Erst Ende des 20. Jahrhunderts lernte eine spezielle Kundengeneration, das Bankgeheimnis zu missbrauchen, schreibt der Historiker Robert U. Vogler.

Robert_Vogler_3Dr. Robert U. Vogler ist Historiker. Von 1988 bis 1998 war er Pressesprecher der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG), danach Leiter von Historical Research und bis Anfang 2009 Senior Political Analyst bei Public Policy von UBS. Heute wirkt er als unabhängiger Historiker. Er schreibt regelmässig für finews.ch.

Es wurde von beiden Kammern des Parlamentes mit einer einzigen Gegenstimme beschlossen. Das war im November 1934. Im März 1935 trat das «Gesetz über die Banken und Sparkassen» dann in Kraft.

Bestandteil war der kaum beachtete Artikel 47, welcher das umschreibt, was man heute als Bankgeheimnis kennt. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es ein Bankgeheimnis nur als ungeschriebenes Vertrauensverhältnis zwischen Banken und ihren Kunden, ähnlich dem Anwalts-, Arzt- und Beichtgeheimnis. Damit ist auch klar, dass die geforderte Verschwiegenheit dem Kunden und nicht der Bank dienen soll. Die Bezeichnung müsste eigentlich «Bankkundengeheimnis» lauten.

Schönes Bild zu falscher Legende

Das Bankgeheimnis sei mit ehrenwerten Absichten, sozusagen aus «humanem Mitgefühl» begründet worden, schrieb «Die Zeit» im April 1984, und weiter: «Kernstück ist der berühmte Artikel 47 über die Einführung anonymer Chiffrekonten» – mit ihm sollte Nazispitzeln der Zugriff auf jüdische Vermögen in der Schweiz verwehrt werden. Das ist ein schönes Beispiel zu einer falschen Legende.

Dass sich der 1934 beschlossene Artikel gegen Naziumtriebe richtete, ist längst widerlegt, dagegen spricht schon der zeitliche Ablauf. Allerdings profitierten Flüchtlinge aus dem deutschen Machtbereich als erste vom Bankgeheimnis, unter ihnen auch deutsche Gewerkschaften.

Argumente aus Unkenntnis

Eine neuere Legende behauptet nun, diese Argumentation sei nach 1945 von den Bankiers verwendet worden, einerseits als Marketinginstrument und anderseits in der politischen Diskussion, etwa bei der Abwehr der so genannten Bankeninitiative von 1984. Tatsächlich haben einige Bankiers und Politiker – auch aus dem linken Lager – diese Argumente aus Unkenntnis der historischen Entwicklung aufgegriffen.

Doch falsch wäre die Annahme, der Bankenplatz Schweiz sei unter dem Motto von Moral und Ethik angepriesen worden, insbesondere im Ausland. Die Banken betrieben lange keine Werbung im Ausland, von 1980 bis 1993 gab es eine freiwillige Konvention der Bankiervereinigung, die ihnen die Kundenakquisition und Werbung im Ausland bei Strafe untersagte.

Ausländer bloss Trittbrettfahrer

Die neue Mythenbildung will eine neue Wahrheit zementieren: Der Aufstieg des Finanzplatzes Schweiz soll aufs Bankgeheimnis reduziert werden. Zugleich wird die erleichterte Steuerhinterziehung für Ausländer als das einzig wahre Motiv für die Einrichtung des Bankgeheimnisses dargestellt. Wer die Geschichte verfolgt, stellt jedoch fest, dass ausländische Steuerhinterzieher lediglich Trittbrettfahrer des für Schweizer angelegten Gesetzes sind.

Mit dem Gesetz schuf die Schweiz ihre Bankenaufsicht. Obwohl sich die Banken noch 1933 dagegen wehrten, wurde die Eidgenössische Bankenkommission eingerichtet. Der Grund: Viele Bankkunden bangten um ihre Einlagen, denn bereits seit dem Ersten Weltkrieg und zu Beginn der dreissiger Jahre befanden sich viele Banken in schwieriger Lage, gingen unter oder wurden saniert, einige auch übernommen.

Sozialdemokraten und SVP einig

Die Sozialdemokraten wollten ihre Klientel vor Verlusten und bäuerliche Kreise die ihre vor hohen Zinsen schützen. Beide forderten eine institutionalisierte Überwachung der Geldhäuser. 1933 musste die Schweizerische Volksbank (SVB) zum zweiten Mal gerettet werden; der Bund schoss 100 Millionen Franken in ihr Genossenschaftskapital ein – dies entsprach damals etwa einem Viertel des Bundesbudgets. Die Krise der SVB war der finale Katalysator bei der Geburt der Schweizer Bankenaufsicht.

