Macht es noch Sinn, längerfristige Anleihen zu besitzen? Bill Gross über eine Schlüsselfrage dieses Jahres.


Bill-Gross-200Bill Gross gründete 1971 die Anlagegesellschaft Pimco. Heute ist er Managing Director des Unternehmens, das zum Allianz-Konzern gehört, und verwaltet den zweitgrössten Fonds der Welt, den Pimco Total Return Fund.


Es gibt 50 verschiedene Wege, seinen Geliebten zu verlassen, und vermutlich noch mehr, sein Geld zu verlieren. Man kann die Brooklyn Bridge erwerben, man kann darauf wetten, dass ein ewiges Verliererteam die World Series im Baseball gewinnt, oder man kann 2013 im Besitz 30-jähriger US- Staatsanleihen gewesen sein – um nur einige Beispiele zu nennen.

Doch lassen wir das einmal beiseite: Vermutlich interessieren Sie sich mehr für meine Ansichten darüber, wie Sie im Jahr 2014 hohe Wertverluste ihres Anlagevermögens vermeiden können.

Zunächst einige Offenbarungen. Erstens: Es gibt für nichts eine Garantie, auch nicht dafür, an den Finanzmärkten den Kopf über Wasser zu halten. Zweitens habe ich umfangreiche Erfahrungen mit hohen Wertverlusten gesammelt, also könnte mein Rat ein wenig negativ behaftet sein. Auf den Beginn meiner Laufbahn bei Pimco im Jahr 1971 folgte eine Übergangsphase von nahezu zehn Jahren, in
denen meine Wenigkeit wie ein Hund paddelte, nur um nicht unterzugehen.

10 Jahre paddeln, 30 Jahre profitieren

Doch die Schwimmflügel von Pimco funktionierten besser als die meisten anderen, und als die Zeit 1981 schliesslich reif war für einen Rückgang der Renditen und einen Anstieg der Kurse, waren wir bestens positioniert, um von einem 30-jährigen Bullenmarkt zu profitieren.

In diesen Entwicklungsjahren – das Jahr 2013 zählt in Bezug auf die Gesamterträge ebenfalls dazu – wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt, und es ist hilfreich, sich einige Frustrationsmomente der Kunden und auch der eigenen Person erneut vor Augen zu führen, die Teil davon waren.

Wenn deine Jahresrendite ein negatives Vorzeichen aufweist, fragen sich die Kunden, warum sie dir eine Gebühr zahlen sollten, um Geld zu verlieren. Damit haben sie nicht ganz unrecht, auch wenn es vielleicht ein wenig kurzsichtig sein mag. Einige von ihnen haben zudem Schwierigkeiten zu verstehen, dass die Anleihenkurse sinken, wenn die Zinsen steigen, und dass die Chancen auf eine Aufwärtsbewegung – im Gegensatz zu einer Abwärtsbewegung – bei derart niedrigen Zinsen geringfügig höher sind.

Zwei Seiten auf einer Wippe

Dieses Prinzip bezeichne ich als das «Wippen-Prinzip«. Jedes Jahr an Thanksgiving pflegte ich meiner Mutter die Welt der Anleihen zu erklären, wenn ich die Reise nach San Francisco unternahm. Damals wunderte sie sich, warum sie auf ihrem Kontoauszug zum Jahresende stets um zehn oder elf Prozent reicher war, und merkte an, dass diese «Renditen» ziemlich hoch seien. Ich erinnerte sie daran, dass es sich bei den rund elf Prozent um einen Gesamtertrag und nicht um eine Rendite handelte, und dass die Kurse stets stiegen, wenn die Zinsen sanken – wie bei einer Wippe.

Offensichtlich half ihr dies, den Anleihenmarkt zu verstehen, ebenso wie es einigen Investoren der älteren Generation helfen würde, das heutige Umfeld zu verstehen – obwohl die Anleihen 2013 sozusagen die Seite auf der Wippe gewechselt haben.

Wenn man jedoch auf der falschen Seite einer Zinswippe sitzt und nach oben schaut, fragt man sich, warum jemand überhaupt Anleihen besitzen sollte – oder zumindest längerfristige Anleihen besitzen. Diese Frage und ihre Antwort sind der Schlüssel zum Jahr 2014.

Tiefere Laufzeit, höheres Alpha

Zunächst das Offensichtliche: Wenn die Wippe auf die Verliererseite geneigt ist, sollte ein Anleger im Besitz von Anleihen mit geringerer Duration und kürzeren Laufzeiten sein. Zugegeben, wer über langfristige Verbindlichkeits-Strukturen verfügt – wie Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften –, muss mit seinen untergewichteten Positionen vorsichtig umgehen.

Im Regelfall sollte eine geringere Duration jedoch mit einem höheren Alpha gegenüber der Benchmark eines Anlegers einhergehen, wenn sich der Zinstrend umkehrt und der Aufwärtszyklus beginnt.

