Er ist vermutlich der einflussreichste Private Banker Italiens. Im Gespräch mit finews.ch erklärt Tommaso Corcos erstmals, welche Pläne der Intesa-Sanpaolo-Konzern nach der vollzogenen Integration der Genfer Bank Reyl in der Schweiz hat, und warum in seinem Büro ein Bild von US-Astronaut Edwin «Buzz» Aldrin hängt.


Herr Corcos, Private Banking ist eine globale Disziplin. Gibt es dennoch Unterschiede zwischen der Definition dieses Geschäfts in Italien und derjenigen in der Schweiz?

Grundsätzlich hat Private Banking einen ganzheitlichen Ansatz. Es geht also nicht nur um Performance, also die Wertentwicklung eines Vermögens, sondern um ganz verschiedene Aspekte, wie Diversifikation, persönliche Affinitäten, Wohnsitz sowie steuerliche Fragen und Nachfolgeregelungen. Im klassischen Sinn kommt dann noch die eigentliche Beziehung zum Kunden oder zur Kundin hinzu, was wiederum sehr viel mit Vertrauen zu tun hat.

Unterschiede gibt es insofern, als es im italienischen Private Banking andere Produkte gibt und sehr viel mit (Lombard-)Krediten gearbeitet wird. Ausserdem existiert seit langem auch eine grosse Affinität zu Privatmarktanlagen, wie Private Equity, also Investments, die nicht oder nur gering mit der Börse korrelieren. Und der Markt ist insgesamt sehr lokal, also von italienischen Kundinnen und Kunden dominiert.

«Wir folgen in unserer Auslandsstrategie den italienischen Unternehmen»

Demgegenüber ist die Schweiz ein ausgeprägter Offshore-Finanzplatz mit einem sehr hohen Anteil an ausländischer Klientel. Es existiert ein absolut stabiles Rechtssystem, und die Regulation des Finanzmarktes ist konsistent und auf einem sehr hohen Niveau geregelt. Seit wir unser Schweizer Private Banking mit den Akquisitionen von Morval und Reyl entwickelt haben, profitieren wir vom Besten aus beiden Welten.

Wer sind Ihre Kunden?

Von den rund 350 Milliarden Euro, die wir verwalten, stammen rund 300 Milliarden Euro aus Italien selbst. Das heisst, unsere Klientel ist überwiegend inländisch, also onshore, und verteilt sich auf alle Regionen des Landes, wobei ein Schwerpunkt sicherlich im Norden liegt, zumal dort auch die wirtschaftliche Aktivität am grössten ist. Ein Grossteil der nichtitalienischen Kunden ist in der Schweiz sowie in Dubai oder in Singapur gebucht.

Wir folgen in unserer Auslandsstrategie den italienischen Unternehmen. Lassen sie sich beispielsweise im Nahen Osten nieder, sind wir dort präsent, zuerst mit dem Firmenkundengeschäft der Intesa Sanpaolo Group und sukzessive auch mit unserem Private Banking.

Ist Fideuram Intesa Sanpaolo Private Banking (Fideuram-ISPB) auch von den EU-Sanktionen gegen russische Oligarchen und andere Bürger betroffen?

Eigentlich nicht. Das ist nie unser Zielmarkt gewesen. Die schlechte Performance der Finanzmärkte, die rasant gestiegene Inflation verbunden mit den Liefer- und Rohstoff-Engpässen und entsprechend hohen Preisen belasten uns und unsere Klientel seit Jahresbeginn wesentlich mehr.

Zumal das vergangene Jahr für die italienische Wirtschaft und damit auch für die Banken ein Traumjahr war. Der Aktienkurs von Intesa Sanpaolo legte 2021 fast 20 Prozent zu. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Vereinfacht gesagt auf den Draghi-Effekt, benannt nach dem italienischen Premierminister Mario Draghi, der als erster führende Politiker des Landes seit langem eine wirtschaftliche Agenda umgesetzt hat, die gewisse Planbarkeit und Verlässlichkeit garantiert hat. Unser Land hat auch sehr stark von den Einheitsbestrebungen der EU profitiert, was der jüngeren Generation zum Teil neue Perspektiven eröffnet hat.

