Im Herbst 2019 eröffneten die Sängerin Romy Dübener und der Unternehmer Fredy Wiederkehr, Erfinder von Foxtrail, einer Art Schnitzeljagd durch Städte, ihr Gästehaus im südlichen Piemont, das für ein perfektes Weekend allerhand zu bieten hat, wie sie im Interview mit finews.ch verraten. 


Herr Wiederkehr, warum sind Sie Hotelier geworden?

Ich bin nicht Hotelier im engeren Sinn. Ich verstehe unser Engagement im «Giarvino» nicht als dritte Berufskarriere. Vielmehr wollte ich mit meiner Partnerin Romy Dübener eine Oase schaffen, wo wir Gastgeber sind und unseren Gästen einen perfekten Rückzugsort bieten. Deshalb muss «Giarvino» auch keinen Gewinn abwerfen; ich bin mit einer schwarzen Null zufrieden.

Am Anfang haben wir uns die Frage gestellt: Ist es wirklich sympathisch, wenn Schweizer hier, mitten im Piemont, etwas hinklotzen? Aber das entspricht nicht unserem Selbstverständnis. Wir lassen die Einheimischen ihre Produkte herstellen und überraschen unsere Gäste damit.

Wie sind Sie zu Ihrem heutigen Job gekommen?

Ursprünglich hatte ich den Wunsch nach einem Rustico im Tessin oder einem Ferienhaus in Norditalien und freute mich darauf, ein entsprechendes Objekt zu sanieren. Aber dann stellte sich die Frage: Was machst Du danach, wenn die Arbeiten erledigt sind? Dolcefarniente im Liegestuhl?

Giarvino Innenhof Bild ZVG1

Ich hatte Foxtrail verkauft. Meine Schwiegertochter sah das Gästehaus (Bild oben) per Zufall bei einem Makler ausgeschrieben. Uns war sofort klar: Das ist es!

Uns faszinierte die Balance zwischen alt und neu. Und wir hatten die Idee, nicht nur Verwandte zu beherbergen, sondern auch Gäste, die bereit sind, für die erbrachten Dienstleistungen zu bezahlen. Der Kauf ging relativ schnell vonstatten; der Verkäufer war ebenfalls ein Schweizer.

Verraten Sie uns fünf Gründe, was Ihr Haus aussergewöhnlich macht?

Erstens ist die bauliche Substanz aussergewöhnlich, gewachsen aus einem alten, 500-jährigen Haus, von dem noch Teile vorhanden sind. Und wir haben mit dem lokalen Architekten etwas Neues geschaffen.

Zweitens: Die Lage 200 Meter höher als das noch nicht sehr touristische römische Städtchen Acqui Terme und nur zwei Stunden ab der Schweizer Grenze ist ideal.

Giarvino Bild AKV1

Drittens, die Gesamtanlage (Bild oben) umfasst vier Hektar. Im Zentrum steht der Weingarten; ein benachbarter Winzer keltert für uns unseren eigenen Wein. Es gibt eine Reihe von Obstbäumen, die wir noch ergänzen, einen Zeremonienplatz, den sogenannten Druidenwald an einem Hügel, der ein alter, verbriefter Kirchenstandort mit der Ruine einer Kapelle war, und wo ein Druide gelebt haben soll.

Viertens: Im Wald steht den Gästen ein Picknickplatz mit Pizzaofen zur Verfügung. Man findet bei uns also zahlreiche Nischen, um ruhen, geniessen und entdecken zu können. Und dann möchte ich noch unsere hochstehende regionale Küche erwähnen. Im Mittelpunkt stehen Wein, Trüffel und regionales Wild.

Für Aperos im Freien gibt es schliesslich ein Dutzend verschiedene Plätze. Und wir bieten interessante kulturelle Veranstaltungen.

Was war das Verrückteste, was Sie in Ihrem Berufsalltag erlebt haben?

Dass mein Risiko, eine Beamtenkarriere mit der Idee für das Outdoor-Spiel Foxtrail zu tauschen, in hohem Masse befriedigend war.

Wie definieren Sie Gastfreundschaft?

Giarvino Frühstücksbüffett Bild AKV1

Gastfreundschaft ist für mich sozusagen die Fortsetzung meines Engagements bei Foxtrail: Ich bin der Unterhalter, der die Leute verblüffen und erfreuen will. Aber ich gehe das nicht frontal an; ich schaffe Möglichkeiten, dank denen sich die Gäste selber vergnügen können, ohne dass ich den Unterhalter spiele. Unter unseren Gästen entsteht zudem so etwas wie eine Familie. Aber niemand wird genötigt, daran teilzunehmen; es gibt genug Rückzugsmöglichkeiten, wenn Gäste unter sich bleiben möchten.

Welche VIPs durften Sie als Hotelier schon begrüssen?

