Anleger sollten bei jedem Engagement prüfen, ob das Unternehmen wirklich als Aktiengesellschaft funktioniert, betont Adriano Lucatelli, CEO von Reuss Private.

Adriano_Lucatelli_4Von Adriano Lucatelli, Mitgründer und CEO der Reuss Private Group

Langfristig orientierte Anleger sollten beim Entscheid, in ein Unternehmen zu investieren, nicht nur dessen Ertragskraft und Wertsteigerungspotenzial beurteilen. Genauso wichtig ist, ob das Unternehmen auch wirklich als Aktiengesellschaft funktioniert.

Bei «unechten» Aktiengesellschaften trägt der Aktionär als Kapitalgeber zwar das Risiko, der grössere Teil der ökonomischen Rente geht aber an das Management oder an die Kunden.

Wer die längerfristige Aktienkursentwicklung von Lebensversicherern oder Fluggesellschaften verfolgt, wird rasch feststellen: Für Aktionäre in diesen Branchen war bisher auf lange Sicht kaum Geld zu verdienen. Doch was haben Versicherungs- und Fluggesellschaften gemeinsam?

Es geht um die Art und Weise, wie der Gewinn und das finanzielle Risiko aus der Geschäftstätigkeit verteilt werden. Bei Lebensversicherungs- wie Fluggesellschaften tragen die Aktionäre das volle Risiko eines Verlusts.

Gleichgewicht erwünscht

Wenn aber Gewinne erzielt werden, gehen diese zum grösseren Teil an die Kunden, sei es durch – teilweise obligatorische – Gewinnbeteiligungen an die Policeninhaber bei den Lebensversicherungen oder durch umfassende Kundenbindungsprogramme für Vielflieger bei den Fluggesellschaften.

Gewinnchancen und Risiko stehen für den Aktionär somit in einem Missverhältnis. Man könnte sich deshalb auf den Standpunkt stellen, dass es sich bei Lebensversicherungen und Fluggesellschaften um «unechte» Aktiengesellschaften handelt und diese als Genossenschaften organisiert sein müssten, wo Kapitalgeber und Kunden identisch sind und dadurch bei Gewinn- und Risikoverteilung ein Gleichgewicht besteht.

Auf Rechtsform abgestimmt

Grundsätzlich sollte ein Unternehmen jene Rechtsform auswählen, welche die Allokation der ökonomischen Rente respektive die Risikoverteilung gemäss den Besitzverhältnissen richtig abbildet.

  1. Wenn die ökonomische Rente aus der Wirtschaftstätigkeit mehrheitlich den Kunden zufällt, sollte die Unternehmung eine Genossenschaft sein.
  2. Fällt die Rente mehrheitlich dem Management zu, sollte sich die Firma als Partnerschaft organisieren.
  3. Werden die Gewinne hauptsächlich den Besitzern via Dividenden ausbezahlt, kommt die Aktiengesellschaft zum Zug.


Denn: Ist die Gewinn- und Risikoverteilung nicht auf die Rechtsform abgestimmt, kommt es unweigerlich zu Interessenkonflikten unter den Stakeholdern. Die Folge ist eine nachhaltig tiefere Wertschöpfung, als tatsächlich möglich wäre.

Viele Firmen sind falsch aufgestellt

Trotz dieser eindeutigen Zusammenhänge sind heute immer noch viele Firmen in Bezug auf die Rechtsform falsch aufgestellt. Dies lässt sich am bereits erwähnten Beispiel der Lebensversicherungen sehr gut zeigen.

Allein zwischen 1997 und 1999 sind in Australien, Grossbritannien, Kanada, den USA, der Schweiz und Südafrika mehr als ein Dutzend Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit (Mutuals) in Aktiengesellschaften umgewandelt worden mit dem Ziel, den Herausforderungen der Deregulierung und des schärferen Wettbewerbs besser zu begegnen.

