Der Planet Wein ist endlos. Darauf gibt es nicht wenige Tropfen, die überschätzt werden – vor allem die überteuerten. Und es gibt Crus, die kaum jemand wahrnimmt – zu Unrecht. finews.ch-Weinredaktor Peter Keller nennt ultimative Beispiele für beide Kategorien.

Wein ist und bleibt Geschmackssache. Wer Pinot noir nicht mag, kann mit dem feinsten Burgunder nichts anfangen. Wer konzentrierten, opulenten Rotweinen aus dem Weg gehen will, wird nicht nach einem Primitivo aus Apulien greifen.

Glücklicherweise ist die Auswahl an edlen Tropfen aus Europa und Übersee so gross, dass alle Geniesser und Geniesserinnen etwas Passendes finden. Es werden freilich Gewächse produziert, die entweder über- oder aber ungerechtfertigt unterschätzt werden. Wir sagen, welche Weine das sind.

Einmal genügt

Der Preis gehört zu einer jener Eigenschaften, die bei einem Wein sehr häufig überschätzt werden. Man findet etliche Crus, die zu einem eigentlichen Luxusgut geworden sind. Die Devise: Je höher der Preis, desto besser das Produkt. Angeblich. Ein gehypter Bordeaux, ein rarer Burgunder, ein kalifornischer Kultwein: Die Qualität eines solchen Gewächses, das drei- oder gar vierstellige Summen kostet, kann gar nicht so viel besser schmecken als ein etwas preiswerterer.

Nur Weinsnobs und superreiche Etikettentrinker rennen überteuerten Tropfen nach. Klar: Vielleicht möchte man einmal im Leben einen Premier Grand Cru classé aus dem Bordeaux oder den Kultwein Grange aus Australien trinken. Doch einmal genügt, um sich fast zu ruinieren.

Name ist oft glanzvoller als das Gewächs

Neben diesen berühmten Etiketten kommen zunehmend mehr Marken- und Marketingweine von Weingütern auf den Markt, die neu aus dem Boden gestampft worden sind. Ohne Vergangenheit, ohne Tradition. Mit wenig Herkunftstypizität.

Etliche werden masslos überschätzt, etwa konzentrierte «Supertoskaner», moderne Spanier aus dem Ribera del Duero, austauschbare Markenweine aus Chile oder Kalifornien. Auch unter den Prominenten gehört es inzwischen zum guten Ton, ein Weingut zu besitzen. Oft ist der Name des Besitzers glanzvoller als die erzeugten Gewächse. Daher: Finger weg.

Ähnliches gilt für sogenannte Naturweine, die so natürlich wie möglich und ohne Interventionen im Keller produziert werden. Eine Definition dafür existiert indessen nicht. Gewisse Sommeliers loben die Tropfen kritiklos in den Himmel. Grösstenteils aus nicht nachvollziehbaren Gründen: Viele sind fehlerhaft und stinken. Die überschätzten Gewächse dürften eine Modeerscheinung sein und werden beim breiten Publikum nie einen gewichtigen Platz erobern.

Beaujolais leidet am schlechten Image

Neben den Blendern gibt es auch Mauerblümchen, von denen (fast) keiner redet. Zwei der am meisten unterschätzten Weinanbaugebiete liegen in Frankreich. So bietet das landschaftlich reizvolle Elsass eine breite Auswahl an schönen Weissweinen – vom frischen Riesling bis zum aromatischen Gewürztraminer.

Weiterhin an einem schlechten Image leidet das Beaujolais, dem unsäglichen Marketingwein «Beaujolais Nouveau» sei Dank. Da geht völlig unter, dass qualitätsbewusste Winzer ausdrucksstarke Crus aus der Sorte Gamay keltern – leistbare Trouvaillen der Extraklasse.

Deutschland wird noch immer unterschätzt

Einen schwierigen Stand hierzulande besitzen die deutschen Weine. Man traut dem grossen Nachbarn immer noch nicht so recht. Dabei bietet das Land das beste Preis-/Genussverhältnis unter praktisch allen Ländern, gerade für die klar unterschätzten Spitzenweine. Wo sonst findet man einen Grand Cru, in Deutschland «Grosses Gewächs» genannt, für 40, 50 Franken? Rieslinge sind unschlagbar, Pinots noirs oder Spätburgunder werden von Jahr zu Jahr besser.

Unter den Anbaugegenden der Neuen Welt sind die Weine aus Südafrika ein Geheimtipp. Am Kap der Guten Hoffnung wächst eine Vielzahl interessanter Trouvaillen in Weiss und Rot, aus einheimischen Sorten wie Pinotage und Chenin blanc, aus populären Trauben wie Syrah und Chardonnay.