Die Kommentierung der Geschehnisse an den Finanzmärkten hat in letzter Zeit teilweise skurrile Züge angenommen, findet Erwin Heri.

Erwin_Heri

Erwin Heri (Bild) ist Professor für Finanztheorie an der Universität Basel und Präsident des Verwaltungsrats der Valartis Group. Er schreibt gelegentlich für finews.ch.

Da zieht der deutsche Kulturwissenschafter Joseph Vogel in einem kürzlichen Essay mit dem Titel «Das Gespenst des Kapitals» Parallelen zwischen dem finanzökonomischen System – «dem Inbegriff des Kapitalismus» – und der Theodizee, das heisst den mittelalterlichen Erklärungsversuchen, wie sich die Wirkung Gottes angesichts des Bösen in der Welt rechtfertigen lässt.

Die Marktergebnisse mit ihren Crashs und Bubbles oder wie auch immer man die vermeintlichen Irregularitäten an den Märkten nennen will, würden ebenfalls genügend Zeugnis ablegen davon, dass die wirtschaftswissenschaftliche Analyse all dessen, was in der realen Welt da draussen abläuft, unbrauchbar sei. So der Kulturwissenschafter.

Dramatische Auswirkungen

Aber teilweise argumentieren auch Ökonomen nicht wesentlich anders. So zitiert Rainer Stöttner, immerhin Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel, in einer kürzlichen Kolumne im Wirtschaftsdienst Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit den Worten: «Die Aktienbörsen werden im Wesentlichen von Psychopathen bevölkert» und meint «... man könnte geneigt sein, ihr (dieser Aussage, E.H.) vorbehaltlos zuzustimmen».

All das erinnert ein wenig an die Diskussionen von Nassim Taleb und seinen schwarzen Schwänen zur Erklärung der Bankenkrise von 2008. Ein schwarzer Schwan ist in diesen Denkmodellen ein aussergewöhnlich seltenes Ereignis mit aussergewöhnlich dramatischen Auswirkungen.

Auf den Scheiterhaufen verbannt

Als Statistiker hat Taleb das Modell des schwarzen Schwanes herangezogen, um die statistischen Modelle insbesondere im Risikomanagement der Banken zu kritisieren. Diese würden grösstenteils auf Modellansätzen beruhen, welche Unsicherheit, sprich: schwarze Schwäne (und damit das eigentliche Risiko), praktisch ausschliessen.

Nachdem Taleb mit amerikanischer Marketingbrillanz seine Überlegungen zum Risikomanagement an den Finanzmärkten vermarktet hatte, wurde plötzlich alles zu einem schwarzen Schwan und alle ökonomische Theorie wurde nachgerade auf den Scheiterhaufen verbannt.

Zu kurz gegriffen

Die Kritik an den traditionellen ökonomischen und Finanzmarktmodellen ist weder originell noch neu, aber heute wieder einmal besonders populär. Sie greift in der Regel aber deswegen zu kurz, weil sie sich oft bestenfalls auf das bezieht, was in den Anfängervorlesungen präsentiert wird.

Wenn man sich die Mühe nimmt, etwas tiefer zu schürfen und die Entwicklungen der Wirtschaftswissenschaften in den letzten 30 Jahren zu studieren, dann wird schnell offensichtlich, dass die Ökonomie selber begriffen hat, dass die Gedankenmuster unterschiedlichster Zweige der Sozialwissenschaften interessante Beiträge zum Verständnis sozialer Strukturen – und um genau das handelt es sich bei einem Finanzmarkt – einbringen können und eingebracht haben.

Plakatives Palaver

Es ist aber fruchtbarer, solches Gedankengut in einen konsistenten Denkansatz einzubringen, als wenn man einfach nur plakativ daherpalavert.

Es ist seit Jahrzehnten bekannt und auch im Detail analysiert und erklärt worden, wie individuell-rationales Verhalten von Marktteilnehmern zu kollektiv irrational erscheinenden Instabilitäten führen kann.

Wie beispielsweise ein individuell rational erscheinendes Rennen zum Bankschalter (um ein vermeintlich gefährdetes Bankkonto [gerade noch] aufzulösen) zum Zusammenbruch ganzer Bankensysteme führen kann. Oder wie beschleunigtes Aus­geben von Bargeld bei entstehender Inflationsangst diese in eine Hyperinflation verwandeln und damit zum Zusammenbruch eines Geldsystems führen kann.

Von Illusionen lösen

Es ist keine neue Erkenntnis, dass ein Markt ein komplexes soziales System ist. Und bekanntlich können komplexe Systeme eine Dynamik entwickeln, die dramatisch, chaotisch und selbstzerstörend sein kann. Dies ist ja auch der Grund, weswegen regulato­rische Eingriffe die gefährlichsten Eigenschaften freier Märkte auffangen oder verhindern sollen.

Dabei muss man sich aber von der Illusion lösen, dass eine regulatorische Hand in jedem Fall die besseren Lösungen erbringt als Adam Smiths sprichwörtliche «unsichtbare Hand». Jede Regulierung schafft neue und andersgeartete An­reize für das Verhalten der Marktteilnehmer.

Abwarten und Tee trinken

Ob daraus bessere Ergebnisse entstehen als ohne regulatorische Eingriffe und ob nicht vielleicht entstehende «Nebenwirkungen» ebenso desaströs sind wie das unregulierte Marktergebnis, bleibt zunächst unbeantwortet. Fakt ist, dass einzelne Fehl­allokationen und Marktunvollkommenheiten, welche die letzten Jahre auszeichnen, nicht trotz sondern wegen spezifischer Regulierungen entstanden sind, welche nicht selten eher politisch denn ökonomisch motiviert waren.

Die Eigenkapitalausstattungen der Banken vor der 2008er Krise, die der Risikogewichtungsphilosophie nach Basel II gefolgt waren, sind nur ein Beispiel von vielen. Ich bin mir nicht sicher, ob die neuen staatlichen Steuerungs- und Regulierungsversuche, die ins Haus stehen, erfolgreicher sein werden als die alten. Wir werden sehen.

Dieser Text ist ebenfalls erschienen im Geld-Magazin PRIVATE, Ausgabe 6/11.

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