Die Investoren in der Schweiz sind sich über den Wandel hin zu einer Netto-Null-Wirtschaft bewusst, aber sie tun sich trotz dieser Erkenntnis schwer mit der Umsetzung. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage von finews.ch in Zusammenarbeit mit Lombard Odier Investment Managers.

Die gute Nachricht ist, dass das Klimabewusstsein sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Unternehmen und auf Seiten der Regierungen und Aufsichtsbehörden deutlich gestiegen ist. Ende 2021 waren fast 80 Prozent der Weltwirtschaft in irgendeiner Form dem Netto-Null-Ziel unterworfen, während es ein Jahr zuvor nur 16 Prozent waren. Dieser schnelle Wandel verändert das Risiko- und Ertragsprofil von Investments.

Eine kürzlich in Zusammenarbeit mit Lombard Odier Investment Managers (LOIM) durchgeführte Umfrage von finews.ch zeigt, dass Anlegerinnen und Anleger in der Schweiz diese Veränderungen begrüssen, aber mit der Umsetzung zu kämpfen haben. So sind über 75 Prozent der Befragten der Meinung, dass der Klimawandel das Risiko- und Ertragsprofil von Finanzmarktanlagen beeinflusst.

Wirksame Strategie

Wenn es um die Effektivität der verschiedenen Investment-Strategien geht, so betrachten die Befragten die Kompensationen zur Verringerung der Portfolio-Emissionen als die am wenigsten wirksame Option. Mehr als 12 Prozent der Umfrageteilnehmenden betrachten diese sogar als kontraproduktiv.

Hingegen ist mehr als die Hälfte von ihnen der Meinung, dass sektorübergreifende Investitionen eine wirksame Strategie darstellen. Dazu zählen auch Investitionen in Unternehmen mit hohen Emissionen, wie Zement- oder Stahlunternehmen, wenn diese nach ihrer Fähigkeit zur Dekarbonisierung bewertet werden.

Auch einer Bewertung anhand von ESG-Kennzahlen steht die Mehrheit (65 Prozent) der Anlegerinnen und Anleger skeptisch gegenüber. Sie bezweifeln, dass ESG-Kennzahlen ausreichende Erkenntnisse für Investitionen in den Klimawandel liefern.

Investoren werden an Anlageentscheidungen gehindert

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«Dieses Ergebnis steht im Einklang mit brancheninternen und wissenschaftlichen Untersuchungen, die gezeigt haben, dass herkömmliche ESG-Ratings bei Anlegern eher Verwirrung stiften und wenig bis gar keine Vorteile im Hinblick auf die finanzielle Outperformance bieten», sagt Michael Urban (Bild oben), stellvertretender Leiter des Sustainability Research und verantwortlich für die Umfrage im Auftrag von LOIM.

Mehr als die Hälfte der Befragten ist demnach der Meinung, dass Greenwashing ein Problem darstellt und die Anlegerinnen und Anleger in der Schweiz daran hindert, fundierte und solide Anlageentscheidungen zu treffen. «Dies deckt sich mit den Ergebnissen der HSBC-Umfrage 2021 zu nachhaltigen Finanzierungen und Investitionen, in der 64 Prozent der US-Investoren angaben, dass sie sehr besorgt über Greenwashing sind und befürchten, dass Greenwashing heute weiter verbreitet und ausgefeilter ist als je zuvor», so Urban weiter.

Führende Rolle der Schweiz

Die Befragten sind sich einig, dass neue spezielle Vorschriften (59 Prozent) und harmonisierte Marktstandards (63 Prozent) bei der Bekämpfung von Greenwashing erfolgreich sein könnten. Knapp die Hälfte findet, dass die Schweiz ein weltweit führender Finanzplatz für nachhaltige Finanzen ist. 28 Prozent waren gegenteiliger Meinung und der Rest ist unentschlossen.

Dennoch sind sich die Umfrageteilnehmenden im Allgemeinen darüber einig, dass mehr getan werden könnte, um die führende Rolle der Schweiz zu stärken. Knapp die Hälfte ist nicht der Meinung, dass keine weiteren Massnahmen erforderlich sind. Über 60 Prozent der Befragten würden es zudem begrüssen, wenn es mehr wettbewerbsfähige Produkte und Anlagelösungen gäbe. Sie sind zudem der Auffassung, dass eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Finanzinstituten und dem Staat erforderlich ist.