«Ich lese gerade das Buch von Gideon Rachman – The Age of the Strongman»

Sogar die sonst Italien eher kritisch gesinnte «Financial Times» (FT) war voll des Lobes für Mario Draghi und hat seine Leadership wohlwollender beurteilt als diejenige der früheren deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das war ein Novum.

Seit Jahresbeginn hat sich geopolitisch jedoch so viel verändert, dass es müssig ist, sich noch gross auf die Entwicklung im vergangenen Jahr zu berufen. Die Welt befindet sich in einer gänzlich neuen Ausgangslage, voller Unwägbarkeiten und Bedrohungen. Ich lese gerade das Buch des FT-Autors Gideon Rachman «The Age of the Strongman», das uns vor Augen führt, wie das Demokratieverständnis in vielen Regionen unserer Welt schrumpft oder gar verschwindet – selbst in einigen westeuropäischen Staaten ist diese Tendenz zu beobachten.

Hat diese unangenehme Entwicklung auch Konsequenzen auf die Bankenwelt, namentlich auf Fideuram-ISPB?

Ich denke schon. Es wird noch wichtiger, wofür eine Marke steht, welche Werte sie ausstrahlt und damit eine Kultur begründet, die über das reine Profitdenken hinausgeht.

Das klingt gut, aber lässt sich das noch genauer beschreiben?

Corcos Cagliari 18102019

Banken haben im Idealfall eine institutionelle Bedeutung und tragen eine gesellschaftliche Verantwortung. Das hat man besonders gut während der Corona-Pandemie gesehen, als die Banken die KMUs mit Krediten versorgt und damit die Wirtschaft gestützt haben. Diese soziale Komponente ist enorm wichtig für eine Volkswirtschaft, weil sie auch die Perzeption der Banken in der Bevölkerung bestimmt.

Fideuram-ISPB ist mit Abstand die grösste Privatbank Italiens. Was hat sie an die Spitze gebracht?

Sicherlich das vorhin erwähnte Markenbewusstsein; geholfen haben aber auch diverse Übernahmen im Laufe der vergangenen Jahre sowie unser dezidierter Fokus auf das Private Banking, wie das keine andere italienische Grossbank so ausgeprägt je getan hat. Das erklärt den beträchtlichen Abstand zu unseren grössten Mitbewerbern.

Im Schweizer Markt ist Fideuram-ISPB erst 2020 so richtig in Erscheinung getreten. Damals haben Sie die Schweizer Privatbank Reyl zu 69 Prozent übernommen. Wie kam es dazu?

Bereits im August 2017 gaben wir die Übernahme der Genfer Privatbank Morval bekannt. Die Schweiz, Luxemburg und London vor dem Brexit waren für uns stets die wichtigsten Zielmärkte im Ausland, sofern man im internationalen Private Banking erfolgreich sein will. Uns war jedoch klar, dass uns trotz unserer verstärkten Präsenz dort, weiterhin die kritische Grösse fehlte. Darum war eine weitere Übernahme naheliegend.

Warum fiel die Wahl am Ende ausgerechnet auf die Genfer Bank Reyl?

Vieles was Reyl ausmacht, passte uns: der partnergeführte Ansatz mit Unternehmerpersönlichkeiten, die internationale Ausrichtung und Erfahrung, der Innovationsgrad des Unternehmens und nicht zuletzt die digitale Erfahrung sowie das Know-how im Asset Management, insbesondere im Bereich im Impact Investing. Da ist einiges zusammengekommen.

«Es gibt überall auf der Welt schlechte News und Leaks»

Umgekehrt konnte Reyl mit einem internationalen Finanzkonzern im Rücken sein Angebot sowie seine Distribution massiv ausbauen und eine Bilanz in Anspruch nehmen, die ihr völlig neue Dimensionen eröffnet.

