Der technologisierte Mensch kann im Prinzip nicht mehr entspannen. Dies die schlechte Nachricht der Psychoanalytikerin Maja Storch im Interview mit finews.life. Die gute Nachricht: «Chillen» ist lernbar.


Frau Storch, wie macht man richtig Pause?

Sie machen dann richtig Pause, wenn sie danach merken, dass ihr Akku aufgeladen ist. Ein pauschales Rezept dafür gibt es nicht. Verschiedene «Mañana-Typen» haben verschiedene Bedürfnisse. Nicht jedem hilft es, in eine Kerze zu starren und dabei zu atmen oder so. Das ist hochindividuell. Man kann nur retrospektiv eine Diagnose fällen indem man spürt, dass man aufgeladen ist. Wenn ja – gut, mehr davon. Wenn nein, dann lassen Sie das.

Was ist ein Mañana-Typ?

Mañana-Kompetenz ist die Fähigkeit, sich bewusst zu entspannen und eben morgen auch einmal morgen sein zu lassen. Wem es gelingt, jederzeit ein Gefühl der Behaglichkeit, der Zufriedenheit in sich zu wecken, der kann sich im stressigen Alltag regenerieren. Dafür braucht es keine Work-Life-Balance, wo wir uns neben der Arbeit auch noch die Freizeit mit allen möglichen Pflichten zupacken, sei es Yoga, Joggen oder Kochen auf Sterne-Niveau. Allerdings stellt sich dieser Mañana-Zustand bei jedem in anderen Situationen ein, deshalb die Typen.

Sind die Menschen denn überhaupt in der Lage zu erkennen, ob sie entspannt sind?

Ich habe das dringende Gefühl dass viele Leute das Sensorium nicht mehr haben. Besonders im Business-Bereich können manche mit dem Akku ihres Smartphones besser umgehen als mit dem eigenen – vielleicht, weil das Gerät eine optische Anzeige hat.

«Das Übel begann mit dem verheissungsvollen Blinken»

Das liegt ziemlich im Argen. Es ist aber dringend nötig, dass man sich darum kümmert und das Sensorium wieder erwirbt, denn sonst droht ein Burnout. Für einen wichtigen Auftrag oder etwas Ähnliches kann man schon einmal darüber hinwegsehen. Aber auf Dauer macht das krank.

Weshalb können das die Leute nicht? Oder nicht mehr?

Das hat mit der Globalisierung zu tun und mit moderner Informationstechnologie. Als Telefone eine Mailbox bekommen haben. Damit begann das. Ich bin noch in Zeiten gross geworden, wo man entweder abgenommen hat, wenn das Telefon klingelte. Oder halt nicht. Dann kam der Anrufbeantworter mit seinem verheissungsvollen Blinken. Also hat man nach dem Nachhausekommen nicht gechillt, sondern den erst abgehört. Damit hat das ganze Übel begonnen.

Das Blinken der ganzen Gerätschaften ist also Schuld an der Misere?

Wenn man so will, kann man das daran festmachen.

Und wie kommen wir da wieder raus?

Als Gesellschaft kommt man da gar nicht mehr raus. Diese Erfindung lässt sich nicht zurückdrehen. Stattdessen muss es das Individuum selbst schaffen, eine eigene Schneise in den Urwald zu schlagen und den eigenen Weg zu finden. Es ist ja auch nichts Schlechtes daran, 24 Stunden am Tag einkaufen zu können. Oder daran, dass die Demonstranten in Hongkong mit sozialen Medien und Mobiltelefonen auf sich aufmerksam machen können.

«Menschen zeigen archaische Reaktionsformen»

Die Technologie ist nur dann fatal, wenn sie damit nicht umgehen können. Mit einem Messer können sie auch einen Apfel schneiden oder jemanden abstechen. Es ist der Umgang damit, der den Unterschied macht.

Hat sich dieses Verständnis schon überall durchgesetzt?

Überhaupt nicht in breiter Gesellschaft. Aber auch gebildete Kaderpersonen benehmen sich wirklich wie Laborraten. Das Gerät macht «pling» und dann wird reagiert. Völlig instinktiv, ohne dass das Hirn eingeschaltet wird. Die Menschen zeigen ganz archaische Reaktionsformen und Neugierverhalten.

Wenn dem selbst die sogenannte Elite zum Opfer fällt, was hilft überhaupt?

Da muss man schon sehr viel üben, wissen, trainieren und braucht auch Erfahrung. Natürlich hilft Coaching. Aber menschheitsgeschichtlich handelt es sich um eine neue Kompetenz. Immerhin: Die Kids lernen das teilweise schon, es sind die Erwachsenen, die ausgeliefert sind.


Maja Storch ist Trainerin und promovierte Psychoanalytikerin. Eines ihrer Konzepte ist die Mañana-Kompetenz, über welche sie auch ein Buch geschrieben hat. Darin zeigt sie unter anderem auf, wie unterschiedliche Persönlichkeiten zur Entspannung finden können. Storch ist Mitbegründerin und wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich (ISMZ), eines Spin-offs der Universität Zürich.