Ende der Zwanzigerjahre war es zudem vermehrt zu Bankspionage gekommen. Französische und deutsche Beamte verfolgten Landsleute bis in die Schweiz, um festzustellen, ob sie hier Gelder deponierten. Nach wie vor benötigten die Haushalte dieser Länder – ähnlich wie heute – dringend Steuereinnahmen zur Begleichung der Kriegsanleihen, Deutschland etwa musste die Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag bedienen.

Zorn der Franzosen nur gegen eigene Landsleute

Die deutschen und französischen Beamten handelten auf schweizerischem Territorium und benutzten Bankangestellte als Informanten, eine klare Verletzung der schweizerischen Souveränität. Aber eine rechtliche Handhabe gegen die Täter bestand nicht. So wurde das Bankgeheimnis ohne politische Debatte und ohne Widerstand der Linken in das Gesetz über die Banken eingebaut. Den Bankmitarbeitern wurde unter Strafe verboten, Auskünfte über Kunden an Dritte weiterzugeben.

Im heutigen Umfeld bemerkenswert ist, dass die Steuerfrage ausländischer Einleger nie Gegenstand der politischen Diskussion war. Zwar hatte es 1932 die so genannte «Pariser Affäre» gegeben: Damals wurden Angestellte der Basler Handelsbank in einem Pariser Hotel in flagranti erwischt, wie sie Franzosen bei der Umgehung der Couponsteuer behilflich waren. Aber der Fall bot keinen Anlass zur Einführung des Bankgeheimnisses, schliesslich begingen die Bankiers hier nicht Kundenverrat. Und der Zorn der sozialistischen Abgeordneten in den Parlamentsdebatten richtete sich nicht gegen die Schweizer, sondern gegen jene Franzosen aus prominenten Familien, welche die Steuer vermeiden wollten.

Schweizer Banken waren Zwerge

Weder vor noch nach dem Zweiten Weltkrieg kam es wegen des Bankgeheimnisses zu einer Geschäftsausweitung der Banken, im Gegenteil: Viele kämpften ums Überleben, und im internationalen Vergleich waren die Schweizer Institute Zwerge. Erst Ende der sechziger Jahre kam das Geschäft, insbesondere das Vermögensverwaltungsgeschäft, richtig in Fahrt.

Bis in die neunziger Jahre hatte die Schweiz gewaltige Vorteile aufzuweisen, die es für Ausländer attraktiv machten, Vermögenswerte bei Schweizer Banken anzulegen. Dazu gehörten die seit 150 Jahren herrschende politische Stabilität und eine ausgeprägte Rechtssicherheit, eine prosperierende, seit 100 Jahren globalisierte Wirtschaft und die härteste Währung der Welt, jederzeit konvertibel ohne Deviseneinfuhr- oder Ausfuhrrestriktionen. All dies mit einer Inflation, die durchschnittlich stets tiefer lag als im Ausland.

Geld vom Ausland wieder ins Ausland

Das waren klare politische und wirtschaftliche Vorteile. Sie führten dazu, dass Schweizer Privat- und Grossbanken Ausländer über Generationen als Kunden halten konnten, auch «Superreiche», mehrheitlich aber Leute aus dem Mittelstand. Wer die Inflation und die laufenden Abwertungen seiner Währung, Währungsumstellungen, Verluste infolge Kriegs oder gar Enteignungen vermeiden wollte, brachte sein Geld in die Schweiz und profitierte zudem von einer hohen Servicequalität. Er konnte auch davon ausgehen, dass ein grosser Teil seiner hinterlegten Werte infolge der Drehscheibenfunktion des Finanzplatzes wiederum im Ausland angelegt wurden.

Das waren die wahren Gründe für einen Transfer. Die Erfolgsgeschichte des Finanzplatzes Schweiz monokausal auf das Bankgeheimnis zu reduzieren, ist gewollte Irreführung. Umgekehrt legen Schweizer kaum je private Guthaben direkt in anderen Ländern an. Offenbar trauen sie dort der jeweils praktizierten Wirtschafts,- Fiskal- und Währungspolitik zu keinem Zeitpunkt.

