Robert U. Vogler über sozialromantische Endzeit-Szenarien – oder warum der Kapitalismus trotz Finanz- und Wirtschaftskrise sehr gut überleben wird.


Ende der achtziger Jahre kollabierte der «real existierende Sozialismus» in den Ländern des damaligen Sowjetimperiums. Der amerikanische Historiker Francis Fukuyama zog 1992 daraus den Schluss, dass dies der Sieg des Wirtschaftsliberalismus sei und gleichsam der Sieg der westlichen Demokratie und Marktwirtschaft über den Sozialismus und Kommunismus.

So proklamierte Fukuyama das Ende der Geschichte respektive aller gesellschaftspolitischen Entwicklungen, und es begann das Zeitalter des «Triumphalismus über den Sieg im Kalten Krieg», wie es der deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern später formuliert hat.

Kapitalismuskritiker zur Stelle

Die westliche Welt geriet in eine Phase postkommunistischer Arroganz. Hervorgerufen wurde diese Entwicklung insbesondere durch angelsächsische Vertreter eines falsch verstandenen Liberalismus, welche die wahren Ideale dieser Denkrichtung mit ihrer Masslosigkeit zu verraten begannen, wie Fritz Stern weiter feststellte.

Zu den Folgen davon gehört heute, knapp zwanzig Jahre später, eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die berechtigte Kritik an einer Managerkaste – auch in der Schweiz. Als unvermeidliche Begleiterscheinung treten die Kapitalismuskritiker sofort wieder auf den Plan und verkünden das klägliche Ende des Kapitalismus.

Gab es diese Patrons?

Es sind die altbekannten Exponenten: Erzmarxisten und Sozialromantiker mit Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert, Linksliberale und grüne Fundis. Sie klagen den «Raubtierkapitalismus» an und stimmen als Gegensatz dazu gerne das Loblied auf die alten Patrons an, die sich in sozialer Verantwortung um das Wohl ihrer Arbeiter und Angestellten gekümmert haben sollen.

Ja, solche Patrons gab es tatsächlich. Aber viele von ihnen verhielten sich auch anders: Kapitalismus in Reinkultur mit maximalem Gewinnstreben und Ausbeutung war oft die Realität, ansonsten es keine Revolutionen, linke Parteien, Gewerkschaften und Verteilungskämpfe gegeben hätte. Nachzulesen auch in unzähligen literarischen Werken aus jenen Zeiten.

Manager sind keine echten Kapitalisten

Aber gibt es heute noch einen Kapitalismus in dieser Form? Schauen wir uns doch erst einmal in der Schweiz um: Die überwältigende Mehrheit aller Schweizer Gross- und Kleinunternehmer hat die Bodenhaftung keineswegs verloren. Manager-Bashing ist in erster Linie angesagt wegen der hohen Boni und dies vor allem bei den zwei Grossbanken und einigen Multis.

Doch die Manager jener Konzerne sind keine echten Kapitalisten, sondern Trittbrettfahrer und Verwalter, im historischen Vergleichen sind sie höchstens Vasallen, aber nicht die Lehensherren. Alles, was ihnen anvertraut wird, ist es lediglich auf Zeit und wird auch nicht vererbt.

Extreme Ausprägungen

Und schon träumen viele vom Ende des Kapitalismus. Wer das tut, sollte sich doch einmal vor Augen führen, wie oft er schon totgesagt wurde. Aber wenn, dann war er immer nur scheintot: über achtzig Jahre Kommunismus haben ihn im Osten Europas nicht zum Verschwinden bringen können - im Gegenteil. Und selbst die Kulturrevolution in China hat ihn nicht überwinden können, sondern in eine Art Staatskapitalismus überführt.

Mehr noch: Unter dem Deckmantel einer kommunistischen Staatsideologie werden in China Markt und Kapitalismus in extremer Ausprägung gelebt. Nur in den USA gibt es mehr Milliardäre als in China!

In welcher Form überlebt der Kapitalismus

Die Frage ist heute deshalb nicht, ob der Kapitalismus überlebt, sondern in welcher Form. Was ist denn aus der vielgerühmten sozialen Marktwirtschaft geworden, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in der Bundesrepublik entstanden ist und lange Zeit erfolgreich betrieben wurde?

Die CDU, damals treibende Kraft und Gründerpartei der sozialen Marktwirtschaft, des «Rheinischen Kapitalismus», hat sich so weit nach links bewegt, dass sie sich wohl bald als Mitglied der Sozialistischen Internationale eintragen lassen kann. Die hohe Verschuldung? Hauptsächlich verursacht durch den Sozialbereich und den unüberschaubaren Subventionsdschungel von Interessensgruppen.

Löbliche Ausnahme: die Schweiz

In vielen westeuropäischen Ländern haben dieselben Muster zu enormen Staatsverschuldungen geführt, die sich lange vor der Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise schon angebahnt hatten. Löbliche Ausnahme ist da die Schweiz, die bis heute vielen Versuchungen widerstehen konnte.

Schweizer «Intellektuelle» - vielleicht nicht wirklich so intellektuell wie sie oft glauben, sonst würden sie im Ausland vielleicht eher wahrgenommen -, die früher das Loblied auf die Länder des realexistierenden Sozialismus angestimmt hatten und die Überwindung des Kapitalismus noch heute propagieren, bleiben meist stumm, wenn es um die Vergangenheit geht. Und noch schweigsamer sind sie, wenn es um die Frage geht, warum ausgerechnet in Russland nach achtzig Jahren und in China nach über fünfzig Jahren Kommunismus nun ein Kapitalismus dieser Ausprägung möglich ist.

Pseudo-philosophisches Mäntelchen

Das unter Mao bitterarme Land hat es in den letzten dreissig Jahren immerhin zustande gebracht, rund 350 Millionen Einwohnern einen Lebensstandard zu verschaffen, der dem unseren gleichkommt. Und darüber hinaus leben heute noch viele weitere Chinesen wesentlich besser als noch zu Maos Zeiten.

Unter diesem Gesichtspunkt scheint es doch so, dass Produktion, Handel und die Märkte etwas sind, das in der DNA des Menschen unwiderruflich angelegt ist. Der Kapitalismus ist offenbar auch unter einer kommunistischen Herrschaft möglich, weil der Kommunismus lediglich eine intellektuelle Struktur ist, die dazu dient, die eigenen Machtansprüche mit einem pseudophilosophischen Mäntelchen zu überdecken.

Moral der Handelnden

In China wird man nicht wegen der Partei sehr reich. Als Unternehmer geht man erst dann in die Partei, wenn man es zu Erfolg und Ansehen gebracht hat. Da stellt sich am Ende doch einzig die Frage nach Menschenrechten und dem Rechtsstaat, nach der Freiheit des Individuums und des Denkens – und in erster Linie nach der Moral der Handelnden.

Liegt es eventuell doch nicht am System, sondern an den Menschen? Warum sollte deshalb der Kapitalismus abgewirtschaftet haben? Fazit: Vom Ende des Kapitalismus zu sprechen, ist etwa so dumm, wie vom vermeintlichen Ende der Geschichte.

Artenvielfalt wie in der Natur

Die vielen verschiedenen Arten von «Kapitalismen» wie sie in den USA, den stark sozialistisch geprägten Staaten Europas sowie in China, Russland und in Indien, um nur einige zu nennen, werden überleben. In der Natur wollen wir die Artenvielfalt erhalten, hier haben wir sie.