Viele Bankkundinnen und -kunden würden heute kaum mehr die Wertschätzung erhalten, die sie eigentlich verdient hätten. Darum würden sie sich von den grossen Finanzinstituten abwenden, sagt der Schweizer Vermögensverwalter Leo Wüst im Interview mit finews.tv.

Der Schweizer Leo Wüst verwaltet seit bald 25 Jahren das Vermögen seiner Familie sowie anderer Kundinnen und Kunden im Trianon Family Office, das in Zug domiziliert ist.

Im Gespräch mit finews.tv stellt er fest, dass sich viele Schweizerinnen und Schweizer von den Grossbanken abwenden. «Das erleben wir praktisch jeden Tag», sagt er im Interview.

Zu wenig Wertschätzung

Natürlich brauche es in jedem Land, und damit auch in der Schweiz, Grossbanken oder Kantonalbanken, um Finanztransaktionen abzuwickeln. Doch ein Privatkunde mit ein paar 100'000 Franken lande bei grössten Finanzinstituten schnell einmal in einem Call-Center, wo die Wertschätzung für sein Geld, das er sein Leben lang gespart habe, nicht vorhanden sei. «Banken sind heute wie Call-Centers», erklärt Wüst. Jedes Mal, wenn man anrufe, sei jemand anders am anderen Ende der Leitung.

 

«Die Kunden wollen mit jemandem sprechen, der Erfahrung hat», stellt der langjährige Finanzexperte weiter fest und sieht da ein grosses Potenzial für unabhängige Vermögensverwalter und Multi-Family-Offices, weil diese mit persönlichen Ansprechpartnern die Kundschaft betreuen. «Und wir sind keine Produkteverkäufer; wir investieren parallel zu den Kundinnen und Kunden auch unser eigenes Geld», betont Wüst.

Inflation war schon immer da

Er geht allerdings auch mit seiner eigenen Zunft ins Gericht: «Als Vermögensverwalter sollten wir eine gewisse Eigenverantwortung tragen. Doch nicht alle Akteure nehmen sie wahr», unterstreicht Wüst und begrüsst die teilweise sehr strengen Regulatorien in der Branche. «Schliesslich haben wir es mit Geld zu tun, also mit etwas Sensiblem», unterstreicht Wüst. «Wenn mir ein Kunde Geld anvertraut, dann muss ich auch entsprechend damit umgehen.»

Die derzeitige Inflation, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten teilweise höchst negativ auf die Finanzmärkte ausgewirkt hat, macht Wüst wenig Sorgen, wie er im Interview weiter erklärt. Die Übertreibungen vor allem bei den Rohstoffpreisen, namentlich beim Erdöl sowie beim Weizen, hätten sich inzwischen bereits wieder normalisiert, wie das in vielen Zyklen immer der Fall sei.

Auf einem holperigen Weg unterwegs

Wie Wüst weiter erklärt, gab es schon in den vergangenen zwanzig Jahren Inflation, etwa bei den Immobilien- oder Aktienpreisen, aber ersteres bezeichnete man als Wertsteigerung und letzteres als Bullenmarkt. «Erst wenn es im Portemonnaie teurer wird, spricht man von Inflation. Doch wir haben immer mit Inflation gelebt.

Die Geldschwemme der vergangenen Jahre hat das Ganze ein wenig relativiert», so Wüst, «das ist nun vorbei, darum sind wir nun auf einem holperigen Weg. Aber die Welt wird nicht aufhören, sich zu drehen.»

Fressen und gefressen werden

Blickt Wüst auf seine lange Karriere in der Finanzbranche zurück, die ihn als Händler unter anderem auch nach New York brachte, vermisst er heute die zwischenmenschlichen Beziehungen am meisten. «Das sind gute Erinnerungen, wenn Sie auf dem Trading Floor gearbeitet haben. Das war der «Open Outcry», das hat gelebt. Es war ein grosses Fressen und Gefressenwerden. Aber am Ende des Tages waren wir trotz allem wie eine grosse Familie.»

Das fehle heute. Betrete man einen Handelsraum, würden alle einen Kopfhörer tragen, und man höre bloss noch das Geräusch des Tastaturtippens.

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