Als Unternehmensberaterin erlebte Annastiina Hintsa selbst, wie leicht das Aufladen der eigenen Batterien vergessen gehen kann. Mittlerweile bringt sie als Chefin einer Coaching-Firma anderen bei, wie man mit seinen Ressourcen verantwortungsvoll umgeht. 

Als studierte Ökonomin war Annastiina Hintsa wie gemacht für die Herausforderungen, die sich nach der Schuldenkrise in Europa boten. Nach einer kurzen Phase bei der finnischen Zentralbank half sie bei einem Beratungsunternehmen, für die Krisenstaaten am anderen Ende Europas einen Weg aus der Misere zu suchen. 

Dieser Job, zusammen mit einer Angewohnheit, Teile der Nacht im Internet statt im Tiefschlaf zu verbringen, brachten Hintsa mit der Zeit um ihre Energiereserven. Denn Social Media täuschen Entspannung und soziale Kontakte nur vor, ohne aber tatsächlich für Ausgleich zu sorgen.

Zu viele Verpflichtungen

Ähnlich wie Hintsa, welche inzwischen das von ihrem Vater Aki Hintsa aufgebaute Coaching-Unternehmen Hintsa Performance leitet, geht es vielen. Für die leeren Batterien der Leute sind allerdings die sozialen Medien nicht unbedingt der wichtigste Grund. 

«Die Schweiz ist ein Land, wo Arbeit und Familie kulturell hohen Stellenwert geniessen», sagte Hintsa im Gespräch mit finews.life. «Das bedeutet, dass die Leute ihre Verpflichtungen erfüllen und dabei manchmal zu wenig Zeit für sich selbst übrig haben», antwortet sie auf die Frage danach, wie sich die Schweizer diesbezüglich schlagen. 

Kultureller Vorteil

Die Finnin bricht eine Lanze für einen Brauch, der hierzulande immer noch vergleichsweise weit verbreitet ist: Die Mittagspause. 

«In einer arbeitsgetriebenen Kultur ist es wichtig, sich Zeit zum Auftanken zu nehmen», sagt Hintsa, deren Unternehmen unter anderem in Zug und Genf Standorte unterhält. «Es ist zum Beispiel eine gute Idee, Mittagspause zu machen.»

Mehr als Sport und Schlaf

Das Beispiel der Mittagspause verdeutlicht, dass die meisten Leute nicht ihr ganzes Leben umkrempeln müssen, um ihren Energiehaushalt ins Gleichgewicht zu bringen. Trotzdem geht es um mehr als nur den – enorm wichtigen – Schlaf, der in den letzten Jahren ins Zentrum der Diskussion über den Umgang mit den eigenen Ressourcen gerückt ist. 

Laut Hintsa sind auch Aktivitäten tagsüber wichtig. Die Forschung zeige immer wieder, dass Sport gut als Ausgleich dienen könne. Je nach Persönlichkeit hilft aber auch die Interaktion mit anderen Menschen, um die eigenen Batterien wieder aufzuladen – selbst wenn diese bei der Arbeit stattfindet. 

Top-Performer scheitern häufig

Wichtig sei es in erster Linie, mit den eigenen Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen – eine Herausforderung, an welcher gerade Top-Performer häufig scheitern. Solange die Situation nicht akut werde, fühlten sich die Menschen «unbesiegbar». 

Als junge Beraterin löste Hintsa das Problem bei sich, indem sie sich selbst den Zugang zu sozialen Netzwerken erschwerte, um so nicht wieder in alte Gewohnheiten zu verfallen. Zudem machte sie ihren Kollegen, Kunden und Mitarbeitern klar, dass sie künftig vor 9 Uhr morgens nicht erreichbar sei. 

 Atmen üben

Dieses Arrangement erlaubte es ihr, für dringende Kundenwünsche trotzdem bis spät in die Nacht arbeiten zu können, ohne sich damit die Zeit für sich selbst zu nehmen. Die Qualität des Schlafs zu verbessern, gelang ihr zudem mit Atemübungen. 

«Den Atem zu kontrollieren, gehört zu den wirkungsvollsten Dingen, die man machen kann», sagt sie dazu. Atemübungen können auch tagsüber zur Entspannung dienen, sodass auch Leute, welche weder Zeit für eine ausgedehnte Mittagspause haben, noch erst um 9 Uhr bei der Arbeit auftauchen können, ihren Energiehaushalt kontrollieren können. 

Keine übertriebenen Vorsätze

«Es kann auch helfen, winzig kleine Pausen zu machen», erklärt Hintsa, zu deren Kunden Formel-1-Fahrer und andere Spitzensportler ebenso gehören wie hochrangige Manager. «Man sollte Mikro-Pausen nicht unterschätzen, in denen man sich einen Moment nimmt, um etwas Distanz zu gewinnen, sich neu zu konzentrieren und zu atmen.»

Diese Herangehensweise erhöht auch die Wahrscheinlichkeit einer nachhaltigen Verbesserung. Übertriebene Vorsätze, welche täglichen Sport, acht Stunden Schlaf und völlige Technologie-Abstinenz am Abend verordnen, sind demgegenüber nicht realistisch. 

Hintsas Warnsignal

Für Hintsa zumindest wäre ein derartiges Regime wohl als Unternehmensberaterin ebenso unrealistisch gewesen wie heute als Chefin einer Firma mit mehr als 100 Angestellten. Ihre Definition für erfolgreiches Management der eigenen Energie ist denn auch individuell.

Ihr eigener Gradmesser sei der Zustand abends nach dem Nachhausekommen: «Wenn ich nicht abschalten kann, ist das ein Warnsignal.»