Die Inflationsraten verharren unter den Erwartungen. Das vorrangige Ziel der Zentralbanken scheint nicht mehr die Preisstabilität zu sein, sondern die Kontrolle der Finanzmärkte.

Richard Mooser ist CIO & Head of Fixed Income (CHF) bei AXA Investment Managers Schweiz. Er schreibt monatlich abwechselnd mit Franz Wenzel eine Kolumne für finews.ch.

Seit längerer Zeit schon reiben sich Finanzmarktakteure, Analytiker und Ökonomen erstaunt die Augen, wenn die Kennzahlen zur Inflation veröffentlicht werden. Regelmässig und fast weltweit bleiben die Inflationszahlen unter den Erwartungen.

Wie ist es möglich, dass sich trotz der enormen Liquiditätsschwemme der vergangenen zehn Jahre partout keine Preissteigerungen einstellen wollen? Wieso werden die fast schon gebetsmühlenartig wiederholten Inflationsziele der Zentralbanken nicht erreicht? Sind die Inflationsziele vor dem Hintergrund der globalisierten Wirtschaft allenfalls zu hoch gesteckt, so dass sie nicht erreichbar sind?

Während die Preise an den Güter- und Arbeitsmärkten hartnäckig im Ruhemodus verharren, scheinen einzig die verschiedenen Anlageklassen an den globalen Finanzmärkten von den Massnahmen der Zentralbanken zu profitieren.

Veraltete Prognosemodelle

Notenbanken müssen in ihrer Geldpolitik einen allfälligen Zielkonflikt zwischen Inflation und Konjunkturentwicklung respektive Vollbeschäftigung berücksichtigen, wobei die Preisstabilität das vorrangige Ziel ist. Neben Inflationsmodellen dienen auch Preis-Arbeitsmarkt-Modelle als Entscheidungsgrundlage für die Zins- und Geldpolitik, wie die Phillips-Kurve.

Dieses in den 1960er-Jahren entwickelte Modell – und auch andere Theorien – belegten scheinbar eine konsistente Beziehung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit: Je tiefer die Arbeitslosenquote, desto enger der Arbeitsmarkt und desto schneller steigen die Löhne. Diese wiederum drücken umgehend die Preise der Dienstleistungen und der Güter nach oben (Lohn-Preis-Spirale). Sie implizieren, dass Arbeitslosigkeit über tiefe Zinsen bekämpft werden kann.

Solche Modelle mögen historisch eine gewisse Berechtigung gehabt haben. Aber sind sie nach den Entwicklungen der vergangenen Jahre noch anwendbar? Sie wurden zwar schrittweise modifiziert und an den technologischen Fortschritt angepasst, dürften die effektiven Veränderungen aber nicht genügend berücksichtigen. Die Welt ist in Bezug auf Warenhandel und Mobilität von höher qualifizierten Arbeitsplätzen in Billiglohnländer deutlich flexibler geworden, und das mit weitreichenden Konsequenzen.

Billigere Kapazitäten

Nach gängiger Lehre sind Preissteigerungen bei Konsumgütern erst möglich, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Am konkreten Beispiel Amerika zeigt sich, dass Preissteigerungen kaum durchsetzbar sind, solange im Ausland genügend und erst noch billigere Kapazitäten vorhanden sind, um Güter auch für den amerikanischen Markt zu produzieren.

In entwickelten Volkswirtschaften, die dem höchst kompetitiven globalen Umfeld ausgesetzt sind und Güter und Dienstleistungen aus günstiger produzierenden (Schwellen-)Ländern importieren, entstehen jedoch kaum Angebotsengpässe. Zudem dürfte es wohl noch Jahre dauern, bis die globale Wirtschaft an ihre Kapazitätsgrenzen stösst – und es deshalb zu Lohn- und demzufolge auch Preissteigerungen über die verschiedensten Sektoren hinweg kommen kann.

Überkapazitäten und Babyboomer

Es gibt noch eine weitere Form von Fortschritt, die sowohl Preisniveau als auch Finanzmärkte beeinflusst: die demografische Entwicklung. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahrzehnten weltweit markant gestiegen, und vor allem in Industrieländern ist die Alterung der Bevölkerung eine vielschichtige Herausforderung. In der Schweiz dürften in weniger als 30 Jahren 48 Rentner auf 100 Erwerbstätige kommen, zurzeit sind es 28.

Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer, die nun nach und nach ins Pensionsalter treten, spielen dabei eine spezielle Rolle. Sie profitierten vom Boom der 90er-Jahre wohl am meisten, sehen sich heute aber konfrontiert mit zunehmenden globalen Unsicherheiten, Sorgen um den Arbeitsplatz sowie steigenden Kosten im Gesundheits- und Vorsorgebereich. Das führt dazu, dass diese vermögensstarke Generation eher weniger konsumiert und dafür mehr in die Altersvorsorge investiert. In der Folge erscheinen die eingangs erwähnten niedrigen Inflationszahlen einerseits, und die haussierenden Anlagemärkte andererseits, plausibel zu sein.

Crash vermeiden – um jeden Preis

Den Zentralbanken ist all dies durchaus bewusst. In jüngster Zeit vermehrte sich die Kritik auch aus den eigenen Reihen der US-Notenbank, die herkömmlichen Modelle und deren Prognoseverlässlichkeit seien ungenügend. Doch diese Kritik fand kaum Beachtung. So kann man durchaus mutmassen, dass das neue übergeordnete Ziel der Notenbanken die Stabilisierung – oder gar Kontrolle – der Finanzmärkte ist. Und dieses Ziel wird auch der Preisstabilität vorangestellt, unter Ausblendung eigener Zweifel und wenn nötig unter Berufung auf nicht mehr zeitgemässe Modelle.

Für den Anleger bedeutet das, den Äusserungen und dem Verhalten der wichtigsten Zentralbanken weiterhin grösste Aufmerksamkeit zu schenken und die verschiedenen Vermögensklassen in den Portfolios entsprechend zu gewichten. Die Zinsen in den «reifen» Volkswirtschaften dürften jedenfalls noch für längere Zeit auf ihren extrem tiefen Niveaus verharren, und wenn, dann nur in homöopathischen Dosen ansteigen.


Richard Mooser 502Richard Mooser ist seit Mai 2017 Chief Investment Officer (CIO) und leitet seit gut fünf Jahren das Fixed Income Team. Er stiess im Januar 2008 als Senior Fixed Income Portfoliomanager zu Axa Investment Managers. Er ist für verschiedene Versicherungsportfolios und für den gemischten Retail Obligationen Fond (CHF) sowie für gewisse Kreditsektoren im Obligationen-Universum (CHF) verantwortlich. Bevor Mooser zu Axa Investment Managres kam, war er Leiter des Fixed Income Trading bei der Deutschen Bank in Zürich. Davor war er bis 1994 bei der UBS Zürich für den Handel und die Platzierung von Franken-Obligationen im Primärmarkt verantwortlich. Er besitzt das Schweizer Diplom für Finanzanalysten und Vermögensverwalter sowie das internationale Diplom «Certified International Investment Analyst».

 

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