Haben Sie sich auch andere Schweizer Privatbanken angeschaut?

Wir würden unserer Aufgabe nicht gerecht, wenn wir nicht fortlaufend genauestens beobachten würden, was die Konkurrenz macht. Wie «performt» sie? Ergeben sich Opportunitäten, indem man Synergien auslotet?

Was macht den Standort Schweiz für eine italienische Bank attraktiv?

Was ich eingangs bereits erwähnt habe: der verlässliche Rechtsrahmen, die lange Tradition des Metiers mit dem damit verbundenen Know-how; aber auch die politische Stabilität des Landes, die Stärke der Währung, die gute Infrastruktur, die kulturelle Diversität sowie die sprachliche Vielfalt.

Allerdings kommt der Finanzplatz Schweiz aufgrund von Enthüllungen und Leaks auch immer wieder in die Schlagzeilen. Färbt das nicht negativ auf die Wahrnehmung im Ausland ab?

Es gibt überall auf der Welt schlechte News und Leaks. Dies auf ein einziges Land zu reduzieren, greift zu kurz. Zentral ist vielmehr, dass das Bewusstsein respektive die Pflege der finanziellen Privatsphäre bis heute erhalten geblieben ist – und dies selbst vor dem Hintergrund einer erhöhten Transparenz wie sie heutzutage international zum Standard geworden ist.

«Die Glaubwürdigkeit und die Reputation des Schweizer Finanzplatzes haben eher noch zugenommen»

Insofern ist die Schweiz in dieser Hinsicht sehr kollaborativ. So gesehen würde ich das Gegenteil der angeblichen öffentlichen Wahrnehmung behaupten: Die Glaubwürdigkeit und die Reputation des Schweizer Finanzplatzes haben eher noch zugenommen. Ich assoziiere die Schweiz nach wie vor mit der grösstmöglichen Sicherheit.

Kürzlich haben Sie eine Zusammenarbeit mit Alpian bekanntgegeben. Dabei handelt es sich um die erste digitale Privatbank der Schweiz, die von Reyl initiiert worden war und nun mit Ihnen den italienischen Markt bearbeiten soll. Welche weiteren Pläne haben Sie mit Reyl selbst?

Pandemiebedingt war die Zeit der Ankündigung nicht einfach – wie Sie sich vorstellen können. Die Integration verlief zwar erfolgreich, absorbierte die Teams jedoch enorm. Da war es nicht verwunderlich, dass eine gewisse Erschöpfung oder Müdigkeit aufkam. Nun sind wir so weit, dass wir mit unseren operationellen Fähigkeiten richtig loslegen können – mit einer starken Bilanz, einer hervorragenden Reputation und einem grossartigen Managementteam. Ich wünsche mir in den nächsten Monaten vor allem mehr Elan und Spass. Rückblickend waren wir tatsächlich grossen Herausforderungen ausgesetzt.

Planen Sie weitere Übernahmen?

Wir werden sicherlich gezielt nach weiteren Objekten in den erwähnten Zielmärkten Ausschau halten. Das können einzelne Teams bis hin zu Banken sein. Via Reyl haben wir uns auch am unabhängigen Vermögensverwalter 1875 Finance in Genf beteiligt. Das eröffnet uns die Möglichkeit, in der Konsolidierung dieser Szene eine aktive Rolle zu Spielen.

Bevor wir in neue Märkte expandieren, müssen wir jedoch die geopolitischen Konsequenzen der jüngsten Ereignisse klarer absehen können.

Sie persönlich sind seit mehr als 35 Jahren in der Finanzbranche tätig. Was waren die grössten Veränderungen in Ihrem Metier?

Sicherlich die Fülle an Fusionen und Übernahmen, die ich gesehen oder selbst erlebt habe. Dabei habe ich gelernt: Über den Erfolg einer Transaktion entscheidet nicht nur das Ausmass an Synergien, sondern stets auch die Qualität der Integration oder Zusammenführung der beiden Unternehmen. Die Integration wiederum hängt primär vom Faktor Mensch ab – ist er bereit, den Schritt zu machen?