Missbrauch am Ende des 20. Jahrhundert

In den Boomjahren am Ende des 20. Jahrhunderts lernte allerdings eine spezielle Kundengeneration von Ausländern das Bankgeheimnis zur Umgehung der Steuerpflicht zu missbrauchen, unterstützt von einer ebenfalls neuen, bonusgesteuerten Generation von Schweizer Bankern. Sie warfen die alten Ideale über Bord und liessen jedes Mass vergessen. Diese Verschiebung – weg vom langfristig Schutz und Privatsphäre suchenden, hin zum nur am schnellen Erfolg orientierten Neukunden – nahm historische Dimensionen an und schadete dem Finanzplatz enorm.

In der Öffentlichkeit und im internationalen Konkurrenzkampf war das Bankgeheimnis permanenten Anfechtungen ausgesetzt. Bereits während des Zweiten Weltkriegs stand die Schweiz im Fadenkreuz des amerikanischen Finanzministeriums. Dessen Vorsteher Henry Morgenthau jr. warf der Schweiz vor, sie würde deutsche Guthaben mittels des Bankgeheimnisses dem Zugriff der USA entziehen.

Steueroasengesetz gescheitert

Im Washingtoner Abkommen von 1946 einigte sich die Schweiz nach harten Verhandlungen durch Walter Stucki auf die Liquidierung der deutschen Guthaben und zahlte die Hälfte an die Alliierten – aber ohne Preisgabe des Bankgeheimnisses. 1970 scheiterte der deutsche Finanzminister Alex Möller (SPD) unter anderem mit einem «Steueroasengesetz», das es erlaubt hätte, Deutsche im Ausland zu besteuern.

Mehrere Fälle der Bestechung von Bankbeamten und Datendiebstahl in den siebziger und achtziger Jahren (etwa durch englische Diplomaten oder französische Zöllner) erinnern an die jüngsten Ereignisse. Die Geschichte um die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern war indirekt ebenfalls ein Angriff auf das Bankgeheimnis. Viele der amerikanischen Beschuldigungen erwiesen sich aber als haltlos – während die CIA selbst nicht davor zurückschreckte, das Bankgeheimnis in der Iran-Contra-Affäre massiv zu missbrauchen: Gelder aus geheimen Waffenverkäufen an den Iran gingen illegal über Schweizer Konten an rechtsgerichtete Rebellen in Nicaragua.

Auch Schweizer Fehltritte

Es gab Schweizer Fehltritte wie jüngst den «Fall Birkenfeld», wo UBS-Kundenberater im Geschäft mit amerikanischen Staatsbürgern ein betrügerisches Verhalten an den Tag legten. Aber hinter den Angriffen auf das Bankgeheimnis und den Finanzplatz Schweiz standen nicht nur edle Motive. So bezeichnete der britische Labour-Schattenaussenminister Harold Wilson 1956 die Schweizer Bankiers als «Gnomes of Zurich» und machte sie verantwortlich für das schwächelnde Pfund des absteigenden Kolonialreiches.

Negativen Einfluss auf das Image der Schweiz hatten Medienmeldungen, wonach jeder Diktator und Despot Millionen oder Milliarden in der Schweiz deponiert habe. Einige Male traf das zu, wie die Fälle Marcos, Mobutu, Duvalier und Abacha zeigen. Vielfach entpuppten sich die Potentaten mit ihrer Verschwendungssucht und dem Zwang zur Alimentation ihrer Klientel aber als mittellos, so Haile Selassie von Äthiopien oder der zentralafrikanische «Kaiser» Bokassa – und die Medienberichte über ihre Schweizer Konti waren haltlos.

Der Mythos überlebte

Einen eher zweifelhaften Nimbus erarbeitete sich das Bankgeheimnis auch durch Paperback-Thrillers und Hollywood-Filme. Ob billige Taschenbuchkrimis, ob die Agenten-Abenteuer eines James Bond oder die Mystik-Thriller eines Dan Brown – stets glauben die Macher, den Plot mit einem Schweizer Nummernkonto anreichern zu müssen. Der Mythos überlebte trotz der vorbildlichen Gesetze und Regulierungen, welche die Schweiz umgesetzt hat, oft als einziges Land.

Ausgangspunkt für die Selbst- als auch die staatlichen Regulierungen bildete der SKA-Skandal von Chiasso. Danach schlossen die Banken zusammen mit der Nationalbank die «Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken». In den achtziger Jahren rückte die Wäsche von kriminellen Geldern aus dem organisierten Verbrechen und dem Drogenhandel in den Vordergrund.

