Sind Banken wirklich auf einem Auge blind, wenn sie weiter in Agrarrohstoffe investieren, fragt Martin Hess von der Schweizerischen Bankiervereinigung.

Martin Hess 119x168Martin Hess ist Leiter Wirtschaftspolitik bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Seit einiger Zeit wird heftig darüber gestritten, ob Terminmärkte die zu Grunde liegenden Rohstoffpreise beeinflussen und im Fall der gehandelten Grundnahrungsmittel sogar ausschlaggebend für Versorgungsengpässe sind.

In seinem Gastkommentar in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 3. Dezember 2013 fordert Miges Baumann von der Vereinigung «Brot für alle», dass sich Banken aus Investitionen in Agrarrohstoffe zurückziehen sollten. Auf Grund des Vorsorgeprinzips seien Investitionen auch dann zu unterlassen, wenn die wissenschaftliche Faktenlage nicht abschliessend geklärt sei. Dem ist zumindest solange zu widersprechen, als das Problem nicht einmal annähernd umrissen wurde, schreibt der Autor.

Nur noch eine Provinzbörse

Die von Baumann erwähnte Diskussion um Finanzinvestitionen bei Agrarprodukten ist keinesfalls neu. Bereits im vorletzten Jahrhundert wurde auf öffentlichen Druck die Getreideterminbörse in Berlin geschlossen. Dies deshalb, weil die Transaktionen angeblich die Preise von Weizen drückten und dabei die Existenz der Landbevölkerung gefährdeten.

Die direkte Folge der Schliessung war eine durch den fehlenden Risikotransfer zwischen Produzenten und Konsumenten ausgelöste Destabilisierung der Getreidepreise. Nach wenigen Jahren wurde deshalb die Börse wiedereröffnet, allerdings auf Grund des abgewanderten Geschäfts nur noch als Provinzbörse.

Lehren aus der Geschichte ziehen

So lange diese Episode auch zurückliegt, sie kann aus heutiger Sicht nicht überraschen, und wir sollten unsere Lehren daraus ziehen. Die meisten wissenschaftlichen Studien stellen keine Kausalität zwischen Rohstoffinvestitionen und den Preisveränderungen fest. Steigen über eine bestimmten Zeitraum Rohstoffpreise und Finanzinvestitionen gleichzeitig, wäre es irreführend, sogleich auf einen Kausalzusammenhang zu schliessen.

Ehemalige Besucher einer Statistikvorlesung mögen sich in diesem Zusammenhang vielleicht an das Beispiel des gleichzeitigen Wachstums einer Storchenpopulation und der Anzahl Geburten erinnern. Korrelation, aber keine Kausalität.

Ein Non-Issue?

Es ist symptomatisch, dass Baumann angesichts der dünnen Evidenz in seinem Beitrag nicht näher auf die Natur der vermeintlichen Verzerrung der Nahrungsmittelpreise eingeht.

Auch bleibt im Dunkeln, wie die Übertragung von Preisschwankungen von den globalen Rohstoffbörsen auf lokale Märkte vor sich geht und wie sich dies konkret auf Wirtschaft und Hunger auswirkt. Doch für Banken ist es nicht möglich, ohne Casus Belli die von gewissen Nicht-Regierungs-Organisatonen (NGO) geforderte Beweislastumkehr zu erfüllen.

Finanzinvestoren sind wichtig

Sicher ist jedenfalls, dass Terminbörsen eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion erfüllen, weil Rohstoff-Produzenten Risiken zu jenen Parteien schieben können, die sie tragen wollen. Dies bewirkt die für den Handel erwünschte stabilisierende Wirkung. Ohne institutionelle Investoren als Gegenpartei, zu denen auch die Banken gehören, könnten Produzenten ihre Risiken nicht oder nur zu ungünstigen Konditionen loswerden.

Es überrascht deshalb nicht, dass Agrarprodukte, die nicht auf internationalen Börsen gehandelt werden, in der Regel höhere Preisschwankungen aufweisen als diejenigen Nahrungsmittel, die im Fokus der NGO stehen. Daraus folgt, dass die Stabilität nicht durch Verbote wegreguliert werden sollte.

Am richtigen Ort ansetzen

Es sind fundamentale Entwicklungen wie Missernten, Exportbeschränkungen oder der erhöhte Fleischkonsum, und nicht Finanzinvestitionen, welche die Nahrungsmittelpreise nachhaltig beeinflussen. Konzentrieren wir uns deshalb auf wirksame Mittel für eine nachhaltige Entwicklung und vermeiden wir die Fehler der Reglementierung der Berliner Getreidebörse.

Um den Hunger wirksam zu bekämpfen, sollte beispielsweise in Entwicklungsländern der grosse Verlust an Nahrungsmitteln durch mangelhafte Ernte-, Lager- oder Transportmöglichkeiten reduziert werden. Dazu sind Investitionen notwendig.

Kampf gegen Dumping-Preise

Investoren werden aber nur bei aktuell oder in Zukunft steigenden Preisen ihr eigenes Kapital für die dazu nötigen landwirtschaftlichen Infrastrukturen zur Verfügung stellen.

Der Club of Rome ist dezidiert der Meinung, dass nur so die nachhaltige Entwicklung sichergestellt werden kann. Auch für Brot für alle ist der Kampf gegen Dumpingpreise auf landwirtschaftliche Produkte ein erklärtes Ziel.

Dieser gemeinsame Boden scheint mir ein guter Ausgangspunkt für einen zielführenden Dialog zu sein.