Ein gewisses Pflichtgefühl ist durchaus positiv, doch manchmal sollten wir stattdessen auf unseren Bauch hören. Eine Anleitung, die nicht nur für Erkältungen gilt.

Von Tamara Schneider


«Ich denke dabei nicht an sie, sondern an ihre Kollegen, die sie anstecken.»

Diese Antwort gab mir mein Arzt, nachdem ich ihm versichert hatte, dass er mich nicht krankschreiben müsse. Mit ein paar Tabletten und reichlich Tee würde das schon irgendwie funktionieren und arbeiten könne ich trotzdem, so mein Standpunkt.

Krankheit vs. Arbeitsplan

Wir kennen es alle, besonders jetzt in der kalten Jahreszeit: Es bahnt sich eine Erkältung an – gewappnet mit Aspirin Complex, Erkältungskapseln und Tee schleppen wir uns Tag für Tag weiter zur Arbeit.

Die Nase läuft, Gliederschmerzen breiten sich aus, die Stimme wird schwach, am Nachmittag ist der Schädel dicht - aber das wird schon! Bloß nichts liegen lassen, der Zeitplan ist eng getaktet, die Deadlines stehen – Fehlzeiten passen gerade gar nicht rein.

Haben Sie schon mal mit einem Virus gesprochen und es darum gebeten doch bitte in vier Wochen wieder zu kommen, weil eine Erkältung gerade so gar nicht in Ihren Arbeitsplan passt? Es wäre interessant zu wissen, wie kompromissbereit so ein Virus wäre.

Erfahrungsgemäss kommen Krankheiten nun einmal wann sie möchten. Somit bleibt es an uns hängen, mit uns und unserer Gesundheit bestmöglich umzugehen.

Umgang mit Gesundheit und Krankheit

Die gute Nachricht ist: Einstellung und Verhalten sind veränderbar. Wenn es um den Umgang mit einer Situation geht, geht es auch um Gefühle, kognitive Bewertungsprozesse, die innere Haltung und die eigenen Regeln des Selbstmanagements.

Krankheit ist ein Stressfaktor. Befüttern wir diesen mit weiteren negativen Affekten wie Ärger, Zeitstress, Wut oder Ungeduld, weil die Erkältung einfach zu lange andauert, so laufen wir geradewegs in eine Negativspirale von Krankheit – Stress – Krankheit – Stress - … Wie lässt sich diese Spirale unterbrechen?

Bauch und Kopf

Um persönliche Ressourcen bestmöglich zu aktivieren, müssen wir das Unbewusste (den Bauch) einschalten. Nach dem Zürcher Ressourcen Modell, entwickelt von den Psychologen Maja Storch und Frank Krause, muss man gezielt positive Affekte fördern, um so die Grundlagen für Handlungsmotivation zu entwickeln.

Zu den unbewussten Bedürfnissen eines Menschen gehören zum Beispiel seine Antriebe und Wünsche. Da das Unbewusste nicht wie der Verstand (der Kopf) über Sprache kommunizieren kann, macht es sich über Körpersignale bemerkbar, sogenannte somatische Marker.

Der Körper ist schneller als der Verstand

Wenn uns etwas widerstrebt, nehmen wir vielleicht ein unangenehmes Ziehen im Bauch wahr. Im Gegensatz dazu macht sich zum Beispiel ein wohlig-warmen Gefühl ums Herz breit, wenn wir etwas wollen.

Häufig nehmen wir diese Körpersignale schon wahr, bevor der Verstand sich einschaltet. Dieser braucht zur Verarbeitung und Einschätzung einer Situation um einiges länger als unser Unbewusstes.

Aktienkauf oder Abendessen?

Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Ihre Kollegin oder Ihr Kollege lädt Sie spontan zum Abendessen ein. Wie lange brauchen Sie, um zu entscheiden, ob Sie die Einladung annehmen?

Die meisten von uns treffen diese Entscheidung wohl im Bruchteil einer Sekunde. Denn bevor der Kopf die Situation rational betrachtet und alle Für und Wider abgewogen hat, hat Ihr Bauch bereits ein Signal gesendet.

Wenn es jedoch darum geht, langfristige, eventuell existentielle Entscheidungen zu treffen, sollte der Verstand mit seinem rationalen Blick nicht fehlen. So könnte es sich nicht als die klügste Entscheidung herausstellen, dem Gefühl nach in die nächstbeste Aktie zu investieren.

Am besten im Duo

Im Alltag brauchen wir also beide Systeme – Kopf und Bauch. Wenn das Unbewusste nicht mit im Boot ist, hat der Verstand es schwer. (Wie oft wissen wir, dass wir eigentlich Sport treiben sollten, aber das Unbewusste möchte sich gerade lieber ausruhen und auf der Couch liegen bleiben.)

Andersherum hat das Unbewusste es schwer, wenn wir mit einem starken Pflichtbewusstsein unserer Arbeit nachgehen, obwohl unser Bauch uns mit den entsprechenden Körpersignalen ganz klar signalisiert: Du brauchst Ruhe!

Stell dich nicht so an!

Vielleicht ist es Ihnen auch schon passiert; Sie legen sich mit ihrer Erkältung schlafen, am nächsten Morgen läutet der Wecker wie immer in der Früh und der erste Gedanke ist: «Es geht nicht, ich brauche Zeit, um mich auszukurieren.» Dazu nehmen Sie ein flaues Gefühl in der Magengegend wahr, wenn Sie daran denken, das Bett zu verlassen.

Dann schaltet sich der Verstand ein: «Stell dich nicht so an! Das geht schon! Da muss noch eine Präsentation fertig werden! Der Kunde wartet auf sein Angebot! Du DARFST nicht krank sein!»

Was würden wohl die meisten von uns dann tun? Aufstehen und sich zur Arbeit schleppen.

Gefährlicher Stress

Für Ihren Körper bedeutet das Stress, denn er muss sich gleichzeitig darum kümmern gesund zu werden und der Arbeitsbelastung standzuhalten. Zudem dämpft Stress das Immunsystem. So haben die Viren Platz, sich auszubreiten.

Bevor Sie sich nun fragen, ob Sie jetzt bei jedem Gefühl des Unwohlseins nicht zur Arbeit gehen sollen. Die Antwort ist nein.

Die Synchronisierung der Bedürfnisse beider Systeme, Kopf und Bauch, um so die bestmögliche Handlungsintention zu erreichen, ist das Ziel. Damit treffen Sie die für Ihre Gesundheit beste Entscheidung. So hat mein Arzt mit dem rationalen Argument der Ansteckungsgefahr meinem Kopf geholfen, zur gleichen Einsicht wie mein Bauch zu kommen und ich bin zuhause geblieben.


Tamara Schneider ist Physiotherapeutin, ZRM-Trainerin in Ausbildung und Masterstudentin im Bereich Angewandte Gesundheitswissenschaften an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Die Themenschwerpunkte ihrer Arbeit sind der Umgang mit Krankheit, Möglichkeiten zur Verhaltensänderung und damit einhergehend die psychosoziale Verbesserung der Lebensqualität von gesunden und kranken Menschen.