Kenne Deine Kunden

Als 1989 die Financial Action Task Force im Rahmen des G7-Gipfels gegründet wurde, war die Schweiz dabei. Seit 1998 ist das Geldwäschereigesetz in Kraft, alle Finanzintermediäre müssen ihre Kunden identifizieren und die wirtschaftlich Berechtigten an den Vermögenswerten feststellen (Know your customer).

Besteht begründeter Verdacht, müssen die Meldestelle für Geldwäscherei informiert und verdächtige Vermögenswerte gesperrt werden. Die Schweiz hat 2001 für die G7-Staaten eine obligatorische Regelung über die Behandlung von Vermögenswerten mit politisch exponierten Personen initiiert. Daneben gibt es eine Reihe anderer Vereinbarungen, Empfehlungen und Richtlinien, alle mit dem Zweck, den Missbrauch von Banken und des Bankgeheimnisses zu verhindern. Deshalb hat das Bankgeheimnis keine absolute Gültigkeit, sondern verliert seine Schutzfunktion in begründeten Fällen, wo Rechts- oder Amtshilfe verlangt wird, wenn das Strafrecht verletzt wurde.

Erodierte Vorteile

Dabei gilt das Prinzip der gegenseitigen Strafbarkeit. Und dies schafft dort Probleme, wo es um Steuerhinterziehung geht, welche im Ausland kriminell und in der Schweiz nur ein Vergehen ist.

Die zunehmende politische und wirtschaftliche Stabilität vieler Länder liess die Vorteile der Schweiz seit einigen Jahren erodieren, vorerst ohne sichtbare Folgen. Nun, in der Finanzkrise, werden die vereinigten Finanzministerien aller Grossstaaten die gefährlichsten Feinde von Kleinstaaten, insbesondere der Schweiz. Die von der Krise betroffenen Nationen befinden sich in einem unausgesprochenen Wirtschaftskrieg – in der Öffentlichkeit wird dem freien Welthandel gehuldigt, hinter den Kulissen wird subventioniert und protegiert.

Gegen den totalen Überwachungsstaat

Zwar ist das Bankgeheimnis im harten Konkurrenzkampf unter den Finanzplätzen nur ein Faktor. Längerfristig wird seine Bedeutung aber nicht kleiner. Der direkte Durchgriff von Behörden auf die Anlagen der Bürger in den Banken, der so genannte «gläserne Kunde», dürfte seine Berechtigung wieder verlieren. «Privacy» wird zwangsläufig wieder vermehrt gefragt sein, wollen wir nicht in den totalen Überwachungsstaat abgleiten.

Exemplarisch sind die Volksabstimmung vom Mai 2009 über die Einführung biometrischer Pässe in der Schweiz oder die jahrelange Auseinandersetzung über die Einführung von Identitätskarten in Grossbritannien. Die Diskussion in Europa über den vollständigen Datentransfer durch das Banken-Telekommunikationsnetz Swift an die USA zeigt dieselbe Problematik auf. Die Bedeutung des Bankgeheimnisses – als Hort der Diskretion – dürfte nach solchen Entwicklungen wieder steigen.

Anstieg der Steuerlasten

Weltweit ist mit einer weiter steigenden Verschuldung zu rechnen. Konjunkturprogramme, der Schutz von prestigeträchtigen Grossunternehmen, sozialstaatliche Verpflichtungen, die Notwendigkeit zum Schuldenabbau und hohe Inflationsraten werden nicht nur zu einem weiteren Anstieg der Steuerlasten beitragen, sondern den vielfach notwendigen Strukturwandel bremsen oder gar verhindern.

Die Schweiz konnte bis heute mit einer klugen Politik diesen Gefahren ausweichen. Tendenziell wird insbesondere für global wirkende Anleger der stärker werdende Schweizer Franken zunehmend interessant werden. Selbst ohne das klassische Bankgeheimnis, wie man es bis jetzt gekannt hat, kann der Finanzplatz an Attraktivität zulegen.

Auch in einem neuen Kleid wird das Bankgeheimnis nach wie vor die Privatsphäre genügend schützen müssen. Damit schliesst sich der Kreis wieder dort, wo der Finanzplatz Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Anfang nahm: die alten Werte einer stabilen Politik, Wirtschaft und Währung werden wieder greifen – das Bankgeheimnis steht nicht an erster Stelle.

 

 

 

Erst Ende des 20. Jahrhunderts lernte eine spezielle Kundengeneration, das Bankgeheimnis zu missbrauchen, schreibt der Historiker Robert U. Vogler.
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.36%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.79%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.83%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.38%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.64%
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