«Gigantischer Greenwash»

Bei der Frage, ob die Schweiz die EU-Vorschriften für nachhaltige Finanzen (etwa Sustainable Finance Disclosure Regulation SFDR, EU-Taxonomie) übernehmen sollte, zeigt die Umfrage ein uneinheitliches Bild – wobei etwas mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung war, dass dies von Vorteil wäre.

«Interessanterweise wurde ein Grossteil der europäischen Vorschriften für nachhaltige Finanzen entwickelt, um Greenwashing zu bekämpfen, indem klargestellt wird, was grün ist und was nicht. Die jüngste Aufnahme von Erdgas und Kernenergie in die EU-Taxonomie hat diese Bemühungen in eine Kontroverse verwickelt und deutlich gemacht, dass die Unterscheidung zwischen ‹grün› und ‹nicht grün› nicht immer eindeutig ist. Einige Beobachter gingen gar soweit, dies als ‹gigantischen Greenwash› zu bezeichnen», sagt Urban.

Ungeachtet dieser Kontroverse ist es zwar wichtig zu wissen, was grün ist und was nicht. Aber was die Investoren wirklich wissen müssen, um den Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft voranzutreiben, ist, was künftig grün wird. Viele Unternehmen in Industrie- und Materialsektoren sind beispielsweise durch hohe Emissionen, eine hohe Abhängigkeit von fossiler Energie und einem grossen Fussabdruck aufgrund ihrer Abfallproduktion geprägt.

Kapital kanalisieren

So tragen beispielsweise Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie zu einem erheblichen Plastikmüll bei und verbrauchen zudem sehr viel Wasser. Solche Auswirkungen lassen sich nur verringern, wenn das Kapital in die Unternehmen gelenkt wird, die mit glaubwürdigen und ehrgeizigen Umstellungsplänen überzeugen können.

«Da jedoch selbst Unternehmen, die bei solchen Bemühungen eine Vorreiterrolle einnehmen, in diesen Regelwerken teilweise schlecht abschneiden, könnten diese Initiativen wichtige Investitionen in Transitions-Leader sogar verhindern, und das ist bedauerlich», so Urban

Neue Metriken auf dem Markt

Noch immer bildet der CO2-Fussabdruck oftmals die Grundlage für das Klimarating eines Unternehmens. Mit der neuen Messgrösse des implizierten Temperaturanstiegs (Implied Temperature Rise, ITR) steht jedoch seit einiger Zeit eine neue und wesentlich komplexere und anspruchsvollere Kennzahl zur Verfügung, die allerdings derzeit noch nicht sehr weit verbreitet ist. So gaben 60 Prozent der Befragten an, dass sie mit der ITR-Metrik nicht vertraut sind.

«Ich bin nicht sonderlich überrascht, aber besorgt darüber, dass die Messgrösse des impliziten Temperaturanstiegs bei den Anlegern noch relativ unbekannt ist», kommentiert Urban. Denn die ITR stelle ein sehr intuitives und wissenschaftlich fundiertes Mass dar anhand dessen der Dekarbonisierungspfad von Finanzmarktinvestitionen beurteilt werden könne.

«Genau das ist es, was Investoren brauchen, um vorausschauend und wirkungsvoll in den Übergang zu investieren, und genau das fehlt bei den herkömmlichen Messgrössen ebenso wie bei den jüngsten Regulierungsinitiativen», sagt Urban.

Starkes Bewusstsein der Anleger

Mehr als 70 Prozent der Befragten halten Aufklärung für ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung von Greenwashing, während mehr als die Hälfte der Meinung ist, dass Bildungsprogramme für Marktteilnehmer dazu beitragen könnten, die Rolle der Schweiz als führende grüne Finanzdrehscheibe zu festigen. Durch die Festlegung klarer und marktführender Standards, die Anlegern bei der Bewältigung des Klimawandels helfen, kann die Schweiz beides erreichen: Sie kann nicht nur Greenwashing bekämpfen, sondern auch die Position als Sustainability-Leader stärken.

Das Bewusstsein der Investoren für die Notwendigkeit, ihre Portfolios auf ein Netto-Null-Ziel auszurichten, ist gross. Es ist jedoch auch klar, dass die Umsetzung für viele Investoren eine Herausforderung bleibt. Ausgefeilte Ansätze wie die Integration von Messgrössen für den impliziten Temperaturanstieg gehen weit über die Berechnung des herkömmlichen CO2-Fussabdrucks hinaus, erfordern jedoch entsprechende Fähigkeiten und Fachkenntnisse, zu denen die Investoren Zugang haben müssen.

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