Die zerstörte Loyalität wird zum ernsten Problem für die Schweizer Finanzbranche: Das sagen die Chefs des Personalvermittlungs-Konzerns Interiman. Ein Interview über die wichtigsten Trends fürs Banking-Personal, über die Entwicklung der Saläre – und über Tricks für ältere Mitarbeiter, die um ihre Zukunft fürchten.


Robin Gordon ist CEO der Interiman Group. Manuel Martinez ist Direktor Deutschschweiz von Interiman. Interiman, gegründet 1997 in Lausanne, zählt inzwischen mit zehn Niederlassungen in der Schweiz und einem Umsatz von gut 135 Millionen Franken zu den grössten Unternehmen in der Personal-Dienstleistungsbranche.


Herr Gordon, Herr Martinez, die Finanzbranche sucht derzeit wieder mehr Personal. Was sind die Gründe?

Robin Gordon: So ist es. UBS und Credit Suisse haben zum Beispiel momentan über 700 offene Positionen. Selbst wenn die Banken in vielen Bereichen abbauen, suchen sie in anderen Feldern händeringend nach Personal. Compliance ist dabei das ganz grosse Thema.

Die Nachfrage nach Überwachungsfunktionen dürfte den allgemeinen Personalbedarf nur teilweise erklären.

Ja. Es kommt hinzu, dass die ausländischen Angestellten verstärkt zum Thema geworden sind: Die Banken suchen privilegiert nach Schweizern. In Genf wollen inzwischen viele Privatbanken keine Angestellten mehr, die in Frankreich leben. Nach all den zwischenstaatlichen Problemen – etwa mit den Daten-CDs – ist es heikel, wenn Mitarbeiter mit Schlüssel-Informationen im Ausland wohnen.

In welchen weiteren Funktionen spüren sie derzeit einen steigenden Personalbedarf?

Relationship Manager bleiben gesucht – wie immer. Und grundsätzlich gibt es eine höhere Fluktuation in den Banken. Die Angestellten haben weniger Loyalität zu ihrer Firma, auch gute Arbeitgeber spüren das. Denn selbst dort bleibt den Mitarbeitern die Strategie unklar. Junge Leute gehen heute nicht mehr zu einer grossen Bank mit der Vorstellung von einer langen Karriere dort.

Tut sich hier nicht ein Widerspruch auf? Alle Experten sagen, dass sich die Branche weiter konsolidiert – die Chancen werden also eher kleiner, die Mitarbeiter müssen aufpassen.

Gewiss. Auf dem Finanzplatz Genf gingen letztes Jahr 1'000 Stellen verloren, und diese Tendenz wird anhalten. Zum Teil bedeutet dies Verschiebungen, etwa bei den Backoffice-Stellen, die ausgelagert werden. Aber grundsätzlich hält der Druck an, weil die Erträge sinken. Die Saläre bleiben also unter Druck, und folglich sind die Leute auch weniger bereit, Frustrationen auszuhalten. Wenn der Chef nicht in Ordnung ist, sieht man sich nach einer neuen Stelle um.

Man hört auch, dass die Banken jetzt wieder eher Personal für Unterstützungsfunktionen oder auch Felder wie das Marketing suchen – was ein Zeichen für einen grundsätzlich grösseren Optimismus sein könnte.

Manuel Martinez: Das nehmen wir so nicht wahr. Momentan fokussieren die Banken ganz klar auf Spezialisten und dabei insbesondere auf Compliance-Leute. Marketing-Positionen sind relativ einfach zu besetzen.

«In der Schweiz werden die Gehälter sinken, da gibt es gar keinen Zweifel»

Robin Gordon: Bei der Compliance trifft ein kurzfristig stark angestiegener Bedarf auf die Tatsache, das hier in der Schweiz eher wenig Leute ausgebildet wurden. Das Problem ist auch, dass Compliance ja kein Spass-Job ist. Das ist wie bei den Versicherungsmathematikern, die werden auch überall gesucht. Junge Leute wollen ins Web-Design oder ins Marketing – aber in die Compliance? Dort mag man dich nicht im Management; die Kollegen mögen dich nicht, weil du immer verbietest und die Abläufe bremst; und riskant ist es auch noch. Das macht nicht so viel Spass. Was wird also geschehen? Die Löhne steigen. Als Versicherungsfachmann oder als Compliance-Manager werden Sie künftig eine Menge Geld verdienen können.