Sie stammen ursprünglich aus Rom, leben aber schon seit mehr als 30 Jahren in Mailand. Fühlen Sie sich heute eher als Norditaliener?

Was die fussballerischen Vorlieben meines Sohnes anbelangt (Inter Mailand), ja. Ansonsten bin ich eher ein enthusiastischer Europäer, der vom Einheitsgedanken überzeugt ist, selbst wenn wir nun in eine Übergangsphase eintreten und die Vergangenheit auch nicht immer einfach war.

«Mein Vater war im Olivenöl-Geschäft tätig»

Was die EU indessen zustande gebracht hat, ist über lange Sicht beeindruckend und erfüllt mich mit Stolz. Das alles soll der nächsten Generation zugutekommen. Insofern fühle ich mich als italienischer Europäer.

Was war Ihr Berufswunsch als Kind?

Ich bin in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen. Mein Vater war im Olivenöl-Geschäft tätig. Nach meinem Studium bin ich mit der Absicht ins Banking eingestiegen, etwas Erfahrung zu sammeln, um danach ins elterliche Unternehmen einzutreten.

Doch die Vielfalt der Finanzbranche hat mich dermassen gepackt, dass ich dort geblieben bin. Mein Onkel war übrigens Aktienhändler – insofern gab es durchaus eine familiäre «Vorbelastung».

In Ihrem Büro hängt das berühmte Bild des US-Astronauten Edwin «Buzz» Aldrin auf dem Mond. Was fasziniert Sie daran?

Zweierlei: Erstens assoziieren wir dieses Bild immer mit dem ersten Menschen auf dem Mond. Doch das war Neil Armstrong, der die Publizität nie gesucht hat – im Gegensatz zu seinem Co-Astronauten Aldrin, der bis heute noch von sich reden macht. Mit dieser Fotografie schaffte er es zumindest optisch, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen, ohne dass er der erste Mensch auf dem Mond war. Armstrong erkennt man bloss in der Glasspiegelung von Aldrins Helm.

«Kennedy initiierte eine kollektive Mission für das amerikanische Volk»

Zweitens hat mich die Vision von US-Präsident John F. Kennedy fasziniert, der Anfang der 1960er-Jahre erklärte, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond zu bringen. Kennedy initiierte eine kollektive Mission für das amerikanische Volk. Ich habe mich immer gefragt, wie sich diese Zielstrebigkeit auf die Unternehmenswelt übertragen lässt.

Was wollen Sie in Ihrem Leben noch erreichen?

Französisch zu sprechen, damit ich mich mit meinen Kollegen von Reyl besser verständigen kann. Ich habe damit kürzlich begonnen. Doch ich fürchte, es wird noch einige Jahre dauern, bis es so weit ist.


Tommaso Corcos 1

Tommaso Corcos begann seine Karriere 1987 in der Abteilung für ausländische Beteiligungen der italienischen Banca Nazionale del Lavoro (BNL). Von 1990 bis 2001 hatte er mehrere Positionen bei Intesas Asset Management inne, zuletzt als CIO. Im Jahr 2002 wechselte er zu Fideuram als CEO von Fideuram Investimenti. Von 2014 bis 2020 arbeitete er als CEO bei Eurizon Capital. Von 2015 bis 2017 war er ausserdem Vizepräsident der Allfunds Bank. Seit 2020 ist er als Leiter der Private-Banking-Division von Intesa Sanpaolo tätig. Im Jahr 2020 trat er als CEO in die Fideuram-ISPB ein und ist seit Januar 2022 auch als Vizepräsident des Intesa Sanpaolo Private Banking tätig. Im vergangenen Jahr wurde er in den Verwaltungsrat der Genfer Bank Reyl berufen.

 

 

 

 

 

 

 

 

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