Abgeltungssteuer oder automatischer Informationsaustausch? Banken sollten auch sagen, was sie nicht machen, findet der Raiffeisen-Chef im Interview mit finews.ch.

 

Pierin_Vincenz_6

Herr Vincenz, in welchem Zustand befindet sich die Schweizer Bankbranche? Ist sie, in der Sprache der Boxer ausgedrückt, angezählt?

Nein, der Finanzplatz ist nach wie vor in guter Verfassung, das zeigen auch die immer noch grossen Geldflüsse. Aber er steht vor wichtigen Herausforderungen.

In einer weltweiten Umfrage zur Wettbewerbsfähigkeit von Kapitalzentren stehen Zürich und Genf unter den Top Ten. Krisen – wenn wir das mal so nennen wollen – bieten auch Chancen, dass sich robuste Geschäftsmodelle noch besser positionieren und neue entstehen können. Robust sind Geschäftsmodelle dann, wenn sie in unsicheren Zeiten Sicherheit bieten. Das hat Raiffeisen in den vergangenen Jahren eindrücklich bewiesen.

Nachdem beide Grossbanken bedeutende strukturelle Veränderungen angekündigt haben frägt sich, was mit allen anderen Banken geschieht. Droht ein Sterben der Lokal- und kleineren Regionalbanken, oder kommt es zu vermehrten Zusammenschlüssen?

Gerade in unsicheren Zeiten steigen die Anforderungen des Regulators in einem ausgesprochen starken Ausmass. Das zwingt die Banken, sich immer mehr mit sich selbst, statt mit den Kundinnen und Kunden zu beschäftigen. Das beansprucht Ressourcen und generiert erhebliche Kosten, die in kleineren Banken zu enormen Belastungen führen.


«Kleinere Banken haben nicht nur Nachteile»


Kleinere Banken haben aber den Vorteil, schnell reagieren und sich agil auf neue Situationen einstellen zu können, während grosse Banken mit komplexen Strukturen eher mehr Zeit benötigen.

Das Geschäftsmodell Raiffeisen hat darauf die passende Antwort gefunden: Markt- und Kundenverantwortung bei den 321 Raiffeisenbanken vor Ort, Zentralisierung der übrigen Funktionen – wo nötig und gezielt – bei Raiffeisen Schweiz.

Was heisst das beschäftigungsmässig? Ist ein Personalabbau, allenfalls sogar mit Entlassungen, grösseren Ausmasses zu befürchten?

Kosteneinsparungen und Konsolidierungen sind in den meisten Fällen auch mit personellen Massnahmen verbunden. In diesem Sinn wird es auf dem Schweizer Finanzplatz in den nächsten Jahren zu einem Personalabbau kommen.


«Eine absolute kritische Grösse gibt es nicht»


Das Ausmass wird davon abhängen, welche Geschäftsmodelle sich durchsetzen werden. Zentraler Fokus müssen die Kunden bleiben. Wir werden deshalb weiter in Kundenberaterinnen und -berater investieren.

Gibt es eine kritische Grösse eines lokalen respektive regionalen Bankinstituts? 

Die gestiegenen Kompetenzerwartungen der Kundinnen und Kunden erfordern grössere Einheiten. Eine absolute kritische Grösse gibt es nicht.

Die Geschäftsmodelle müssen so aufgestellt sein, dass die vielen regulatorischen Zusatzaufgaben und die weiteren administrativen Aufgaben für eine entsprechend grosse Kundenzahl erbracht werden können. In unserem Geschäftsmodell haben deshalb auch verhältnismässig kleine Banken eine gute Ausgangslage.


«Mit der Postfinance sind Spiesse ungleich lang»


Wie gross ist die Konkurrenz von Seite der Postfinance für die lokal und die regional tätigen Banken?

Jeder Baum wirft Schatten. An Konkurrenz per se sind sich unsere Raiffeisenbanken vor Ort gewöhnt. Wir stören uns lediglich daran, dass im Wettbewerb mit ungleichen Spiessen gefochten wird und die Staatsgarantie hier Vorteile bringt, die mit dem eigentlichen Geschäft nichts zu tun haben.

Wie rüstet sich Ihre Raiffeisengruppe, um in dem sich rasch verändernden Umfeld zu bestehen?

Wir erleben momentan ein Revival des Retailkunden, der – einst verschmäht – heute wieder als attraktiver Geschäftspartner gesehen wird.


«Die Rentabilisierung wird zur Herausforderung»


Zudem verwischen sich die Grenzen zwischen Retail- und Private Banking zunehmend. Das verschärft den Wettbewerb und erhöht den Margendruck. Die Rentabilisierung des Bankgeschäfts wird damit zur grossen Herausforderung, die nur Banken mit entsprechenden Geschäftsmodellen bestehen werden.