Der allgemeine Salärtrend in der Finanzbranche wies zuletzt wieder nach oben. Hält das an?

Solange die Märkte in einem guten Zustand sind, gibt es auch im Wealth Management und Asset Management gute Boni zu verdienen. Aber bekanntlich könnte die Situation auch künstlich aufgeblasen sein, also unstabil.

Heisst das: Fürs erste darf man mit einer guten Lohnentwicklung rechnen, aber mittelfristig wird es schwierig?

In der Schweiz werden die Gehälter sinken, da gibt es keinen Zweifel. Viele Bankmitarbeiter sagen es ja selber. Sie sind sich bewusst, dass die guten Jahre vorbei sind. In der Vermögensverwaltung ist es zum Beispiel klar: Man war bis vor Kurzem noch sehr gut bezahlt und hatte nicht viel zu tun. Darum möchten viele Betroffene jetzt auch aussteigen.

Weil sie merken, dass sie überbezahlt sind?

Schon als ich ein Headhunter direkt an der Front war, fiel mir das auf: Nirgends sonst träumen so viele Menschen davon, etwas ganz anderes zu tun, wie im Wealth Management. Die guten Löhne hemmten dabei natürlich – es war der goldene Käfig. In den fünf oder sechs Jahren seither hat sich das nur wenig geändert. Es gibt eine Menge Frustration in der Branche.

Man sieht rundherum nur negative Zukunftsszenarien: Das motiviert natürlich nicht.

Viele Vermögensverwalter haben es jetzt obendrein mit schwierigeren Kunden zu tun. Die HNW- und UHNW-Kunden verlangen jetzt Performance – und nicht mehr einfach nur Diskretion. Die Banker müssen entsprechend mehr können, und zugleich sind die Management-Fees drastisch gesunken.

Wenn Sie heute ein junger Mann wären, der eine Karriere in der Finanzbranche anstrebt: Wo würden Sie einsteigen – in welchen Funktionen, in welchen Feldern, in welchen Firmen?

Das ist heute wirklich kaum zu beantworten, denn die Verhältnisse ändern sich schnell. Weitherum herrscht immer noch eine gewisse Naivität in den Vorstellungen, was mit dem Finanzplatz Schweiz geschehen wird.

«Wenn Sie in einer Regionalbank arbeiten, können Sie das laut sagen»

Sie sagen also: Der Umbruch wird noch schärfer, als die meisten Leute erwarten?

Ja. Weiterhin werden viele Privatbanken verschwinden. Das Argument der Schweizer Diskretion verliert an Wert ...

... damit sagen Sie doch indirekt: Geht lieber ins Retail-Banking.

Ja, denn für diese Aufgaben wird es immer eine Nachfrage geben. Das Geschäft ist lokal, es hängt an der Realwirtschaft, man wird dort auch nicht so schief angesehen von den Nachbarn. Raiffeisen hat darum weniger Probleme, in der Schweiz Personal zu finden, als UBS. Viele Mitarbeiter kehren den grossen Banken den Rücken, um zu Raiffeisen zu gehen. Und das zu tieferen Löhnen. Man hat dort mehr Stabilität, man kann damit rechnen, dass das Management in einem halben Jahr immer noch da ist – und so weiter. Das spricht viele Leute heute an.

Manuel Martinez: Es ist ja inzwischen auch eine Reputationsfrage. Wenn Sie in einer Regionalbank arbeiten, können Sie das laut sagen. Und damit steigt auch die Identifikation mit der Firma.

Was ist, wenn Sie in der Finanzbranche über 50 Jahre alt sind und fürchten, dass Sie Ihre Stelle verlieren könnten?

Robin Gordon: Das wird schwierig. Hier gibt es sehr berechtigte Befürchtungen.

