsen. Mit Intesa Sanpaolo als Partner hat Reyl dieses Problem nun nicht mehr.

Sie beide machen bei Schweizer Banken einen grundsätzlichen Innovationsbedarf aus. Nun sind Banken ohnehin eher «late adopters», aber jetzt ist die Dringlichkeit hoch. Was hält die Banken noch davon ab?

Reto Savoia: Empirisch lässt sich klar sagen: Wichtige Innovationen kommen praktisch nie aus grossen Unternehmen mit ausgeprägten hierarchischen Strukturen. Ein anderer Punkt ist – und dafür sprechen die nach wie vor komfortablen Saläre, die im Schweizer Banking bezahlt werden –, dass es den Banken einfach noch immer zu gut geht. Bis vor wenigen Jahren herrschte in den Chefetagen gar noch eine gewisse Arroganz gegenüber Fintechs und anderen neuen Marktteilnehmern.

Jean-Francois Lagassé: Wenn wir Banken vor 30 Jahren anschauen, dann waren diese zum Beispiel punkto IT-Systeme wirklich auf dem höchsten Stand. Heute liegen sie weit hinter anderen Branchen zurück.

«Die Banken holen zwar auf, bekunden aber nach wie vor Mühe»

Ein Grund dafür ist, dass Banken und Versicherer nach der Finanzkrise vor lauter Regulierung den technologischen Anschluss verloren haben. Gleichzeitig haben Fintechs und die grossen Techkonzerne das Bankenbusiness angegriffen und verändert. Die Banken holen zwar auf, bekunden aber nach wie vor Mühe, sich die neue Technologie anzueignen, diese gewinnbringend anzuwenden und ihr Geschäft weiter zu entwickeln.

Wie meinen Sie das genau?

Schauen Sie das Datenmanagement an: Banken und Versicherer wissen noch immer wenig mit ihren riesigen Datenmenge anzufangen. Richtig angewendet könnten die Banken und Versicherungen zu Marktplätzen mutieren, die für ihre Kunden sämtliche finanziellen Belange managen. Doch da stehen die Unternehmen noch am Anfang ihrer Reise.

Haben die Finanzunternehmen überhaupt die Fähigkeiten, aus eigener Kraft zu innovieren oder müssen sie sich dabei auf Berater wie Sie stützen?

Ich denke, der Einsatz von neuen Technologien hat bei Banken und Versicherern bisher vor allem darauf fokussiert, effizienter zu werden und gewisse Geschäftsprozesse zu automatisieren.

«Technologiethemen werden in der Schule zu spät behandelt»

Ein anderer Fokus der Banken richtete sich auf mögliche Kooperationen mit Infrastrukturanbietern sowie den Fintechs, Regtechs und Insurtechs dieser Welt. Kooperationen oder auch Übernahmen sind auch in anderen Branchen, beispielsweise in der Pharmaindustrie, bewährte Methoden, um interne Innovationen zu beschleunigen.

Reto Savoia: Wenn man einen grösseren Blickwinkel einnimmt, kommt man vielleicht zum Schluss, dass die Schweizer Wirtschaft eher ein inkrementeller als ein radikaler und disruptiver Innovationstreiber ist. Am Stundenplan meiner Kinder sehe ich auch, wie spät Technologie- sowie Wirtschaftsthemen ins Curriculum aufgenommen werden. Ausserdem fehlt in der Schweizer Kultur das Element, nach Grösse und Bedeutung zu streben – das hat Vor- und Nachteile. Wir pflegen eher eine Ingenieurskultur, wir verbessern und optimieren Dinge – das «Think Big» und «Go Bold» ist weniger die schweizerische Denkweise.


Reto Savoia ist seit Juni 2019 CEO von Deloitte Schweiz, einem der führenden Beratungsunternehmen. Er gilt als einer der führenden Steuerexperten und hat vor 2019 als Leiter Client & Industries Leader die Expansion von Deloitte im Schweizer Markt vorangetrieben. Savoia, der über je einen Masterabschluss in Betriebswirtschaft und Recht verfügt, ist zudem Verwaltungsrat von Deloitte North West Europa und ist Vorstandsmitglied von Economiesuisse. 

Jean-Francois Lagassé leitet bei Deloitte Schweiz den Bereich Finanzdienstleistungen und Banken und gehört zum Schweizer Führungsteam. Lagassé ist ausserdem globaler Leiter Wealth Management bei Deloitte. In über 20 Jahren internationaler Erfahrung hat Lagassé zahlreiche M&A- und Bewertungsmandate für Banken inne gehabt. Kürzlich hat er die Übernahme von Reyl durch Intesa Sanpaolo begleitet.

Gold hat mit 2'400 Dollar ein neues Allzeithoch erklommen. Ist dies der Anfang einer nachhaltigen Hausse?
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