Raiffeisen reagiert darauf mit den traditionellen Stärken: starke Marke, hohes Vertrauen der Kunden, breite Akzeptanz auch in den Städten, bei Vermögenden und Firmenkunden, Nähe zum Kunden, hohes Kostenbewusstsein.

Welche Veränderungen erwarten Sie im Bereich der Vermögensverwaltungsbanken? 

Gewinne aus unpopulären Steuersystemen anderer Länder zu schlagen, ist kein Zukunftsmodell. Das führt zu grundlegenden Veränderungen der Geschäftsmodelle. Ich bin überzeugt, dass wir hier erst am Anfang stehen.


«Wir stehen am Anfang grundlegender Veränderungen»


Eine Neuorientierung ist unabdingbar. Diese erfordert eine fokussierte Strategie. Welche Kunden aus welchen Ländern wollen wir? Das Erfolgsrezept wird davon abhängen, dass Banken konsequent auch sagen, was sie nicht machen und das auch glaubwürdig umsetzen.

Sie plädieren für den automatischen Informationsaustausch mit dem Ausland. Lässt sich das mit dem in der Schweiz fest verankerten Bankkundengeheimnis vereinbaren?

Der automatische Informationsaustausch ist meines Erachtens eine Option, die für die Zukunft zu prüfen ist, nachdem die Abgeltungssteuer einen schweren Stand hat, zu einem generellen Standard zu werden. Voraussetzung ist aber, dass der Automatische Informationsaustausch EU-weit vollständig umgesetzt wird.

Der Schutz der Privatsphäre bleibt nach wie vor ein wichtiges Gut in der Beziehung zwischen Bank und Kunde. Trotzdem erfordert eine konsequente Weissgeldstrategie auch hier ein gewisses Umdenken.


«Was das Bankgeheimnis nicht darf, und was es muss»


Das Bankkundengeheimnis im Inland darf nicht zum Schutz von unversteuertem Geld dienen, sondern muss den grundsätzlichen Schutz der Privatsphäre ins Zentrum stellen. Irgendwann werden die Schweizer Bürgerinnen und Bürger entscheiden müssen, wo sie die Grenze zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug ziehen wollen.

Ihre fünf Argumente, weshalb die Schweizer Bankbranche auch in fünf Jahren noch zu den Pfeilern unserer Volkswirtschaft zählen wird.

Es fällt mir nicht schwer, fünf Argumente zu finden, denn ich bin überzeugt, dass unsere Branche auch in fünf Jahren eine wesentliche Rolle in der Schweizer Volkswirtschaft spielen wird: Politische Stabilität, Wirtschaftliche Stabilität, Ausbildung und Kompetenz unserer Mitarbeitenden, Sicherheit im Sinne von safe haven, genügend Entscheidungsträger, die noch etwas bewegen wollen.


«Schlimm wäre eine politische und wirtschaftliche Isolation»


Ihr Worst-Case-Szenario?

Das ist eine politische und wirtschaftliche Isolation, die Wachstum und Prosperität verhindert und zu einer zunehmenden Wirtschaftsverdrossenheit führen würde. Für einzelne Banken undifferenzierte Vorschriften des Regulators erschweren gleich lange Spiesse, ebenso die Entwicklung zu mehr Staatsgarantie oder Quasi-Staatsgarantie, die auch der Idee einer sozialen Marktwirtschaft zuwiderläuft.


Pierin_Vincenz_1Pierin Vincenz ist 56 Jahre alt und seit 1999 Vorsitzender der Geschäftsleitung von Raiffeisen Schweiz. Er hat an der betriebswirtschaftlichen Abteilung der Hochschule St. Gallen studiert und dort auch promoviert. Vincenz hat sich Praxis- und Führungserfahrung unter anderem bei der Schweizerischen Treuhandgesellschaft, beim Schweizerischen Bankverein sowie bei Hunter Douglas angeeignet.

Im Jahr 1996 stiess er zu Raiffeisen, wo er bis zu seiner Ernennung zum CEO als Leiter des Departements Finanz der Geschäftsleitung der Raiffeisen Gruppe angehörte. Er ist unter anderem Verwaltungsratspräsident der Notenstein Privatbank in St. Gallen, ebenso der Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute, Mitglied im Verwaltungsratsausschuss der Schweizerischen Bankiervereinigung und im Verwaltungsrat der Helvetia und der SIX Group. 

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.52%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    19.16%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.8%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.27%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.25%
pixel