Wie würden Sie sich in solch einer Situation wappnen?

Ich würde meinen Arbeitgeber fragen, ob ich eine Compliance-Ausbildung erhalten könnte. Im Ernst. Wenn einer noch zehn Jahre bis zur Pensionierung hat und loyal ist, lohnt es sich doch, ihn ein halbes Jahr für einen Bereich auszubilden, wo man künftig viele Spezialisten benötigen wird.

Interiman ist stark auch im Temporärgeschäft tätig. Liegt nicht hier ebenfalls Potential für ältere Angestellte – etwa in Projekteinsätzen?

Nein. Natürlich geschieht das, aber besonders reif ist dieser Markt nicht. Mittelfristig wird sich der Markt für die Älteren öffnen, weil wir wegen des Generationenwandels ernsthafte Nachwuchsprobleme erhalten, in ganz Europa. Das dürfte dazu führen, dass die Menschen künftig nicht mehr bis zu einem Punkt zu 100 Prozent arbeiten und danach zu 0 Prozent. Sondern sie werden nach und nach die Arbeitszeit senken – und sie werden auch über die Pensionierungsgrenze hinaus stundenweise tätig sein. Es gibt Firmen, die jetzt schon mit solchen Modellen begonnen haben, etwa ABB.

«Es geht nicht um das Alter, es geht um den Preis»

Aber die Finanzbranche hat überdurchschnittlich Mühe mit der Idee von Temporär- und Teilzeitarbeit.

Bei tieferen Funktionen benötigen die Banken viel Temporärpersonal. Aber nicht darüber, und nicht bei Spezialisten.

Und das bleibt so?

Ja. Da spielt auch die Erwartung hinein, dass man mehr und mehr verdienen muss. Es ist in der Schweiz sehr schwierig, die Leute zur Einsicht zu bewegen, dass einer auch mal weniger verdienen kann, und sei es nur vorübergehend. Damit erklären sich viele Probleme älterer Arbeitnehmer: Es geht nicht ums Alter, es geht um den Preis. Deshalb müssten die Angestellten ab einem bestimmten Punkt bereit sein, ihre Lohnforderungen zu überdenken. Aber da geht es halt oft um den Stolz.

All das bedeutet also auch: 10 Jahre Erfahrung ist gut — 25 Jahre Erfahrung sind überflüssig.

Die Erfahrung wird in der Finanzbranche ein zunehmend unbedeutender Faktor. Ausnahmen bilden natürlich Stellen wie der Relationship Manager, wo Erfahrung gleichbedeutend ist mit guten Beziehungen. Aber in einer Welt, die immer schneller dreht, wird es bedeutender, dass man sich rasch anpassen und dazulernen kann.

Was beschäftigt die Arbeitgeber am stärksten mit Blick auf ihre Personalsituation?

Loyalität. Die Menschen sind so opportunistisch geworden. Das hat auch mit den Möglichkeiten zu tun. Stellen Sie sich nur den Aufwand vor, den eine Stellenbewerbung vor zwanzig Jahren mit sich brachte, da mussten Sie noch eine Fotografie aufkleben und sich ans Fotokopiergerät schleichen, wenn der Chef nicht zusah, am Ende alles in einem schönen Couvert auf die Post bringen... Heute hat sich die Kapazität, sich um eine Stelle zu bewerben, vervielfacht. Ich weiss von Kandidaten, die hundert Bewerbungen an einem Abend abgeschickt haben, das geht wie mit dem Maschinengewehr. Wir bekommen 15'000 Stellenbewerbungen pro Monat.

«Ich weiss von Kandidaten, die 100 Bewerbungen an einem Abend abschickten»

Das gilt für alle Branchen. Das Loyalitätsproblem trifft aber die Finanzbranche speziell.

