Lesen Sie nachstehend das Kapitel «Opferrolle von Frauen» aus dem neuen Buch «Herz und Verstand im Verwaltungsrat» von Gabriele M. Paltzer-Lang.

Gabriele Paltzer 192Ich behaupte, dass die Frauen heutzutage viel zu oft als Opfer bezeichnet und behandelt werden. Meine Wahrnehmung ist allerdings, dass es auch Frauen gibt, die sich selber zum Opfer erklären, hochsensibel überreagieren, bewusst diese Opferrolle zelebrieren und die Privilegien daraus geniessen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem in den Medien nicht mehrere Artikel zu Frauen erscheinen; die Aufmerksamkeit für dieses Thema ist riesig.

In ihrem Buch «Es war doch gut gemeint» stellen die Autoren Daniel Ullrich und Sarah Diefenbach die These auf, dass ein Zusammenhang zwischen der Opferrolle von Frauen und der politischen Korrektheit besteht. Weshalb? Weil Opfer eine Minderheit darstellen, geschützt werden und nicht diskriminiert werden dürfen. Das ist richtig. Indirekt werden aber die Privilegierten für die Situation der Minderheiten verantwortlich gemacht, sie sind die Täter. Im Fall der Frauen sind dies die Männer. Einerseits sind es die Frauen, die gefördert und unterstützt werden und besondere Nachsicht geniessen sollten, also die Guten, die Opfer. Andererseits sind es die Männer, die für diese Situation verantwortlich gemacht werden, dafür Kritik erfahren und als die Bösen, eben als die Täter dastehen.

Andere Betrachtungsweise

Ich befürworte eine differenziertere, andere Betrachtungsweise. Man sollte Abstand davon nehmen, von den Frauen als Kategorie zu sprechen, und stattdessen dazu übergehen, sie als Individuen zu behandeln. Es könnte ja sein, dass sich nicht alle Frauen als Minderheit und als verletzte, schützenswerte Opfer sehen oder von Dritten so gesehen werden möchten. Es könnte ja auch sein, dass es Frauen gibt, die in ihrer Rolle, beruflich und privat, zufrieden und glücklich sind. Aber dann wären sie ja fast schon wieder Täter, weil sie sich nicht als Opfer sehen.

Ullrich und Diefenbach sprechen in ihrem Buch von verschiedenen Opferstatus und einer Opferhierarchie. Ganz zuoberst stehen die Migranten, dann die Lesben, Gays, Bisexuellen und Transgender, dann die Kinder und dann die Frauen. Diese Hierarchie ist anhand von Beispielen wie der Silvesternacht in Köln entstanden. Mehrere Frauen wurden an diesem Abend von Migranten sexuell belästigt. Die Polizei und die Medien haben diese sexuellen Übergriffe tagelang heruntergespielt oder ganz darüber geschwiegen. Die Migranten wurden bevorzugt behandelt, weil sie als die höherstehenden Opfer gelten. Die sexuellen Übergriffe wurden zwar medial verurteilt, aber das Problem wurde nicht bei den Tätern gesucht. Nein, die Ursache ermittelte man bei der Gesellschaft, weil sie die Täter zu wenig integriert habe. Dort sah man den eigentlichen Konfliktherd.

Sexistische Werbung

Ein anderes, nicht so ernsthaftes, dafür geradezu ulkiges Beispiel, wie sich die Medien so richtig für die Opferrolle der Frauen ins Zeug legten und ereiferten: Eine Warenhauskette warb für eine Dampfbügelstation und eine Freiarm-Nähmaschine als Muttertags Geschenk. Postwendend nahm sich eine Journalistin des Opferstatus der Frau an. Sie schrieb aufgebracht, da würden wieder Klischees über die Frau bedient, und überhaupt sei die Werbung sexistisch. Sie forderte Rücksichtnahme auf die Frauen und realisierte dabei nicht, dass sie diesen damit eine Art von Lebensunfähigkeit unterschob, nämlich selber über ein geeignetes Geschenk entscheiden zu können. Auch das ist eine Form des Patriarchats, diesmal aber aus den eigenen Reihen, von einer Frau, von einer Journalistin, von einer Feministin.

Immer noch kümmern sich die meisten Frauen, ob berufstätig oder nicht, um den Haushalt und um die Kindererziehung, dies nur nebenbei bemerkt. Diese Tatsache ist in den Medien oft eine Skandalisierung wert, wird als falsches Rollenbild dargestellt. Dabei wird vergessen, dass dieses Bild der Realität entspricht. Eine Wirklichkeitsverleugnung wird begünstigt. Der Grossteil der Frauen will sich über eine solche Werbung für ein Muttertags Geschenk gar nicht empören. Sie nehmen es als das, was es ist: ein Hinweis für den Kauf einer neuen praktischen Haushaltmaschine.

Erwartet wird, dass sich alle Frauen mit den Opfern solidarisieren, vor allem mit denjenigen Frauen, die sich über das traditionelle Frauenrollenmuster empören. Nicht alle Frauen wollen sich an einer Umerziehung ihres Geschlechts in Beruf und Familie engagieren. Es braucht für sie keine ständige Sensibilisierung und Aufklärung für ihr Rollenmuster. Frei und unabhängig möchten sie sich für ihr eigenes Lebenskonzept entscheiden, auf keinen Fall jedoch als Opfer abgewertet werden. Was sie anstreben ist, als Mensch, der zwar der Kategorie Frau angehört, aber als Individuum mit seiner Persönlichkeit, seinem Charakter und seinen Fähigkeiten wahrgenommen zu werden. Was solche Frauen bestimmt nicht wollen ist eine ständige Bevormundung von Journalisten, Politikern und Gutmenschen, insbesondere, wenn es nichts zu bevormunden und zu bedauern gibt. Einem gesellschaftlichen Wandel stehen weder die Frauen noch die Männer entgegen. Dieser muss aber auf der Freiwilligkeit jedes einzelnen Bürgers beruhen und nicht auf einem bestimmten Idealmodell, vorgegeben durch eine schon fast extrem ideologisch radikalisierte Minderheit. Niemals sollten Entscheidungen nur darauf gründen, wie sie von anderen interpretiert werden. Jeder Mensch soll und darf seinen eigenen Weg zum Glück finden. Leben und leben lassen!

