Rodolfo De Benedetti gehört einer italienischen Familien-Dynastie an und hat seine Finanzkarriere bei Lombard Odier gestartet. Im Interview mit finews.ch erzählt der Decalia-Mitgründer von seiner nicht einfachen Beziehung zu seinem Vater und was ihn mit dem hiesigen Finanzplatz langfristig verbindet. 


Herr De Benedetti, Sie haben in Genf studiert und später bei der Privatbank Lombard Odier gearbeitet. Was für ein Verhältnis haben Sie zur Schweiz?

Bereits als ich 14 war, schickten mich meine Eltern in ein Internat in Villars sur Ollon VD, so dass ich einen Grossteil meiner Jugend in der Schweiz verbrachte. Lombard Odier war nach dem Studium meine allererste Arbeitsstelle. Alle diese Jahre in Genf waren sicherlich sehr prägend für mich. Mit 25 ging ich nach New York.

Was mögen Sie an der Schweiz?

Meine Familie hatte immer eine besondere Beziehung zur Schweiz. Wir sind jüdischer Herkunft. Während des Zweiten Weltkriegs wanderten mein Grossvater, mein Vater und mein Onkel von Italien in die Schweiz aus, weil er sich in seiner Heimat nicht mehr sicher fühlte. Das war 1943. Die Familie liess sich in Luzern nieder, wo sie mehrere Jahre verbrachte.

«Man kann sein Schicksal nicht aussuchen»

Später, in den 1970er-Jahren, als die Familie in Turin lebte, machte die Polizei meinen Vater darauf aufmerksam, dass aufgrund der damaligen Bedrohung durch die terroristischen Roten Brigaden (Brigate Rosse) die Sicherheit der Familie nicht länger gewährleistet war. So wanderten meine Brüder und ich in die Schweiz aus, diesmal nach Genf; mein Vater lebt heute in Lugano.

Mein Bruder Edoardo De Benedetti ist Kardiologe in Genf, und ich selber bin aufgrund meiner Tätigkeit für Decalia Asset Management regelmässig in der Schweiz anzutreffen.

Ihr inzwischen 86-jähriger Vater, Carlo De Benedetti, zählt zu den einflussreichsten Unternehmern Italiens. War es für Sie eine Last, als sein ältester Sohn aufzuwachsen?

Man kann sein Schicksal nicht aussuchen. Grundsätzlich ist es ein Privileg, eine solche Persönlichkeit mit einem ausgesprochen starken Charakter als Vater zu haben. Gleichzeitig war es auch wichtig für mich, meinen Weg zu gehen.

Im Gegensatz zu meinen Brüdern habe ich mit meinem Vater zusammengearbeitet. Das begann Ende der 1980er-Jahre, nach meiner Zeit in New York. Mein Vater wünschte sich, dass ich einstieg und insistierte, dass ich zurückkehrte. Ich sagte mir, diesen Schritt hätte ich ohnehin früher oder später getan.

«Das hat unsere Beziehung belastet»

Mit einem Firmengründer zusammenzuarbeiten – insbesondere, wenn es der eigene Vater ist – ist nicht einfach. Faktisch gesehen liess er mir durchaus genügend Freiraum und wollte sich über die Zeit aus dem Geschäft zurückziehen. Doch emotional fiel ihm das sehr schwer. Das hat unsere Beziehung belastet. Er hat sich zunächst operativ aus dem Unternehmen zurückgezogen und 2013 das Familienunternehmen meinen Brüdern und mir anvertraut.

Im Jahr 2013, nachdem ich die Familien-Holding CIR mehr als zwanzig Jahre lang operativ geleitet hatte, schlug ich dem Verwaltungsrat Monica Mondardini als CEO vor und übernahm das Verwaltungsratspräsidium der Gruppe.

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(Im Juni 2013 übertrug Carlo De Benedetti die Führung seiner Medienholding vollständig an seine drei Söhne. Doch bald kam es zum Familienzwist, weil die Söhne das publizistische Lebenswerk ihres Vaters ausgerechnet an die Agnelli-Familie verkaufen wollten. Dabei besassen die Agnellis, unter dem Familienpatriarch und Fiat-Chef Gianni Agnelli, mit dem konservativen Turiner Traditionsblatt «La Stampa» bereits ihr publizistisches Standbein. Die Bemühungen von Vater Carlo, das Medien-Unternehmen zurückzukaufen, scheiterten. Die Söhne veräusserten im April 2020 für 102 Millionen Euro ihre Anteile an das Medienunternehmen Exor, einer von der Familie Agnelli-Elkann kontrollierten Holding.)

