Im Bankgeschäft muss man Rückschläge einkalkulieren, sie sind aber (meistens) nicht existenzgefährdend. Als Bergsteiger – sie haben auch die Eiger Nordwand durchstiegen – BASE-Jumper und Wingsuit-Flyer wissen Sie: Unfälle können fatal sein. Das ist ein Unterschied.

Grundsätzlich sollten wir alle, auch als Privatmenschen, immer gewisse Rückschläge einkalkulieren. Dies kann verschiedene Ebenen betreffen wie zum Beispiel die Gefühls-, Gesundheits- oder auch geschäftliche Ebene. Ich verwende deshalb immer wieder Zeit für sehr persönliche Reflexionen.

Sprung vom Titlis im Juli 2016

Dabei geht es mir darum, nicht alles als gottgegeben hinzunehmen, sondern immer wieder alles infrage zu stellen und zu hinterfragen: Was wäre, wenn es anders käme? Dies zwingt einen auch zu einer gewissen Demut, auch wenn dieser Begriff sehr altmodisch klingen mag. Ich glaube aber, dass dies ein sehr gutes Regulativ ist.

Unter Extremsportlern gilt es beinahe als Gesetzmässigkeit: Man beginnt mit einem Topf voll Glück und irgendwann ist dieses Glück aufgebraucht. Sehen Sie Parallelen zur Geschäftswelt?

Ich halte diese Sicht für etwas zu vereinfacht und halte mich lieber an eine statistische Betrachtung. Eine der beiden Komponenten des Risikos, die Eintrittswahrscheinlichkeit, sagt ja nichts über einen möglichen Zeitpunkt aus. Dies wird übrigens häufig intellektuell vernachlässigt. Vielfach wird davon ausgegangen, dass eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit eher zu vernachlässigen ist.

«Das bedeutet, dass ich in 90 Prozent der Fälle nicht tot bin»

Aber selbst bei 10 Prozent Eintrittswahrscheinlichkeit kann das Ereignis im nächsten Moment zu treffen. Insofern halte ich die zweite Komponente des Risikos, die Schadenshöhe, für viel wichtiger in der Bewertung des Risikoappetits, den ich eingehen möchte.

Wie kombinieren Sie diese Risikokomponenten?

Wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses bei 10 Prozent liegt und die Schadenshöhe den Todesfall bedeutet, kann es dennoch im nächsten Augenblick eintreffen. Das bedeutet auch, dass ich in 90 Prozent der Fälle nicht tot bin. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Und?

Der Jurist würde sagen «kommt ganz darauf an». Damit will ich sagen, dass Risiken immer ganz individuell und entsprechend der gegebenen Rahmenbedingungen zu beurteilen und zu bewerten sind. Allgemein gültige Aussagen halte ich hier nicht für angebracht.

Das Problem mit Risiken ist: Auch hier steigt die Kurve exponentiell an. Das heisst, irgendwann sind die Risiken nicht mehr zu managen.

Wenn ich die Analyse der Unfälle in unserem Sport zu der Beantwortung der Frage heranziehe, komme ich zu der Erkenntnis, dass es vermutlich nicht ein objektives Risiko ist, das exponentiell steigt. Meiner Auffassung nach steigt das subjektive Risiko, also das (Fehl)Verhalten von Menschen, sehr häufig exponentiell in dem Masse an, wie ihr Können oder ihre Selbstsicherheit steigen.

«Unfälle sind fast immer auf Selbstüberschätzung zurückzuführen»

Mit ganz wenigen Ausnahmen sind die von mir analysierten Unfälle, die ich im Detail kenne, fast immer auf persönliche Selbstüberschätzung zurückzuführen. Meine These ist deshalb: «Es gibt per se keine gefährliche Sportart, sondern nur zu risikobereite Menschen».

Sie sagen: Es gibt das Risiko des Nichtriskierens. Dieses Risiko scheint im Banking in Bezug auf dringend notwendige Transformationen allgegenwärtig.

Auch wenn es häufig verdrängt wird: Das Kerngeschäftsmodell einer Bank ist doch nichts anderes als die Risikotransformation. Insofern sind Banken immer schon zwingend darauf angewiesen, mögliche zukünftige Risiken zu bewerten und in ihren Produkten entsprechend einzupreisen, zum Beispiel im Kreditgeschäft.

Ich denke eher an den Digitalisierungsdruck von aussen...

Die neuen Zielbilder im Banking sind die einer digitalen Plattform-Ökonomie, bei der Banken integraler Bestandteil von gesamten Wertschöpfungsketten werden. Zentrale Dreh- und Angelpunkte dabei sind immer die vom Kundenbedürfnis ausgehenden Anforderungen. Diese erfordern sowohl einen tiefgreifenden als auch immer schnelleren Wandel sowohl in der Banken-IT, aber auch bei den Führungskräften und Mitarbeitenden.

«Im Krankenhaus hatte ich genügend Zeit zu reflektieren»

Agilität und Veränderungsbereitschaft in bisher eher behäbige Verhaltensweisen zu integrieren, ist eine der grossen Herausforderungen. Nicht Handeln ist hier für Banken keine Option - und nicht Entscheiden ist auch eine Entscheidung!

Es war jetzt – im Alter von 63 Jahren – Ihr erster schwerer Unfall. Was ziehen Sie für Konsequenzen daraus?

Nach zwölf Tagen im Krankenhaus hatte ich genügend Zeit, das Erlebte zu reflektieren. Ich kann für mich sagen, dass ich es weder verdrängen muss noch dass es mich zukünftig belasten wird. Es ist halt das eingetreten, was für mich immer schon ein mögliches Szenario war. Natürlich bin ich dankbar, dass ich einigermassen glimpflich davon gekommen bin.

«Jetzt hat einmal die Statistik zugeschlagen»

Auch hier ist das Wort Demut nicht unpassend. Ich werde meinen Sport auch künftig fortführen und noch mehr auf mögliche Eintrittsszenarien der Risiken vorausschauend eingehen. Aus meiner persönlichen Verantwortung für meine Familie würde ich den Sport aber sein lassen, wenn es nicht mehr vertretbar wäre. Keinesfalls würde ich aber den Sport in einem anderen Licht sehen, nur weil jetzt einmal die Statistik zugeschlagen hat.

Und im Banking?

Im Banking würde das für mich bedeuten, meine Risikosysteme mal wieder zu hinterfragen und auf Aktualität zu überprüfen. Risiko ist ja, wie wir wissen, die Multiplikation von Eintrittswahrscheinlichkeit mit Schadenshöhe. Es gilt also sowohl die Modelle und Systeme als auch den Risikoappetit und -tragfähigkeit immer wieder zu überprüfen.


Bernhard Sauer ist als Bankenberater auch öfters in der Schweiz anzutreffen. Er berät die Hypothekarbank Lenzburg bei Digitalisierungs- und Transformationsprojekten. Sauer ist Diplom-Ingenieur sowie Berg- und Skiführer. Seit über 20 Jahren betreibt der 63-Jährige zudem das BASE-Jumpen, also Fallschirmspringen von festen Objekten sowie das Fliegen mit sogenannten Wingsuits.

Gold hat mit 2'400 Dollar ein neues Allzeithoch erklommen. Ist dies der Anfang einer nachhaltigen Hausse?
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