Der Zurich-Präsident mag Vergleiche mit den Banken nicht. Versicherungen hätten einen längerfristigeren Ansatz. «Wir sind auch keine Fanatiker unkontrollierter Wetten», sagt Michel Liès im Interview mit finews.ch und verrät auch, weshalb er sich seit 49 Jahren der Schweiz zugehörig fühlt.    


Herr Liès, die Zurich profiliert sich als durch und durch nachhaltiges Unternehmen, wie auch ein Augenschein am Hauptsitz, dem Quai Zurich Campus, zeigt, der als integrales Ökosystem konzipiert ist. Was für ein Auto fahren Sie privat?

Einen Smart.

Kein elektrobetriebenes Auto?

Ich muss gestehen, ich fahre ein Motorrad und ein kleines Auto, aber leider immer noch mit Benzin.

Warum?

Mein Hauptproblem ist, dass wir ein Ferienhaus in Frankreich besitzen, das sehr weit entfernt ist von der Schweiz, fast 900 Kilometer. Natürlich hätte ich gerne ein E-Mobil. Allerdings müsste es mir eine 900-Kilometer-Autonomie bieten, denn mitten in Frankreich gibt es noch nicht so viele Ladestationen. Darum behalte ich vorläufig noch mein Auto.

Die Zurich feiert dieses Jahr ihr 150-jähriges Bestehen. Sie ist nicht nur mit dem Firmennamen, sondern auch als Versicherungskonzern mit dem hiesigen Finanzplatz eng verbunden. Was ist das Geheimnis des Erfolgs von Zürich als Finanzzentrum?

Heute befasst man sich oftmals eher mit der Frage, weshalb etwas nicht erfolgreich ist, wie es das Beispiel einer Schweizer Grossbank aktuell zeigt.

Und darauf haben Sie auch eine Erklärung?

Selbstverständlich möchte ich mich nicht zu anderen Unternehmen äussern. Ich kann nur sagen, dass mein Pendant dort, also der heutige Chairman (Axel Lehmann), ein langjähriger Zurich-Mann war. Als Vertreter des Finanzplatzes sind wir wie eine Familie und entsprechend nicht «happy», wenn es einem Mitglied schlecht geht; insbesondere, wenn dieses Unternehmen in seinem Namen das Wort «Suisse» trägt.

«Wir schulden dem Schweizer Industriepionier Alfred Escher immer noch sehr viel»

Generell denke ich, dass wir als Versicherer weniger zurückhaltend sein sollten und stattdessen mehr aufzeigen müssten, welchen Mehrwert unsere Branche langfristig bietet, etwa im Umgang mit Risiken oder wenn es um Langfristigkeit geht.

Was uns zurückführt zur Frage, was die Erfolgsfaktoren des Zürcher Finanzplatzes sind.

Ich glaube, es ist die Offenheit der Welt gegenüber. Wir schulden dem Schweizer Industriepionier Alfred Escher immer noch sehr viel – selbst wenn das schon sehr lange her ist. Gleichzeitig bietet Zürich auch Raum für Innovationen und Startups. Im Vordergrund des Finanzplatzes stehen zumeist die Banken. Dabei geht vergessen, dass einige grosse Schweizer Versicherer dazu beigetragen haben, dass sich ausländische Konkurrenten ebenfalls hier niederliessen und sich Zürich als ein weltweit sehr wichtiges Versicherungszentrum durchgesetzt hat.

«Wir sind keine Fanatiker unkontrollierter Wetten»

Natürlich ist für den Finanzplatz auch die stabile Währung wichtig. Zudem glaube ich, dass wir auch eine Regierung haben, die das Land in einer glaubwürdigen Art führt. Das Vertrauen in die Politik der Regierung – trotz aller Nebengeräusche – ist nach wie vor enorm. Darüber hinaus spielen die Ausbildungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle, was ebenfalls dazu verholfen hat, dass sich ausländische Versicherer hier angesiedelt haben.

Das alles weiss nur ein kleiner Teil der hiesigen Bevölkerung.

Richtig, wir müssen uns noch stärker darum bemühen, dass die Leute unser Geschäftsmodell verstehen. Es ist resilient, insbesondere in einem Jahr, das nicht grossartig ist, selbst wenn wir im Moment nichts Negatives zu vermelden haben. Wir sind auch keine Fanatiker unkontrollierter Wetten. Und ich glaube auch, dass die Risikomanagement-Fähigkeit der Versicherungsbranche noch stärker betont werden sollte – besonders auf politischer Ebene.

Warum?

Es ist logisch, dass wir uns primär um unmittelbare Herausforderungen kümmern müssen. Aber als Versicherer störe ich mich daran, dass die langfristige Dimension in vielen Belangen zu kurz kommt. Die Politik hätte einiges zu gewinnen, wenn sie die Lang- und Kurzfristigkeiten besser ausbalancieren würde. Aber ich weiss auch, dass dies in einem demokratischen System ein Challenge ist.