Aktienkleid profitierte von hohen Bewertungen

Dabei wurde argumentiert, dass man als Aktiengesellschaft Zugang zum Kapitalmarkt erhalte und es dadurch einfacher sei, das notwendige Kapital zu beschaffen, oder auch, dass die Anreizstruktur für das Management durch Aktien- oder Optionsprogramme verbessert werden könne.

Weiter ermögliche das Aktienkleid neue Geschäftsmodelle mit höherem Wertschöpfungspotenzial zu verfolgen, beispielsweise den Ausbau in Richtung privater und institutioneller Vermögensverwaltung. Dass die Bewertungen an der Börse zu dieser Zeit ebenfalls hoch waren, hat sicher auch zur Popularität der Börsengänge beigetragen.

Lebensversicherer verhalten sich wie Genossenschaften

Aus heutiger Sicht stellt sich allerdings bezüglich der generierten Wertschöpfung Ernüchterung ein. Gemäss einer Studie der OLZ & Partners hat zum Beispiel der Schweizer Lebensversicherer Swiss Life in den Jahren 2003 bis 2009 fast 2,6 Milliarden Franken vernichtet.

Die Aktionäre wurden über mehrere Kapitalerhöhungen zur Kasse gebeten, der Aktienkurs sauste in den Keller und die Dividende wurde gestrichen. Die Versicherten andererseits erhielten jedes Jahr ihre Garantien und Überschüsse gutgeschrieben. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass sich der Kurs von Swiss Life seit dem Börsengang von 1997 deutlich schlechter entwickelt hat als der SMI.

Geschäftsleitung im Interessenkonflikt

Da erscheint es schon fast prophetisch, was der damalige CEO der Metropolitan Life im Jahr 1915 bei der Umwandlung seines Unternehmens von einer Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft gegenüber dem US-Senat sagte: «Die Geschäftsleitung wird damit nicht länger dem Interessenkonflikt zwischen Aktionären einerseits und den Versicherungsnehmern andererseits ausgesetzt sein – ihre vorrangige Verantwortung wird dann gegenüber den Versicherungsnehmern bestehen.».

Banken wie Partnerschaften

Bei Banken, die stark im Investmentbanking und Wealth Management tätig sind, ist das Fazit aus Sicht der Aktionäre ähnlich ernüchternd. Der grössere Teil der Wertschöpfung fällt in diesen Geschäftsbereichen nämlich dem Management und den Top-Beratern zu.

Auch hier sind Gewinnchancen und Risiko asymmetrisch verteilt. Im Fall von Gewinnen partizipieren die Angestellten überproportional, im Fall von Verlusten trägt das Risiko allein der Aktionär.

Exemplarisch: Credit Suisse

Berücksichtigt man diese Gewinn- und Risikoverteilung, drängt sich die Rechtsform einer Partnerschaft auf. Doch die meisten globalen Players dieser Branche sind als Aktiengesellschaften organisiert. Auch hier ist die Folge, dass über einen längeren Zeitraum betrachtet für die Aktionäre kein Mehrwert geschaffen wurde.

CS_Paradeplatz_4

Dies lässt sich exemplarisch am Beispiel der Credit Suisse (CS) zeigen. Während die Mitglieder des Managements auch in Verlustjahren ein Millionengehalt bezogen und in Gewinnjahren zudem noch Boni flossen – der CEO erhielt 2010 neben seiner «normalen» Entschädigung in Höhe von rund 19 Millionen Franken auch noch rund 71 Millionen Franken aus dem 2004 gestarteten Performance Incentive Plan (PIP) –, sieht die Bilanz für die Aktionäre eher trüb aus.

Milliarden vernichtet

In der Periode zwischen 2004 und 2009 hat die Bank nämlich rund 5,2 Milliarden Franken vernichtet. Nur wer zu Tiefstkursen CS-Aktien gekauft hat, steht heute im Plus.

