Die Veränderungsgeschwindigkeit im Finanzsektor habe sich durch die Coronakrise nochmals deutlich akzentuiert, sagt Silvia Helbling vom Swiss Finance Institute im Interview mit finews.ch. Und was heisst das für die Beschäftigten in der Branche?  

 

Frau Helbling, die neuste Umfrage zu den Berufsaussichten in der Schweizer Finanzbranche kam zum Schluss, dass sich die Bankmitarbeitenden auf schwierigere Zeiten einstellen müssen.Trotzdem würden viele von ihnen wieder in die Finanzbranche einsteigen. Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Die Finanzindustrie ist und bleibt eine attraktive Branche, bietet sie doch nach wie vor interessante berufliche Perspektiven in vielen Bereichen. Zudem schafft die Digitalisierung neue Berufsbilder, die neue Talente mit entsprechenden Skills erfordern.

Seit einigen Jahren gewinnen Family Offices oder unabhängige Vermögensverwalter an Attraktivität für Stellensuchende, während die Banken als Arbeitgebende weniger beliebt sind, wie auch die neuste Umfrage zeigt. Woran liegt das?

Die Attraktivität des Schweizer Finanzplatzes gründet auch in seiner Vielfalt. Family Offices und unabhängige Vermögensverwalter sind ein zentraler Bestandteil der Finanz-Community, die insgesamt auf gut ausgebildetes Personal angewiesen ist.

«Von den Mitarbeitenden wird nun eine grosse Agilität in Bezug auf neue Formen der Interaktion abverlangt»

Ich würde aber die unterschiedlichen Akteure nicht gegeneinander ausspielen wollen. Letztlich entscheidet jeder Arbeitnehmende für sich selber, in welcher Struktur er sich am besten aufgehoben fühlt.

Glauben Sie, dass aufgrund der Erfahrungen mit der Coronakrise die Anforderungen an Bankmitarbeitende ändern?

Die Anforderungen haben sich durch Corona nur unwesentlich verändert. Grundsätzlich hat sich der persönliche Kundenkontakt vermehrt auf eine virtuelle Ebene verlagert. Es hat sich aber gezeigt, dass von den Mitarbeitenden eine grosse Flexibilität und Agilität in Bezug auf neue Formen der Interaktion abverlangt wird.

Und soweit ich das beurteilen kann, hat sich die überwiegende Mehrheit des Bankpersonals überraschend schnell und friktionsfrei auf die neue Situation eingestellt und leistet auch aus dem Homeoffice heraus hervorragende Arbeit.

Die Umfrage hat auch klar zum Ausdruck gebracht, dass Aus- und Weiterbildung für alle Beschäftigten in der Finanzbranche zentral bzw. unumgänglich ist. Warum war dies früher eher weniger der Fall?

Zum einen hat sich die Veränderungsgeschwindigkeit in den letzten Jahren noch einmal deutlich akzentuiert – die Finanzbranche ist insgesamt grossen Verwerfungen unterworfen.

«Wir waren mit den entsprechenden Tools schon vor der Pandemie vertraut»

Zum anderen ist bei den Mitarbeitenden offenbar die Einsicht gereift, dass neue technologische und thematische Megatrends nur über eine adäquate Aus- und Weiterbildung verinnerlicht werden können.

Ein grosser Teil der Bankangestellten macht bis heute Homeoffice und benützt ensprechende Online-Tools. Hat das auch einen Einfluss auf die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die das SFI anbietet?

Auch wir am Swiss Finance Institute haben unser Angebot mit Beginn des Lockdowns auf eine virtuelle Ebene verlagert – und dabei eine grosse Akzeptanz erfahren.

Die Umstellung erfolgte dabei problemlos, da wir mit den entsprechenden Tools bereits vor der Pandemie vertraut waren und diese in der akademischen Welt eigentlich Standard sind. Mittelfristig streben wir eine nachfrage-orientierte Balance zwischen Präsenzunterricht und virtuellen Angeboten an.

Stellen Sie beim SFI aufgrund der Erfahrungen mit der Coronakrise eine veränderte Nachfrage nach Aus- und Weiterbildungskursen/lehrgängen fest?

Die Nachfrage nach zeigemässen Weiterbildungsangeboten beziehungsweise -inhalten ist erfreulicherweise unabhängig von der Coronakrise hoch.

«Wir können neue Themen und Entwicklungen relativ zeitnah in unsere Weiterbildungsangebote integrieren»

Das dürfte sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern, denn wer auf dem Stellenmarkt konkurrenzfähig bleiben will, ist gut beraten, sich permanent weiterzubilden.

Wie reagieren Sie in Ihrem gesamten Aus- und Weiterbildungsprogramm auf die veränderte Situation?

Unserer Organisation ist so angelegt, dass wir neue Themen und Entwicklungen relativ zeitnah in unsere Weiterbildungsangebote integrieren können. Gleichzeitig sind wir auch betreffend die Durchführungsform sehr flexibel, was wir in den letzten Monaten unter Beweis stellen konnten.

«Die Master Classes differenzieren sich deutlich von klassischen Weiterbildungsangeboten»

Insofern bleiben wir wachsam und stehen dabei in ständigem Austausch mit der Finanzbranche, um neue Lerninhalte weiterhin rasch zu identifizieren und aktiv in der jeweils adäquaten Form anzubieten.

Sehr beliebt waren bislang die im vergangenen Jahr lancierten Master Classes. Wie geht es mit diesen nun weiter?

Die SFI Master Classes sind in der Tat ein grosser Erfolg, differenzieren sie sich doch deutlich von klassischen Weiterbildungsangeboten, die in der Regel auf Frontalunterricht mit Grundlagenvermittlung fokussieren.

Im Gegensatz dazu setzen wir auf den aktiven Austausch zu hochaktuellen Fragestellungen und Themen aus der Industrie sowie natürlich den neuesten Erkenntnissen aus der Forschung. Wir werden unser Konzept in den kommenden Monaten und in enger Absprache mit den Banken weiter verfeinern und akademisch noch breiter abstützen.


Silvia Helbling, Head Knowledge Exchange and Education am Swiss Finance Institute (SFI), studierte an der Universität Zürich (lic.oec.publ) und promovierte an der University of York in Grossbritannien auf den Gebieten der Preisbildung am Finanzmarkt und der Informationsökonomie. Ihre beruflichen Erfahrungen sammelte sie in diversen Banken sowie im Rohwarenhandel, bevor sie sich vor mehr als 20 Jahren der Erwachsenenbildung zuwandte, wo sie in unterschiedlichen Führungspositionen die Entwicklung strategischer Initiativen mitprägte.