Auf der Wippe des Anleihenmarkts zu sitzen bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, negative Renditen zu erhalten – insbesondere nicht, wenn man andere «Carry»- Komponenten berücksichtigt, die festverzinslichen Wertpapieren innewohnen. Wie ich in meinem «Investment Outlook» von August 2013 erläutert habe, ist die Laufzeitverlängerung nur eine der Möglichkeiten, in einem Portfolio aus festverzinslichen Wertpapieren Carry und Gesamtertrag zu erzielen. Darüber hinaus gibt es weitere Faktoren, die mit

  • 1.) den Kredit-Spreads,
  • 2.) der Volatilität,
  • 3.) der Zinskurve und
  • 4.) der Währung

in Verbindung stehen. In Kombination mit der Laufzeit können sie Erträge erzielen, die über die mikroskopisch geringen Zinssätze für Schatzwechsel hinausgehen und in den meisten Szenarien dennoch vor hohen Verlusten schützen. Auf der «unteren» Seite einer Zinswippe können diese Carry-Komponenten einem Portfolio, das an einem Anleihenindex mit einer Duration von fünf Jahren gemessen wird, helfen, sich über Wasser zu halten und das Schwimmen sogar zu geniessen.

Spreads, Zinskurve, Volatilität

2014 sollten Sie also damit rechnen, dass Pimco sich auf die Spreads, die Zinskurve, die Volatilität und in geringem Umfang auch auf die Währung konzentriert und gleichzeitig die Allokation in zehn- und 30-jährige Papiere reduziert, die durch die Drosselung der Anleihenkäufe der US-Notenbank – das sogenannte Tapering – beeinträchtigt werden.

Aber im Gegensatz zur Wippe muss nicht alles, was steigt, auch wieder sinken. Die Anleihenkurse sind seit April 2013 oder Juli 2012 bereits stark gesunken – je nachdem, welche Stelle Sie als Scheitelpunkt wählen. Zudem hängen die Anleihenkurse – jene am kurzen Ende der Renditekurve mit einer Laufzeit von, sagen wir, ein bis fünf Jahren – in hohem Masse vom künftigen Niveau des Leitzinses ab und nicht vom Landungsweg des fast schon vorgezeichneten Taperings, das 2014 abgeschlossen sein sollte.


Bill Gross Investment Outlook Jan14


Tapering und Zinssatz hängen selbstverständlich beide ab von

  • 1.) dem Wirtschaftswachstum,
  • 2.) der Arbeitslosenquote,
  • 3.) der künftigen Inflation.

Wobei der dritte Faktor der «Kümmerling» im Wurf der US-Notenbank ist, der dennoch verspricht, aus einem Ackergaul ein Rennpferd zu machen, wenn man ihn nur aufmerksam beobachtet.

Faszination Arbeitslosenrate

Die Faszination der Arbeitslosenquote versetzen mich in Erstauen. Jeder noch so kleine Anstieg oder Rückgang der Arbeitslosigkeit, der über die Erwartungen hinausgeht, bewirkt eine Bewegung der Anleihenkurse (in manchen Fällen um mehrere Basispunkte). Wenn es jedoch um das dritte «Schweinchen» im Wurf geht – die Inflation –, scheint sich keiner dafür zu interessieren.

Dabei ist ihre monatliche Statistik wichtig, um die US-Geldpolitik in 2014 zu analysieren. Warum? Ben Bernanke, Janet Yellen und ihre heitere Bande aus Fed-Gouverneuren und regionalen Vorsitzenden wiesen uns selbst darauf hin: Keine Anhebung des Leitzinses, bevor die Schwellenwerte für die Arbeitslosigkeit und die Inflation nicht beide überschritten sind – und selbst dann «handelt es sich nicht um Schwellenwerte», sondern vielmehr um Weggabelungen, die in eine andere Richtung führen können oder auch nicht.

Das Boot bleibt über Wasser

Die Weggabelung – beziehungsweise das Inflationsziel der Federal Reserve – liegt derzeit bei mindestens 2,0 Prozent, während sich die annualisierte Inflationsrate im Dezember nur auf 1,2 Prozent belief. Uns steht also noch ein weiter Weg bevor, bis man sich um eine Leitzinsanhebung sorgen muss. Frühestens 2016.

Wenn dem so ist, sollten ein- bis fünfjährige Anleihen in Kombination mit den Spreads, der Volatilität, dem Rolldown auf der Zinskurve und einer Prise Währungen in der Lage sein, das Boot eines Anleiheninvestors in 2014 über Wasser zu halten und hohe Verluste beim Gesamtertrag vermeiden.

Damit will ich nicht sagen, dass wir es hier mit einem Bullenmarkt zu tun haben. Wenn die amerikanische Inflationsrate jedoch unter 2 Prozent bleibt und die Inflationserwartungen nicht deutlich über 2,5 Prozent steigen, ist eine Gesamtrendite von drei bis vier Prozent für 2014 durchaus realistisch.

Natürlich kommt dies nicht annähernd an die elfprozentigen Renditen heran, an die sich meine Mutter vor vielen Jahren gewöhnte. Doch sie sass schließlich auch auf einer Wippe, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Anleiheninvestoren von 2014 werden zwar weniger reich, dafür aber gelassener sein als jene von damals, die sich den Weg zu ihrem Reichtum «erwippten».