Über die Jahre haben wir die Holding reorganisiert und sind aus dem Mediengeschäft (La Repubblica, La Stampa, L’Espresso sowie weitere Lokalzeitungen und Radiostationen) ausgestiegen. Heute fokussiert sich die CIR Group auf den Gesundheitsbereich und Autokomponenten. Diese Neupositionierung verschaffte mir Freiraum, um 2014 Decalia Asset Management mitzugründen.

Wie kam es dazu?

Die Finanzwelt stand immer im Mittelpunkt meines Schaffens. Ich verantworte auch die Finanzen der Familie. Nachdem ich 2013 das Präsidium der CIR Group übernommen hatte, verliess gerade mein guter Freund Alfredo Piacentini die Genfer Bank Syz, die er mitgegründet hatte. Wir kannten uns seit 35 Jahren. Wir fanden, nun sei der richtige Zeitpunkt, um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. So beschlossen wir, eine Asset-Management-Boutique zu gründen, zumal wir uns bei den Banken nicht gut aufgehoben fühlten – zu viel Papierkram, Restriktionen und ständige Personalwechsel. Der Kunde kommt zu kurz.

«Da wir eigenes Geld in unsere Strategien investierten, schöpften viele Kunden Vertrauen»

Gleichzeitig war uns klar, dass wir am Anfang einer langen Periode sehr tiefer und später sogar negativen Zinsen standen. Für Investoren, die annehmbare Renditen zu generieren versuchen, wurde diese Herausforderung zunehmend schwierig. Da wir eigenes Geld in unsere Strategien investierten, schöpften viele Kunden Vertrauen zu uns und schätzten diese gemeinsamen Interessen.

Erfolg im Asset Management hängt stark von der Differenzierungsfähigkeit eines Unternehmens gegenüber der Konkurrenz ab. Was macht Decalia anders?

Wir haben früh beschlossen, in unseren Investments thematische Ansätze zu verfolgen – nach Themen, die nach unserem Dafürhalten in den nächsten zwanzig Jahren prägend sein werden. Also keine kurzlebigen Modeerscheinungen, sondern fundamentale Trends, die unseren Alltag, unsere Welt substanziell und nachhaltig verändern werden.

Was sind das für Themen?

Wir haben das Segment der Millennials identifiziert, als noch wenige Investmentfirmen ein Potenzial darin sahen. Millennials sind die Leute, die zwischen den frühen 1980er- und späten 1990er-Jahren geboren sind. Das ist die allererste Generation, die vollständig digital aufgewachsen ist. Das hat ihr Leben, ihr Verhalten nachweislich beeinflusst und geprägt – wie sie konsumiert, wie sie reist, wie sie sich kleidet oder wie sie einkauft – alles digital.

«Es gibt keine Patente auf smarte Investment-Ideen»

Mit diesen Erkenntnissen haben wir jene Unternehmen selektioniert, die von dieser Entwicklung am meisten profitieren, indem sie innovative Geschäftsmodelle gebaut haben. Wir gehörten sicherlich zu den Pionieren und fanden in der Folge viele Nachahmer. Das hat uns Reputation und sehr viel Know-how verschafft. Leider gibt es keine Patente auf smarte Investment-Ideen, darum existiert mittlerweile eine ganze Reihe solcher Fonds.

Ein anderes Thema, das wir bewirtschaften, ist die sogenannte Kreislaufwirtschaft (englisch Circular Economy), die Produkte entwirft, die nach Gebrauch leicht abzubauen und zu recyceln sind, und indem sie der Vermietung und dem Nutzungsrecht den Vorzug vor dem Eigentum gibt und dabei auf erneuerbare Energien setzt.

Welche Themen sieht Decalia in der nahen Zukunft?

Ein Megatrend sind illiquide Privatmarkt-Anlagen, wo wir zu den ersten Spezialisten in Europa gehörten. Da uns sehr tiefe Zinsen meiner Meinung nach noch für Jahre erhalten bleiben werden, sehen wir viel Potenzial im Bereich privater Kreditstrategien. Ausserdem investieren wir in Geschäftsliegenschaften, die von neuen Mietern belegt werden, also von Firmen, die etwa in der Logistik, im E-Commerce oder in der Gesundheitsvorsorge tätig sind.

