Die Krise in der Ukraine hat in der Schweiz eine Debatte über die Zukunft der militärischen Sicherheit und Neutralität entfacht. Eine solche Debatte muss zwingend auch andere Bereiche einbeziehen – insbesondere das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes.

So schnell wie eben gerade hat sich das Rad der Geschichte schon lange nicht mehr gedreht. Mit am auffallendsten ist sicher das neue Selbstbewusstsein der EU, die sich Jahrzehnte nach ihrer Gründung plötzlich intensiv mit der lange Zeit vernachlässigten Aussen- und Sicherheitspolitik beschäftigt und dabei erste Anzeichen von Emanzipation gegenüber den USA an den Tag legt.

Zwei der wirtschaftlich potenteren EU-Mitgliedstaaten, Finnland und Schweden, erwägen den Beitritt zum Verteidigungs-Bündnis Nato. Von der Tragweite der Entscheidung entspräche ein solcher Beitritt durchaus einem solchen der Schweiz. Finnland war aus sicherheitspolitischen Überlegungen – zumals gegenüber Russland – der Neutralität verpflichtet, während Schweden ähnlich wie die Schweiz seit 200 Jahren einen eigenen Weg beschritten hat.

Die Friedens-Dividende ist nicht mehr

Vor allem in Finnland vollzieht sich der Wandel in grosser Geschwindigkeit und offenkundig unter Druck der Geschehnisse in der Ukraine. In der laufenden Debatte erscheint ein Nato-Beitritt als sicherste Option, und ein Abwägen der Alternativen wird deshalb schwierig, weil Russland sich ins Abseits manövriert hat.

In Schweden hingegen, das nicht an Russland grenzt, ist sowohl die Öffentlichkeit als auch die politische Elite weniger eindeutig in ihrer Tendenz. Das Land vollzieht den Wandel nicht zuletzt aus der gemeinsamen Geschichte mit Finnland aber wohl auch.

Auch in der Schweiz wird die Sicherheitspolitik intensiv besprochen, wenig erstaunlich angesichts der aktuellen Lage. Wie andere europäische Staaten hat auch die Schweiz in den vergangenen drei Jahrzehnten die Friedens-Dividende genossen. Im Unterschied zu allen Ländern, die sich heute als Frontstaaten eines neuen Eisernen Vorhangs wiederfinden, liegt die Schweiz aber in sicherem Abstand zum Unruheherd im Osten.

Die Neutralitätsfrage kommt unweigerlich auf den Tisch

Darum findet die Debatte hierzulande auch auf einer viel weniger dramatischen Ebene statt als zum Beispiel im Baltikum oder eben in Finnland. So hat FDP-Präsident Thierry Burkart die Diskussion über eine engere Zusammenarbeit mit der Nato angestossen. Deutlich sichtbar wird dabei die Analogie zur Beziehung der Schweiz mit der EU – eine enge Zusammenarbeit aufbauen und pflegen, mitmachen in manchen Aspekten (Schutzschild gegen Interkontinentalwaffen zum Beispiel), aber alles ohne Teil des Ganzen zu werden.

Eine enge Anbindung und Interoperabilität mit der Nato bringt unweigerlich die Neutralitätsfrage auf den Tisch, auch in der Schweiz. Hier zeichnet sich ein Patt zwischen drei grösseren politischen Blöcken ab: In der Mitte eine breite Allianz, die sich um eine Zusammenarbeit über die Grenzen mit der Nato (und eben auch der EU) bemüht und zumindest teilweise die Zukunft der Neutralitätspolitik zur Debatte stellt.

Zur Linken ein Militär-skeptischer Pol, der im Zweifelsfall wohl gerade aus der Ablehnung der Nato die Neutralität betonen wird. Und schliesslich ein national-konservativer Pol zur Rechten, der zwar für gewisse Zusammenarbeitsformen mit der Nato zu haben sein dürfte, aber schon vorsorglich eine Volksinitiative für die Festschreibung der bewaffneten Neutralität ankündigt.

Die Rolle des Franken als Fluchtwährung

In dieser Auseinandersetzung fehlt bislang der Blick für die Wirtschaft. Es ist kein Zufall, dass Deutschland in der Sanktionspolitik bislang sehr gezielt gewisse Themen ausklammert – im Wissen, dass mehr Militär, Hilfslieferungen an die Ukraine, Flüchtlingsströme und – hoffentlich früher als später – ein Wiederaufbau der Ukraine irgendwie finanziert werden muss, und dass Deutschland dabei die Schlüsselrolle zufallen wird. Die Frage der Finanzierbarkeit wird von der Koalition immer wieder betont.

In der Schweiz gilt es, in der anlaufenden Debatte über die Zusammenarbeit mit der Nato und die Zukunft der Neutralität die Zusammenhänge mit der Wirtschaft zu analysieren. Es geht dabei unter anderem um die Rolle des Franken und um den Finanzplatz. Der Franken ist bekanntlich eine Fluchtwährung, was sich auch im ersten Quartal 2022 einmal mehr gezeigt hat.

Zeit für breite Debatte nutzen

Für die exportorientierten Wirtschaftszweige war der starke Franken immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits gebeutelt durch plötzliche Aufwertung, zwingt der Franken aber eben auch zu steten Produktivitäts-Fortschritten. Zudem verfügt die Schweiz über einen ausgesprochen starken Finanzplatz und dementsprechend einfachen Zugang zu Kapital.

Eine Analyse von Auswirkungen auf den Finanzplatz und die Wirtschaft im Allgemeinen gehören zwingend zur Debatte über militärische und politische Zusammenarbeitsformen. Der Preis einer neuen Ausrichtung muss in die Betrachtung einfliessen, nicht nur die zu erwartende Dividende.

Insofern ist die Schweiz in einer komfortableren Situation als zum Beispiel Finnland. Während dort der Sicherheitsfrage sehr hohe Dringlichkeit zukommt, hat die Schweiz (hoffentlich) die Zeit, sich eingehend mit allen Aspekten einer Neuausrichtung zu befassen.

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