Der Finanzprofessor geht hart ins Gericht mit der Finanzmarktaufsicht. Ihre Überlegungen für einen zeitgemässen Anlegerschutz seien haarsträubend.

Der Rechtsdienst des Eidgenössischen Finanzdepartements hat gemeinsam mit der Finanzmarktaufsicht (Finma) überlegt, wie ein zeitgemässer Anlegerschutz gesetzlich verankert werden kann. Die ersten Überlegungen waren haarsträubend und fern jeglicher praktischen Logik.

Ein Kundengespräch würde zu einer reinen Compliance-Erfüllungserörterung mit seitenlanger Protokollierung zu Einzelprodukten mutieren, gespickt mit Produktdetails, welche den Anleger mit Sicherheit überfordern würden.

Hochkarätige Juristen mit geringen Kenntnissen

Zwei zentralen Punkten wird vom Regulator keine Beachtung geschenkt, was dessen Glaubwürdigkeit nicht gerade gestärkt hat. Entsprechend vernichtend fielen die Rückmeldungen aus.

Ausgeheckt von hochkarätigen Juristen mit geringen Finanzmarktkenntnissen und noch geringerer Kundenberatungserfahrung kann man nur hoffen, dass gewisse Punkte herausgestrichen und wesentliche Elemente aufgenommen werden. Hoffentlich betrachtet man dabei auch die Praxis der ärztlichen Tätigkeit.

Griff nach Zigaretten

Besonders umstritten ist die Beweislast-Umkehr. Stellen Sie sich mal vor, dass Sie mit Atemweg-Beschwerden zum Arzt gehen. Dieser diagnostiziert eine Raucherlunge und empfiehlt Ihnen, fortan das Rauchen zu unterlassen.

Sie nehmen sich das auch vor und halten sich ein paar Tage daran, danach obsiegt die Sucht und der Griff nach Zigaretten nimmt seinen gewohnten Lauf. Bei den darauffolgenden Erkrankungen verklagen Sie den Arzt, er hätte Sie zu wenig klar über die Risiken des Rauchens aufgeklärt.

Schwierige Prognose

Unabhängig vom Ausgang der Klage wird der Arzt dazu verdonnert, die Prozesskosten von beiden Seiten zu tragen. Behaupten darf der Patient alles; beweisen, dass die Aufklärung erfolgt und vom Kunden verstanden worden sei, müsse der Arzt. Genau so stellt sich die Finma die Zukunft zwischen Bank und Kunde vor.

Es ist lohnenswert, sich vertieft mit der ärztlichen Tätigkeit auseinanderzusetzen. Wie im Banken- und Versicherungsbereich bei finanziellen Angelegenheiten geht es in einer Praxis stets um vertrauensvolle Beziehungen und nicht selten um delikate Sachverhalte. Analyse, Diagnose und Prognose stellen hohe Anforderungen; die Prognose ist dabei naturgemäss am schwierigsten.

Unterschiedliche Wahrnehmungssysteme

Noch höher liegen die Herausforderungen in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Denn Empfänger und Sender haben völlig unterschiedliche Wahrnehmungssysteme.

Aus der Analyse von ärztlichen Ratschlägen vor Operationen weiss man, dass zwischen 18 und 45 Prozent aller Patienten die Hauptrisiken beim Verlassen der Praxis bereits nicht mehr aufzählen können.

Nicht nachvollziehbar

Insgesamt wird in der Regel 80 Prozent der Information, die dem Patienten erläutert wird, innert einer Stunde vergessen. Noch schlimmer: 50 Prozent dessen, woran sich die Patienten zu erinnern glauben, ist nicht korrekt!

Wie man vor dem Hintergrund solcher Sachverhalte nur schon auf die Idee einer Beweislast-Umkehr kommen kann, ist für mich nicht nachvollziehbar.

Gesamtoptik muss im Fokus stehen

Ein weiteres Gebiet ist die ganzheitliche Beratung. Das bedingt, dass man sämtliche Vermögen und Verpflichtungen einbezieht, gegenwärtige wie auch zukünftige. Ob es sich um einen Hypothekarkredit oder ein Versicherungsprodukt handelt, muss egal sein.

Tatsache ist, dass in einer Kundenberatung die Gesamtoptik im Fokus stehen muss, nicht das einzelne Produkt. Dazu dient der Blick der Schweizerischen Nationalbank auf die Finanzen der Schweizer Haushalte: 44 Prozent ist in Immobilien (netto, nach Abzug der Hypothekarschulden) angelegt, 18 Prozent sind Bargeld und Spareinlagen, 24 Prozent Ansprüche gegenüber Versicherungen und Pensionskassen.

Worüber soll der Kunde wirklich informiert werden?

Ohne auf jedes Detail einzugehen erstaunt doch, dass nur gerade 6 Prozent in Aktien und 1 Prozent des Privatvermögens in Strukturierten Produkten gehalten wird. Worüber soll nun der Kunde wirklich informiert werden? Über die Hauptrisiken einer solchen Allokation?

Müsste nicht auch das Risiko des Realwert-Verlustes thematisiert werden? Und wenn mit dem Kunden über Anleihen diskutiert wird: Soll die historische Rendite der letzten 30 Jahre (sieht toll aus!) im Vordergrund stehen oder die erwartete Rendite der nächsten 10 Jahre (sieht düster aus!)? Wollen wir, dass dies ein Regulator in jedem Detail vorschreibt?

Auch mal etwas «sündigen»

Zentral ist nämlich stets die Portfolio-Optik, nicht die Renditeerwartung und das Risiko auf der einzelnen Produktebene. Der Hausarzt macht sich ja auch stets ein ganzheitliches Bild von seinem Klienten.

Dieser darf beispielsweise mit seinem Schokoladenverzehr auch etwas «sündigen». Daraus wird aber noch nicht gleich abgeleitet, dass die Gesundheit als Ganzes gefährdet ist, wenn man dafür etwas mehr Fitness betreibt. Genauso verhält es sich beim Vermögen.

Zeit zum Nachdenken

Der Regulator muss noch lernen, dass nicht ein einzelnes Produkt, sondern das ganzheitliche Bild des Kunden entscheidend ist, das heisst das Portfolio aller Anlagen und deren Diversifikation – unter Einbezug sämtlicher Assets und Liabilities.

In den Sommermonaten hat er Zeit zum Nachdenken, im Herbst soll der Entwurf vorliegen.


Der 48-jährige Maurice Pedergnana ist Professor an der Hochschule Luzern – Wirtschaft, Chefökonom der Zugerberg Finanz AG sowie Geschäftsführer der SECA Swiss Private Equity and Corporate Finance Association.

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