Im sechsten Jahr der Finanz- und Schuldenkrise ergibt sich für die Schweiz im internationalen Vergleich eine sehr gute Positionierung: Europasiegerin im Innovationsindex, geringste Arbeitslosigkeit und tiefster Satz an Steuern und Abgaben in Europa. Die Schweiz habe viel zu verlieren, warnt der Zürcher Privatbankier Christian Rahn.

Von Christian Rahn, Partner von Rahn & Bodmer Co., Banquiers in Zürich. Dies ist der erste Beitrag in einer Reihe von Texten, in denen sich führende Vertreter der Schweizer Finanzbranche mit dem Thema Regulierung befassen. Diese Serie ist eine Kooperation zwischen finews.ch und dem Zürcher Bankenverband.

Wenn man davon ausgeht, dass es uns tatsächlich gut geht, dann kann man sich auch fragen: Was hat zu dieser einmaligen Stellung eines rohstoffarmen Landes wie die Schweiz geführt? Antwort: Die freie Marktwirtschaft aus dem 19. Jahrhundert als Grundstein, die Überwindung der sozialen Konflikte im 20. Jahrhundert mit der Einführung einer Sozialpartnerschaft und die direkte Demokratie haben den nachhaltigen Aufbau vom Real-, Finanz- und Sozialkapital ermöglicht.

Bevormundungs-Tendenz entstehen

Drei wichtige Voraussetzungen haben zusätzlich in den vergangenen 70 Jahren zur «Wachstumsstory Schweiz» beigetragen: die unternehmens- und innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen, eine solide Geld- und Fiskalpolitik sowie eine aktive internationale Öffnung.

Trotz oder gerade wegen dieses Erfolges hat sich in der Schweiz in den vergangenen Jahren eine Bevormundungs-Tendenz in einer Art und Weise entwickelt, wie das in den überschuldeten Staaten der Industrienationen zu beobachten ist. Das lässt sich an drei Aspekten ersehen:

1. Entwicklung hin zur Mediokratie

Immer mehr wird die direkte Demokratie durch Volksinitiativen missbraucht. Es sind schon lange nicht mehr Minderheiten, die ihren Anliegen durch Initiativen Gehör verschaffen. 1:12, Mindestlohn, Masseneinwanderung, Erbschaftssteuern und andere Vorstösse sind Initiativen, welche von Bundesratsparteien eingereicht wurden, die damit Volksinitiativen als Wahlkampfinstrument missbrauchten.

Unsorgfältig formulierte Gesetze als Folge davon führen unweigerlich zu einer Rechtsunsicherheit und einer Abnahme der Standortattraktivität.

2. Reichtum wird unmoralisch

Die neu formulierte Überwindung des Kapitalismus durch die Sozialdemokratie ist nicht ungefährlich. Am Egalitarismus orientiert, will man durch Umverteilung und erzwingbare Rechtsansprüche an den Staat soziale Gerechtigkeit verwirklichen.

Reichtum sei gesellschaftsschädlich! Wenn aber Pioniergewinne nicht mehr als gerecht gelten und eine Privilegienwirtschaft zurückkehrt, dann verliert die Effizienz an Gewicht, und damit nimmt das Wachstumspotenzial einer Gesellschaft ab.

3. Interventionistische Entwicklungen des Staates

Die Unfähigkeit der europäischen Regierungen, die Überschuldung zu stabilisieren, führt zu einer Rückkehr des Interventionismus'. Auch für die Schweiz sind trotz einer funktionierenden Schuldenbremse, einem ausgeglichenen Budgethaushalt und gesundem Wirtschaftswachstum solche Tendenzen staatlicher Eingriffe zu erkennen.

Dies führt zunehmend zu einer Planungs- und Regulierungswut. Wir tun gut daran, solchen Tendenzen entgegen zu treten. Denn vielleicht ist die starke Position der Schweiz mehr dem Versagen von Europa als der eigenen Stärke zuzuschreiben.

Eine Schranke gegen Willkür und Zufall

Gerade wegen interventionistischen und Bevormundungs-Tendenzen von ausländischen Regierungen ist es wichtig, den Stärken der Schweiz, wo das liberale Gedankengut als Schranke gegen Willkür und Zufall dient, Sorge zu tragen.

Die Schweiz hat viel zu verlieren und tut gut daran, den erreichten Wohlstand nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.