Wie man einen Doktorvater aussucht

Eine Verwaltungsrätin machte darauf aufmerksam, dass man wegen der politischen Korrektheit und der Diskriminierung den Frauen gewisse Fragen gar nicht mehr stellen dürfe. Das habe Konsequenzen und könne in entscheidenden Fällen auch dazu führen, dass deswegen gewisse Frauen nicht angestellt würden. Umgekehrt sei es in Ordnung, wenn ein Unternehmen sich mit Kinderkrippe und flexiblen Arbeitszeiten für das Funktionieren einer Familie oder eben des Privaten engagiere. Sollten die Frauen nicht offener und auch gewillt sein, ihre Familienplanung mit einem eventuellen Arbeitgeber zu besprechen? Er nähme ja eine aktive Rolle ein, um später eine Anstellung mit Kindern möglich zu machen, aber vorher darüber mehr erfahren dürfe er offenbar nicht. Ist das nicht ein Widerspruch? Wie wichtig die Familienplanung für Frauen ist, zeigt das folgende Beispiel. Ich habe selber einmal an einer Informationsveranstaltung an der Universität Zürich teilgenommen, bei der es um das Verfassen einer Dissertationsarbeit ging. Überwiegend waren Studentinnen anwesend. Eigentlich sollte darüber informiert werden, wie eine Dissertation zu verfassen ist, und wie man einen Doktorvater aussucht. Diskutiert wurde aber praktisch nur die Familienplanung, weil das Kinderkriegen irgendwie in den Prozess einer Dissertation eingepasst werden muss.

Die Mehrheit der Frauen, davon bin ich überzeugt, möchten nicht ein Opfer sein. Ich glaube auch, dass man bewusst Probleme herbeiredet, indem man den Frauen ständig einen besonderen Status einräumt, ihnen mehr Aufmerksamkeit als üblich gibt. Erst wenn wir aufhören, Frauen bevorzugt zu thematisieren, wird eine neue Form der Gleichheit unter den Geschlechtern entstanden sein. Wir sind weit davon weg, wenn die Medien jede neue weibliche CEO oder Verwaltungsratspräsidentin oder Politikerin für eine Headline nutzen oder benutzen. Abgesehen davon ist es realitätsfremd, wenn man als Bedingung für einen Führungsposten in der Wirtschaft oder in der Politik unbedingt eine Frau hervorzaubern muss; das dient der Sache und ganz bestimmt den Frauen nicht. Solange die Politik für die Neuwahl eines Bundesrates nur das Argument kennt, es müsse eine Frau sein, sind wir von der Lösung des Problems noch lange Jahre entfernt. Ich kann es nicht genügend betonen: Für eine Führungsaufgabe sind die Persönlichkeit, die Fähigkeiten und der Leistungsausweis eines Menschen ausschlaggebend.

Politische Spiele

Angesprochen auf die allseits geforderte Zuwahl einer Frau in den Bundesrat erklärte mir eine Verwaltungsrätin, obwohl bei jeder Wahl in den Bundesrat Frauen portiert würden, gebe es immer einen Zeitgeist, dem das Parlament meist Folge leiste. Da könne es sein, dass man unbedingt einen Unternehmer, jemanden aus der Wirtschaft, einen aus einem bestimmten Sprachgebiet oder, wie es sich 2018 abzeichnete, eine Frau haben möchte. Unser System in der Schweiz sei nicht darauf aufgebaut, dass immer die Besten Bundesräte würden; das schweizerische System lebe vom Mittelmass. Das sei systemimmanent und nicht einmal so schlecht, weil so auch alle Interessen befriedigt würden. Die Schweiz habe gute Erfahrungen damit gemacht. Wer für den einen der Beste sei, sei nicht für alle anderen auch der Beste. Wenn in unserem System jemand den Kopf etwas zu hoch oben habe, dann würde dieser sehr schnell zurückgestutzt. Dazu kämen auch die politischen Spiele: Linke Frauen würden keine bürgerlichen Frauen wählen und beklagten sich dann, wenn ein Mann zum Zug komme. Umgekehrt sei eine linke Frau für die Bürgerlichen nicht wählbar. Das sei alles parteipolitisch bedingt, und man müsse es anerkennen.


«Herz und Verstand im Verwaltungsrat» – Eine Frau hinterfragt Geschlechter-Unterschiede – 40 Gespräche über Leadership – mit einem Vorwort von Oswald J. Grübel, Gabriele M. Paltzer-Lang, 2020, Münster-Verlag, 260 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-907146-95-8; 26 Franken/23 Euro, direkt bestellbar unter www.muensterverlag.ch


Gabriele Paltzer 502

Gabriele M. Paltzer-Lang hat nach der Matura an der New School for Social Reserach in New York studiert und an der Universität Zürich einen Master in Advanced Studies in Applied Ethics absolviert. Ihre Masterarbeit widmete sie dem unterschiedlichen Denken und Handeln von Frauen und Männern, insbesondere der Unterrepräsentation von Frauen in den Entscheidungsgremien der Wirtschaft und Gesellschaft. Sie lebt in Zürich, ist verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Neben dem Schreiben ist sie seit langem eine passionierte Orgelspielerin der Werke von Johann Sebastian Bach.

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