Er messe Erfolg am Vermächtnis, das seine berufliche Tätigkeit hinterlasse, sagt Carmine Orlacchio im Interview. Und er verrät auch, weshalb Ray Dalio, Harry Markowitz und Daniel Kahneman für seinen Job so wichtig sind. 


Carmine Orlacchio, was bedeutet für Sie Erfolg?

Erfolg hat für mich mehr mit einer qualitativen als mit einer quantitativen – sprich: finanziellen – Dimension zu tun. Ich messe Erfolg am Vermächtnis, das meine berufliche Tätigkeit hinterlässt. Ich habe ein Unternehmen (mit-)gegründet, eine Unternehmenskultur geprägt, einen Anlageansatz mitentwickelt.

Habe ich einen Mehrwert für unsere Kundinnen und Kunden geschaffen? Habe ich die Anerkennung der Mitarbeiter des Unternehmens und der Stakeholder im Allgemeinen verdient? Wie viel von all dem wird meine aktive berufliche Karriere überdauern?

Was treibt Sie an?

Es ist die tägliche Herausforderung, das Richtige zu tun. Beim Geldanlegen ist man jeden Tag von neuem gefordert, den Blick für das grosse Ganze zu behalten und nicht der kurzfristigen Dynamik zu verfallen. Mein Ziel muss es sein, die langfristige Effizienz und die Effektivität unserer Anlagelösungen zu verbessern.

Dabei muss ich mir der emotionalen Dimension meines Berufs sehr bewusst sein. Es ist herausfordernd und motivierend zugleich, die Dinge immer wieder in den langfristigen Rahmen zu setzen, und nicht der Versuchung nachzugeben, kurzfristig zu handeln. Die Grundprinzipien des Investierens und des Risikomanagements sind noch nicht neu geschrieben worden.

Was war die grösste Herausforderung zu Beginn Ihrer Karriere?

Privat war es eine grosse Herausforderung, das Gleichgewicht zu finden zwischen der Familie und dem Aufbau des Unternehmens. Zum Glück war meine Frau sehr verständnisvoll. Beruflich war es eine riesige Challenge, ein Asset-Management-Unternehmen auf der grünen Wiese aufzubauen. Also ohne bestehende Kunden, Vermögen, Produkte oder Track Record. Wir sind mit einer guten Idee, einer klaren Vision und sehr viel Idealismus gestartet. Die ersten Jahre waren hart.

Wer kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie gebeten werden, einen «Leistungsträger» zu nennen?

Ich beschränke mich auf die Finanzwelt. Ein Leistungsträger bei weitem nicht nur in Bezug auf Performance ist sicherlich Ray Dalio, der gerade sehr im Trend liegt. Ich habe vor 20 Jahren über seine «Prinzipien» gelesen und fand seinen Ansatz sehr inspirierend, weil er eben nicht Gewinnmaximierung predigte und dass der ganze Rest dann von selbst folgen würde.

Mein liebster Evergreen ist aber Harry Markowitz. Seine bahnbrechenden Erkenntnisse werden leider allzu oft trivialisiert, etwa durch unrealistische Annahmen zum Markt-Portfolio und der Effizienzkurve. Markowitz wird oft zitiert, aber – so wage ich zu behaupten – selten gelesen.

Ein weiterer Grosser der Finanzmarktwissenschaft ist Daniel Kahneman. Er trug wesentlich zur Erkenntnis bei, dass auch der Kaiser der Anleger nackt ist – sprich: dass auch Anleger nur Menschen sind, also keine Master of the Universe oder Optimierungsmaschinen. Seine Erkenntnis daraus besteht darin, dass wir uns bewusst sein müssen über unsere Grenzen und über die kognitiven Verzerrungen, die unsere Entscheidungen beeinflussen.

Welche Leitsätze verfolgen Sie?

Führung gelingt nur mit gegenseitiger Anerkennung. Um Anerkennung zu erhalten, muss ich meinen Leuten nahe sein, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Probleme erkennen und verstehen. Nur so kann ich sie in ihrer beruflichen Entwicklung unterstützen und dadurch auch das Unternehmen weiterbringen. Das ist meine Aufgabe.

Ich verfolge dabei einen integrativen Ansatz, höre zu, analysiere und bin auch bereit, einen anderen Standpunkt als meinen zu akzeptieren. Eine Führungspersönlichkeit ist kein Stern, der in seinem eigenen Licht erstrahlt. Um die astronomische Analogie beizubehalten, ist er oder sie eher ein Planet. Sein Licht – und sein Erfolg – ist nur der Reflex der Menschen, die er oder sie führt.