In der Forschung beispielsweise ist die Lage anders, man hat gewisse Projekte, die in sich über viele Jahre dauern, und es hat Menschen, die andere, längerfristige Ziele verfolgen. Das schafft auch mehr Zufriedenheit. Aber wo der Frust verbreitet ist, startet man rascher einmal eine Bewerbung. Da muss nur der Chef einen schlechten Tag haben – und schon schaut man sich um. Wir haben Statistiken, wann die Bewerbungen abgesendet werden: Das ist nicht etwa am Wochenende, es geschieht während der Arbeitszeiten. Mit Spitzen am Montag und am Freitag. Entsprechend wird es für die Firmen entscheidend, dass sie immer ein Auge auf ihre Talente haben. Das Problem dabei ist, dass die besten Leute Sie am wenigsten beschäftigen, und dann stehen sie plötzlich da und teilen Ihnen mit, dass sie eine neue Stelle haben.

Wie kann man da Bindung schaffen?

Sie sollten jedenfalls keine grossen Versprechen über Karrierewege und langfristige Perspektiven machen. Denn die jungen Leute wissen heute, dass das nichts wert ist. Sie wissen ganz genau, was die Banken tun, wenn die Zeiten einmal schwierig werden. Auch deshalb liebäugeln viele inzwischen mit der Waadtländer Kantonalbank oder mit Raiffeisen. Anbinden kann man junge Spezialisten durch ein funktionierendes Team mit greifbaren interessanten Aufgaben und kurzfristigen Ergebnismöglichkeiten, projektgetrieben.

«Als Bankspezialist wäre ich momentan in Zürich fröhlicher als in Genf»

Manuel Martinez: Wir haben definitiv einen Arbeitnehmer-Markt. Es gibt im Bereich Banking, Finanz- und Buchhaltungswesen über 4'500 offene Stellen in der Schweiz, davon 1'500 im Raum Zürich. Die Zeit, bis man eine Stelle besetzt hat, ist entsprechend lang. Und das liegt auch an den Banken, deren Entscheidungsprozesse oft aufwändig sind. Auch damit verpassen sie Möglichkeiten, gerade in einem Arbeitnehmer-Markt. Weitere Chancen lägen im Reputationsmanagement und bei der Lebensqualität, welche eine Stelle bietet. Es geht nicht nur um Boni.

Heisst das, dass Sie mit den Stellenbewerbern vor einigen Jahren noch viel intensiver über Boni diskutieren mussten?

Definitiv. Die Kandidaten steuerten damals sehr rasch auf das Thema der Entlöhnung zu. Heute fragen sie zuerst einmal nach dem Image oder auch nach den Präsenzzeiten. In der Finanzbranche hat man ja immer noch mit die höchsten Arbeitszeiten.

Sie sind stark in der Romandie. Wo sehen Sie – aus Sicht des Personals – die entscheidenden Unterschiede zwischen Genf und Zürich, zwischen Lausanne und Basel?

Robin Gordon: Genf ist stark bestimmt vom Private Banking. Darum wurde es hart getroffen. Kleinere Banken werden dort weiterhin leiden – oder sie werden verschwinden. Zürich zentralisiert viele Verwaltungs- und Backoffice-Aufgaben, und dadurch entsteht hier mehr Potential als in der Romandie. Die landesweit tätigen Banken engagieren definitiv mehr Leute in der Deutschschweiz als in der Westschweiz. Als Bankspezialist wäre ich momentan in Zürich fröhlicher als in Genf.

Damit deuten Sie eine allgemeine Verlagerung auf dem Finanzplatz Schweiz an – weg von der Romandie, hin zur Deutschschweiz?

Ja. Die Romandie mag auf der Landkarte ganz gross wirken, aber sie stellt nur 20 Prozent der Bevölkerung. Wenn ich also ein Entscheidungsträger in der Deutschschweiz wäre und über Verlagerungen bestimmen müsste, dann wäre dies ein Faktor. Die Entscheidungen der grossen Banken fallen in Zürich, das spüren wir auch als Unternehmen mit Sitz in Lausanne. Heute geht es sehr rasch, bis unsere Banker sagen, sie müssten das erst einmal mit Zürich absprechen. Und es macht ja auch Sinn, die Zentralfunktionen zu konzentrieren.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.62%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.52%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.21%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.16%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.49%
pixel