«In China hat Zeit keine Dimension»

Es ist interessant zu sehen, wie beispielsweise in Peking über langfristige Themen gesprochen wird. Solche Gespräche sind immer sehr intensiv – im Gegensatz zum Westen – weil in China Zeit keine Dimension ist.

Früher dominierten im Wirtschaftsalltag Themen wie Shareholder Value oder die Eigenkapitalrendite; heute befasst man sich mit dem Klimawandel und Artenvielfalt. Ist es nicht merkwürdig, dass man sich als Unternehmen nun mit derlei gesellschaftlichen Problemen herumschlagen muss?

Ich habe lange bei der Swiss Re gearbeitet, wo mein Chairman der inzwischen verstorbene Ulrich Bremi war, und der für mich immer ein Vorbild geblieben ist. Er war auch sehr aktiv in der Politik. Ich glaube, ein grosser Erfolgsfaktor der Schweiz liegt in den Beziehungen zwischen den Politikern und Wirtschaftsvertretern. In diesem Zusammenhang spreche ich gerne von einem nicht-elitären Liberalismus.

Was meinen Sie damit?

In vielen Ländern hat der Liberalismus einen Touch von Elitarismus und stösst so auf Widerstand in der Gesellschaft. Hierzulande ist der Liberalismus eine Basis, die es uns erlaubt, angenehmer zu leben, indem wir gemeinsam an unserem Wohlstand arbeiten.

«Man sollte uns nicht mit den Banken vergleichen»

Ich bin auch Chairman der Denkfabrik Avenir Suisse. In diesem Kontext ist dieser nicht-elitäre Liberalismus ebenfalls wichtig, indem wir uns zu Wort melden, uns einmischen in gesellschaftliche Probleme. Wir machen das heute in einer anderen Art als zu Zeiten von Ulrich Bremi.

Was ist der konkrete Beitrag der Assekuranzbranche in diesem Zusammenhang?

Als Versicherer liefern wir eine klare Definition der Kosten, die anfallen, wenn wir mit unserer Umwelt nicht vernünftig umgehen. Zudem glaube ich, dass wir eine grosse Glaubwürdigkeit besitzen, die wir noch gezielter ausspielen sollten. Denn gerade in der Klima-Debatte wird sehr viel polarisiert.

Haben Versicherer eine grössere Glaubwürdigkeit als Banken?

Man sollte uns nicht mit den Banken vergleichen. Ich finde eher, dass wir eine grössere Glaubwürdigkeit besitzen als gewisse NGOs, im Sinne, dass manche NGOs oftmals sehr dogmatisch sind und sich zu wenig auf Fakten abstützen. Unsere Analysen gehen weiter als die Überzeugung eines NGOs; wobei – zugegeben – viele Bestrebungen mit Überzeugung anfangen.

Schwierige Zeiten, eine hohe Inflation, Rezessionsgefahr…

…hier nicht! Glücklicherweise haben wir einen Nationalbankpräsidenten der viel schneller reagiert hat als viele andere seiner Zunft. Insofern hat die Schweiz auch die Covid-Krise proaktiv gemeistert und viel investiert. Wenn ich als Versicherungsvertreter in Bundesbern war, ging es immer auch um die Frage, wie zahlen wir das zurück. Das war immer ein Thema. Nichts galt als «gottgegeben». Es gibt keine Geschenke von oben.

«Ich bin seit 49 Jahren mit einer Walliserin verheiratet»

Das ist die Mentalität, die uns zum Erfolg verhilft und zur Glaubwürdigkeit, die wir als Schweiz aber auch als Zurich-Versicherung geniessen – in einem so kleinen Land, das so international ist.

Sind Sie eigentlich auch Schweizer?

Nein! Weil ich bis vor einigen Jahren nicht gleichzeitig Luxemburger und Schweizer sein konnte. Jetzt hat mein Heimatland diese Einschränkung aufgehoben. Nun könnte ich Schweizer werden. Aber ehrlich gesagt, ich bin seit 49 Jahren mit einer Walliserin verheiratet. Wenn Sie das nicht als eine absolute Integration betrachten, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.


Michel M. Liès verfügt über eine 40-jährige Erfahrung im weltweiten Versicherungs-, Rückversicherungs-, Lebensversicherungs-, Schaden- und Unfallversicherungsgeschäft. Er hat eine Vielzahl von Positionen in der Versicherungsindustrie bekleidet. Er begann seine Karriere bei der Swiss Re im Jahr 1978. Im Februar 2012 wurde er zum Group CEO der Swiss Re ernannt und bekleidete diese Position bis zu seiner Pensionierung 2016. Seit April 2018 ist er Verwaltungsratspräsident der Zurich Insurance Group und der Zürich Versicherungs-Gesellschaft.

 

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