Natürlich kann man sagen, dass die Aktionäre der CS besser gefahren seien als jene anderer Banken, beispielsweise der UBS oder der Royal Bank of Scotland, und dass die hohen Entschädigungen deswegen gerechtfertigt seien.

Wäre die CS eine Partnerschaft...

Es wird auch niemand bestreiten, dass der CEO in den letzten Jahren und während der Finanzkrise gute Arbeit geleistet hat. Trotzdem sollte ein Manager, der wie in diesem Fall die Kapitalkosten nicht erwirtschaften konnte, keinen Bonus erhalten.

Wäre die CS eine Partnerschaft, hätte sich wohl niemand über den hohen Bonus für den CEO aufgeregt, da die Partner ja die Gewinne und Verluste der Geschäftstätigkeit selber teilen. Allerdings wäre es auch eher unwahrscheinlich gewesen, dass das Management der CS die gleichen Geschäfte getätigt hätte, wenn dessen Mitglieder direkt mit ihrem Lohn oder ihrer Pension hätten dafür geradestehen müssen.

Was machen die Retailbanken?

Anders verhält es sich mit den Retailbanken. Im Zinsdifferenzgeschäft und im Zahlungsverkehr geht es hauptsächlich um komplexe, oft automatisierte und skalierbare Geschäfte, bei denen der einzelne Mitarbeitende keinen grossen Einfluss auf den Geschäftserfolg geltend machen und damit auch keinen Anspruch auf eine hohe Gewinnbeteiligung ableiten kann.

Es ist deshalb durchaus zweckmässig, solche Banken als Aktiengesellschaften zu organisieren. Allenfalls ist noch die Rechtsform der Genossenschaft denkbar, wenn die Kunden über «subventionierte» Preise direkt von höheren Spar- oder billigeren Hypothekarzinsen profitieren.

Fluggesellschaften: Alles für die Kunden

Weitere Anschauungsbeispiele für «unechte» Aktiengesellschaften bietet die Airline-Industrie. Im Gegensatz zu den Flugzeugherstellern, den Flughäfen oder den flugnahen Firmen wie Catering-Betrieben waren die Airlines seit Bestehen kaum je in der Lage, ihre Kapitalkosten zu erwirtschaften.

Sicher ist, dass die Airlines zwischen 1992 und 1996, in einer Phase, die sehr schlechte sowie sehr gute Geschäftsjahre abdeckt, gerade mal 6 Prozent auf dem eingesetzten Kapital erwirtschaftet haben, was rund 2 bis 3 Prozent unter den eigentlichen Kapitalkosten liegt. Und von 1996 bis 2004 waren die Erträge aus dem investierten Kapital global rund 11,7 Milliarden Dollar tiefer als die Kapitalkosten.

Auf Grund der Vielfliegerprogramme und der tiefen Flugpreise könnte man zum Schluss kommen, dass es besser wäre, Fluggesellschaften als Genossenschaften zu organisieren. Die Anstrengungen für tiefe Preise und die umfassenden Loyalitätsprogramme sind in gewisser Weise vergleichbar mit den Geschäftsmodellen des Detailhandels, von denen in der Schweiz mit Migros und Coop die beiden grössten Unternehmen als Genossenschaften organisiert sind.

Beispiele «echter» Wertschöpfer

Natürlich gibt es auch Beispiele von «echten» Aktiengesellschaften, bei denen Gewinnchancen und Risiko symmetrisch verteilt sind. Dabei handelt es sich um Firmen, welche die Aktionärsinteressen wahren und die Schaffung von nachhaltigem Mehrwert für die Aktionäre verfolgen.

Bei diesen Unternehmen sind die Anreize für das Management an die Erzielung eines ökonomischen Gewinns gekoppelt; es werden keine Boni ausbezahlt, wenn die Firma Verluste einfährt, und die Kunden werden nicht mit unprofitablen Preisen geködert. Diese Unternehmen erzielen für den Aktionär überdurchschnittliche Renditen.