VIPs im engeren Sinn haben wir bisher nicht beherbergt. Wir behandeln jeden Gast als VIP. Zum Beispiel schenken wir den Vino del Padrone aus und betonen, dass dieser nur ganz besonderen Gästen vorbehalten ist.

Was bietet Ihr Hotel für ein «perfektes Wochenende» zu zweit?

Die Tramonto- oder Panorama-Suite (Bild unten) mieten, die Fenster auf drei Seiten bietet, mit einem Bett, das ein Kunstschmied gefertigt hat.

Giarvino Panoramic Studiosuite Tramonto Bild ZVG2

Am Freitag gibt es ein Begrüssungsapéro in der lauschigen Pergola mit weissem Hauswein. Dann servieren wir ein Essen auf dem Baumhaus, das im August fertiggestellt wird, und ziehen uns danach diskret zurück.

Am Samstag Bummel durch Acqui Terme mit einem Besuch der Thermen und einer Massage. Dann ein kaltes Plättchen bei uns im Weingarten und danach ein Spaziergang durch die Obstgärten. Aperitif im Druidenwald mit Farinata, einem dünnen Kuchen aus Kichererbsenmehl, im Pizzaofen gebacken, dazu Geschichten über Druiden, Trüffel etc.

Nach einem Besuch unserer Sauna und einer Abkühlung im Pool ein Diner tête-à-tête. Und natürlich kann man an unseren Events teilnehmen: Trüffel-Verkostung, Vernissagen, Musikabende etc.

Was sind Ihre nächsten Pläne im Hotel?

Das Fundament für die Hängebrücke zum erwähnten Baumhaus ist betoniert; die Brücke stammt aus den USA und liegt bereit, ebenso das Eisen für die Montage. Zwei Holzspezialisten aus der Schweiz werden das Haus im August bauen. Es wird naturnah bleiben, mit Schilf gedeckt, und einen weiteren Rückzugsort in die Natur bieten.

Giarvino Sonnenuhr Bild AKV1

Den Bereich Kultur werden wir weiter ausbauen. Romy hat ihre Karriere in der Schweiz als Sängerin, Chorleiterin und Unterrichtende zurückgefahren; jetzt wollen wir hier kulturelle Angebote schaffen. Konzerte, Künstler, die hierher zum Arbeiten kommen: Hier sollen Geschichten entstehen.

Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeitenden?

Damit gemeinsame Projekte reüssieren und alle am selben Strick ziehen, muss man die richtige Stimmung schaffen. Zudem gehe ich mit gutem Vorbild voran, lege wenn nötig auch Hand an.

Die rigiden italienischen Arbeitsgesetze erschweren es allerdings, die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Einsatzort zu haben.

Was ist Ihr Geheimtipp in der näheren Umgebung?

Eine Wanderung mit mir auf Schleichwegen, die nicht ausgeschildert sind, durch die Rebberge (Bild unten) nach Alice Bel Colle: traumhaft. In Alice Bel Colle gibt es eine schöne, alte Kirche, und mitten im Dorf einen Felssporn, auf dem früher ein Kastell stand, heute eine beliebte Aussichtsplattform mit absolut wunderbarer Aussicht.

Giarvino PiazzArena Bild ZVG1

Was war der beste Ratschlag Ihrer Eltern?

Eigentlich war mein Berufswunsch Architekt; ich spürte offenbar schon als Kind meine Kreativität. Doch die Eltern rieten zu einer praktischen Ausbildung. Deshalb habe ich auf der Gemeindeverwaltung von Mägenwil AG eine kaufmännische Lehre gemacht.

Was motiviert Sie jeden Tag aufs Neue, Ihren Job auszuüben?

Schon als Gemeindeschreiber von Diemtigen, auch als Leiter der Wirtschaftsförderung Berner Oberland, bei Foxtrail und jetzt hier auf «Giarvino» erlebe ich jeden Tag neue Gestaltungsmöglichkeiten. Kein Tag ist wie der andere, und das beflügelt mich.


Fredy Wiederkehr wurde nach einer kaufmännischen Grundausbildung Gemeindeschreiber von Diemtigen im Berner Oberland. Nach elf Jahren und einem BWL-Nachdiplomstudium war er für weitere zehn Jahre Leiter der Wirtschaftsförderung Berner Oberland, was in jener Region vor allem die Förderung des Tourismus bedeutet. Die dort gesammelten Erfahrungen trugen massgeblich zur Entwicklung von Foxtrail während den Ferien und in der Freizeit bei. Sein Ziel war nicht, eine eigene Firma zu besitzen, sondern draussen zu sein und neue Parcours zu entwickeln. Nach dem Verkauf von Foxtrail suchte er zusammen mit seiner Partnerin Romy Dübener nach einer neuen Aufgabe, welche die beiden nun mit dem, Ende 2019 nach einem Umbau neu eröffneten, Gästehaus «Giarvino» gefunden haben.