«Alles in allem ist Covid-19 ein Desaster für die Menschheit, das uns noch lange belasten wird»

Dafür haben wir ein Schweizer Portfolio aufgebaut, das aktuell mehr als 200 Millionen Franken an Aktiven umfasst. Die aktuelle Rendite liegt bei über 5 Prozent. Sobald das Vehikel eine gewisse Grösse erreicht hat, wollen wir es an der Schweizer Börse SIX kotieren.

Wie stark hat die Coronakrise Ihr Geschäft beeinträchtigt?

Wie andere Finanzinstitute stellten wir sehr rasch auf Homeoffice um, was reibungslos verlief. So ging der Kontakt mit der Kundschaft weiter. Trotzdem vermag eine Zoom-Conference die persönliche Begegnung nicht komplett zu ersetzen.

Die Pandemie hat die Digitalisierung enorm beschleunigt. Das wiederum hat den Wert jener Unternehmen, in die wir thematisch investiert sind, massiv erhöht. Sofern man die richtigen Anlagethemen auswählt, ist es ein wenig wie mit dem Wind segeln, anstatt dagegen. Alles in allem ist Covid-19 ein Desaster für die Menschheit, das uns noch lange belasten wird. Gleichzeitig geht damit aber auch die Hoffnung einher, dass wir nachhaltigeren Geschäftsmodellen Ausschau halten.

Planen Sie persönlich in der Schweiz weitere Engagements?

Nein, ich möchte mich vollumfänglich Decalia und CIR widmen. Ein Unternehmen von Grund auf zu lancieren, ist eine ständige Herausforderung, die sehr viel Konzentration abverlangt.

Mit Ihren Beziehungen könnten Sie auch einen Verwaltungsratssitz bei einer Schweizer Bank anstreben.

Decalia hat Priorität. Ohnehin gibt es in der Schweiz noch immer zu viele Banken und Asset Manager. Über die nächsten zehn Jahre gehe ich von einer massiven Konsolidierung in der Branche aus.

Steht angesichts solcher Erwartungen auch der Schweizer Finanzplatz auf der Kippe?

Die Vermögensverwaltung ist ein Wachstumsmarkt und dafür bietet die Schweiz mit ihrer Vielsprachigkeit, dem hohen Ausbildungsniveau, der politischen Stabilität und Rechtssicherheit, einer starken Währung und einem flexiblen Arbeitsmarkt beste Rahmenbedingungen.

«Das überlasse ich lieber meiner Frau und meiner Tochter, die mehr Talent dafür haben»

Die Schweiz hat bewiesen, dass sie die Voraussetzungen besitzt, um Erfolg zu haben. Allerdings darf sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Sie muss, was den Finanzplatz angeht, noch kompetitiver, noch professioneller und leistungsfähiger werden – gerade was die Investment-Performance anbelangt.

Sowohl Ihre Gattin, Emmanuelle de Villepin, als auch Ihre Tochter, Neige De Benedetti, sind erfolgreiche Autorinnen. Hat es Sie selber nie gepackt, ein Buch zu schreiben?

Nein, dafür fühle ich mich nicht im Stande. Das überlasse ich lieber meiner Frau und meiner Tochter, die mehr Talent dafür haben. Ich lese gerne, und schätze es stets, einer ihrer ersten Leser zu sein.

Was haben Sie in den vergangenen Monaten am meisten vermisst?

Am meisten sind es die eingeschränkte Mobilität sowie die Schwierigkeit, persönliche Kontakte zu unterhalten, sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich.


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Rodolfo De Benedetti, 1961 in Turin, Italien, geboren, ist seit seiner Ernennung im April 2013 Vorsitzender von CIR. Die CIR-Gruppe, deren Mehrheitsaktionär er zusammen mit seinen Brüdern Marco und Edoardo ist, ist in den Bereichen Gesundheitswesen (KOS) und Autokomponenten (Sogefi) tätig. 

Davor war er von September 1985 bis Dezember 1986 bei Lombard Odier als Assistent des CEOs tätig. Von Januar 1987 bis Januar 1988 arbeitete er bei Shearson Lehman Brothers (New York). Er ist Mitbegründer, Aktionär und Direktor von Decalia Asset Management, einer 2014 gegründeten internationalen Vermögensverwaltungsgesellschaft mit Sitz in Genf.

Er ist ausserdem Verwaltungsrat von Aon Italia, einer Risikomanagement-, Versicherungs- und Rückversicherungsfirma. Er schloss 1982 sein Studium der politischen Ökonomie und 1985 der Rechtswissenschaften in Genf ab.

 

 

 

 

 

 

 

 

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