Ich bin stolz darauf, zu sehen, wie sich die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, über die vielen Jahre in der Firma entwickelt haben und gewachsen sind. Dank ihnen wurde die OLZ eine Erfolgs-Story.

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Spass, was am wenigsten?

Als Verwaltungsrat und Geschäftsleitungsmitglied der OLZ wie auch bei den operativen Geschäftsprozessen werde ich zunehmend durch Regulierungsaufgaben absorbiert. Das ist ziemlich trocken und teuer für das Unternehmen – und auch wenig inspirierend. Voller Energie bin ich immer dann, wenn ich an Anlagelösungen arbeite oder organisatorischen Herausforderungen lösen darf.

Welchen Rat geben Sie jemandem mit, der heute eine Karriere im Asset Management beginnt, oder Ihrem jüngeren Ich?

Geld ist wichtig – aber ganz sicher nicht das Wichtigste. Wählen Sie als Berufseinsteiger nicht den Arbeitgeber, der am meisten zahlt, sondern ein Umfeld, das intellektuell anregend ist. Lassen Sie sich von der Neugierde leiten und der Ambition, alles verstehen zu wollen.

Dem Junior oder der Juniorin, der oder die in unser Unternehmen eintritt, sage ich: «In den ersten Jahren wirst Du Dir Deine berufliche Grundlage erarbeiten». Wenn man jung ist und voller Energie und Ideen, sollte man die Extrameile gehen und auch Risiken eingehen.

Wofür sind Sie dankbar?

Dafür, dass ich nicht materialistisch bin. Geld gibt mir vor allem die Freiheit zu denken und zu handeln.

Was ist Ihre Lieblingsspeise oder Ihr Lieblingsmenü?

Die «cucina italiana» muss ich ausschliessen, ihre Auswahl ist schlicht zu gross und zu vielfältig. Es ist, als würden Sie mich fragen: Lieben Sie Ihre Frau oder Ihre Mutter? Konzentrieren wir uns also auf die Schweizer Küche: Suure Mocke mit Härdöpfustock!

Welches Buch lesen Sie gerade?

Ich lese gerade einen Klassiker der 1980er-Jahre: «The bonfire of the vanities» von Tom Wolfe. Der Autor prangert auf ironische Weise die egoistische «Gier ist gut»-Haltung an, welche die Finanzindustrie in den 1980er- und 1990er-Jahren beherrschte und die schliesslich in der Grossen Finanzkrise 2008 mündete.

Am Autoren Tom Wolfe fasziniert mich, wie er mit scharfem Blick auf die Finanzindustrie schonungslos die Widersprüche der US-Wirtschaft aufdeckt und der ganzen westlichen Kultur den Spiegel vorhält. In gewisser Weise fand ich in seinen Büchern eine Erklärung für die heutige Regulierungsflut, die jetzt über mir/uns zusammenschwappt in der gutgemeinten Absicht, die Finanzbranche von ihren Sünden zu heilen.

Welche berühmte Person würden Sie gerne kennenlernen?

Papst Franziskus, aber nicht, weil ich Italiener bin und eine katholische Erziehung erhalten habe. Ich betrachte ihn als eine der wenigen einflussreichen Personen auf der Welt – wenn nicht sogar die einzige, die Brücken statt Mauern baut und einen integrativen Ansatz verfolgt.

Sein Name – im Gedenken an den heiligen Franziskus – ist Programm: Er versucht, eine Institution mit 2000 Jahren Geschichte (und auch Skandalen) zu revolutionieren, sie in ihren ursprünglichen Geist und mehr mit der Basis in Einklang zu bringen. Mission (fast) unmöglich.

Was war Ihr Lieblingsfach in der Schule?

Geschichte. In den ersten Schuljahren war ich von der griechischen und römischen Geschichte fasziniert. In der Oberschule und später an der Universität faszinierte mich die Vorstellung von Geschichte als Evolution, als Folge des sozialen und technischen Fortschritts, der neue Formen der wirtschaftlichen Organisation einer Gesellschaft fördert. So bin ich implizit über die Jahre dann zur Philosophie übergegangen.


Carmine Orlacchio ist Gründungspartner und Chief Investment Officer der 2001 gegründeten Finanzboutique OLZ. Er schloss sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Neapel (Italien) und Rochester (New York, USA) ab und ist eidgenössisch diplomierter Finanzanalytiker und Vermögensverwalter (CIIA). Ferner ist er Forschungsassistent am Institut für Finanzmanagement der Universität Bern. Seine Spezialgebiete sind Asset Allocation und Asset Management-Strategien. Er sammelte seine Praxiserfahrung bei der IBI Privatbank in Zürich, zuletzt als Head Asset Management.

Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit mit der Asset Management Association.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.57%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.88%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.97%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.04%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.55%
pixel