In der Zeitspanne von 2003 bis 2009 waren es in der Schweiz vornehmlich traditionelle Industriewerte, welche gemäss OLZ & Partners zur Spitze der «Wertschöpfer» gehörten:

  1. ABB (+37,8 Milliarden Franken)
  2. Geberit (+6,3 Milliarden Franken)
  3. Holcim (+8,0 Milliarden Franken)
  4. Lindt & Sprüngli (+3,9 Milliarden Franken)
  5. Nestlé (+53,9 Milliarden Franken)
  6. Roche (+3,8 Milliarden Franken)
  7. Swatch (+6,3 Milliarden Franken)


Es überrascht nicht, dass es Industrieunternehmen mit hohem Investitionsbedarf sind, bei denen die Rechtsform einer Aktiengesellschaft voll zum Tragen kommt.

Hier ist der ökonomisch erwirtschaftete Gewinnbeitrag des einzelnen Mitarbeiters nicht gross genug, um hohe Boni bei den Aktionären einzufordern, oder die enormen Investitionen sind für Genosschenschafter unmöglich alleine finanzierbar, weshalb eine allenfalls generierte Rente bei den Aktionären verbleibt.

Beispiel Roche

Oft lässt sich der Erfolg einer Aktiengesellschaft auch darauf zurückführen, dass eigentümer-orientierte Investoren oder -Gruppen involviert sind und die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben. Normalerweise richten sich solche Investoren sehr langfristig aus und lassen sich nicht durch kurzfristige, vorübergehende Schwankungen zu einer Strategieänderung verleiten.

Dies trifft vor allem auf den Pharmakonzern Roche zu. Die Aktionärsgruppe um die Roche-Erben verfolgt konsequent eine langfristige und nachhaltige Strategie mit dem Ziel, die Unabhängigkeit der Firma zu sichern und ideale Voraussetzungen für einen reibungslosen Übertrag an die nächste Generation zu schaffen.

Fazit für die Investoren

Eine ähnliche Situation gibt es beim Uhrenhersteller Swatch. Auch hier ist die Führung über grosse Aktienpakete an einer nachhaltig positiven Entwicklung des Unternehmens interessiert, wodurch die Aktie des Unternehmens für langfristig orientierte Investoren ebenfalls kaufenswert ist.

Anleger sollten «unechte» Aktiengesellschaften meiden, bei denen die tatsächliche Gewinn- und Risikoverteilung nicht mit der gewählten Rechtsform übereinstimmt.

Nichts für langfristig orientierte Portfolios

Lebensversicherer, bei denen vertraglich zugesicherte Überschüsse an die Versicherten gehen, oder Finanzdienstleister, bei denen die Mitarbeitenden den Grossteil der Wertschöpfung für sich beanspruchen, gehören in kein langfristig orientiertes Investitionsportfolio.

Swiss_Life_4

Es empfiehlt sich, auf defensive Industriewerte zu setzen, die – idealerweise – von eigentümerorientierten Investorengruppen geführt werden.


Adriano_Lucatelli_q_199Adriano Lucatelli ist Geschäftsführer der Reuss Private AG. Zuvor hatte er bei Credit Suisse und bei UBS in Zürich, London und Lugano verschiedene Führungsfunktionen inne. Von 2002 bis 2009 war er bei UBS als Managing Director und Mitglied des Management Committee des Geschäftsbereichs Wealth Management & Business Banking Schweiz tätig, wo er für Finanzintermediäre und die Region Südschweiz zuständig war.

Die Basis für seine berufliche Karriere legte Lucatelli mit Studien der Betriebswirtschaft (Wharton und Rochester) sowie der Internationalen Beziehungen (London School of Economics und Zürich).

 

 

 

 

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.52%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    19.13%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.97%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    8.91%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.48%
pixel