Die grösste Bank Amerikas ist vom Podest gestürzt. Ein unreflektiertes Gewinnstreben wurde ihr dabei zum Verhängnis. Mit Folgen auch für den Schweizer Finanzplatz.

Im zweiten Quartal 2012 wird J.P. Morgan stattdessen einen Verlust von rund 1,8 Milliarden Dollar oder allenfalls sogar noch mehr ausweisen müssen, wie Konzernchef Jamie Dimon am Donnerstagabend der Öffentlichkeit beichtete.

«Die Handelsrisiken werden noch ein paar Quartale anhalten», sagte er bei einem kurzfristig einberufenen Conference Call, und die Verluste stiegen mit ihrer Bereinigung (finews.ch berichtete).

Damit beweist ein weiterer globaler Finanzgigant, dass sein Risikomanagement nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Doch hat das auch Konsequenzen für den Schweizer Finanzplatz?

Analog zu einem Beitrag der britischen Stellenplattform «eFinancialCareers» haben wir zehn Denkanstösse zusammengetragen.

  • 1. Ausgerechnet die Parade-Bank sieht alt aus

J.P. Morgan-CEO Jamie Dimon tat sich bisher als vehementer Gegner von engeren Bestimmungen hervor. Dies nicht nur in Washington. «Der König der Wallstreet» profilierte sich etwa auf den Podien des World Economic Forum in Davos regelmässig als Freiheitskämpfer für das grenzenlose Finanzgeschäft.

Das gründete auf  dem Erfolg und der Sicherheit, mit denen Dimon die Finanzkrise durchpflügt hatte: Dimon galt als Mann der Vorsicht. Diese Glaubwürdigkeit ist nun angekratzt.

Der Fall J.P. Morgan dürfte auch für die CEOs der grössten Schweizer Banken ein Rückschlag sein und ihre «Credibility» relativieren. Dafür erhalten die Bankenkritiker Aufwind – wenn es künftig (wieder einmal) um die Beschränkung der Boni geht.

  • 2. Frischer Wind für Regulierungsideen

Jamie Dimon wehrt sich seit langem gegen eine unfaire Behandlung der Banken durch den Gesetzgeber und gegen das zu strenge Regime der Aufsichtsbehörden. Nun muss sich die J.P. Morgan-Führungscrew den Vorwurf gefallen lassen, ihre Bank nicht unter Kontrolle zu haben.

Bereits befand US-Senator Carl Levin (Dem.), dass die Banken eben doch härter an die Kandare genommen werden müssen. Die Erkenntnis, dass die Absicherungsstrategien der Banken nicht greifen, dürfte den Forderungen solcher Politiker Nachdruck verleihen – nicht nur in Washington.

  • 3. Wir reden wieder übers Investmentbanking

Jamie Dimon betont, dass die Aktivitäten von Chief Investment Officer Bruno Iskil – einem Händler im Chief Investment Office der Bank – im Einklang waren mit den Volcker-Regeln, welche die Eigenhandelsaktivitäten der Geschäftsbanken begrenzen.

Aber nur schon dass der J.P. Morgan-Chef unablässig wiederholen muss, seine Bank habe nichts Unrechtes getan, wird der Diskussion um eine Abtrennung des Investmentbanking bei den Grossbanken in der Schweiz neuen Aufwind geben.

  • 4. Noch mehr Druck auf die Löhne

Bereits stehen die Gehälter der Banker massiv unter Druck. Doch mit dem Versagen der obersten Führungscrew bei J.P. Morgan wird die «Neuanpassung» noch etwas schneller vonstatten gehen. Immerhin wird mit J.P.Morgan ein Platzhirsch des globalen Banking wohl bald tiefere Bonus-Rückstellungen ausweisen – entsprechend den tieferen Gewinnzahlen im laufenden Quartal (siehe auch Punkt 7).

Dies geschieht im Rahmen einer Abwärtsspirale bei den Entlöhungen (insbesondere im Investmentbanking). Und es geschieht vor dem Hintergrund, dass an den Generalversammlungen jene Aktionärsstimmen, die jeweils den Vergütungsbericht ablehnen, noch nie so gross waren wie dieses Jahr. Dies bekamen jetzt bekanntlich auch die  Schweizer Grossbanken zu spüren.

  • 5. Risikomanagement wird gestärkt

Der J.P. Morgan-Fall wird der Forderung des Basler Bankenausschusses Auftrieb verleihen, wonach die Finanzhäuser ihre VaR-Modelle mit besseren Risikomessmethoden ersetzen müssten.

Immerhin, das Gute daran: So entstehen auch in der Schweiz neue Jobs für hochqualifizierte Mathematiker, Physiker und Finanzökonomen. Deren Status wird gegenüber dem klassischen Banker markant steigen.

  • 6. Risikoaversion steigt – Gewinne schrumpfen

Alle Finanzhäuser werden (erneut) über die Bücher gehen und (zumindest in der nächsten Zeit) ihre Börsenhändler zu doppelter Vorsicht anhalten.

Die Gewinnerwartungen im Investmentbanking bis Ende 2012 dürften damit auch tiefer zu liegen kommen als im ersten Quartal 2012 lanciert. Damit erhalten die Pessimisten unter den Finanzanalysten weiteren Auftrieb. Auch dies könnten die beiden Schweizer Grossbanken zu spüren bekommen.

  • 7. Schwere Zeiten für Prop-Trader

Fragen, die nun aufploppen: Was bringen eigentlich aufgeschobene Vergütungen? Senken sie die Risikoneigung tatsächlich? Oder liegt das Problem woanders?

Der Händler, der die Verluste verursacht hat, soll letztes Jahr ein Salär von 14 Millionen Dollar kassiert haben. Doch die Boni für die Börsenhändler werden in Zukunft wohl noch weiter aufgeschoben werden. Denn nur so kann sich ein Geldinstitut vor allfälligen Überraschungen schützen. Damit sollte der Status der Eigenhändler (Prop-Trader) deutlich sinken.

Diese Woche kündigte der neue UBS-Präsident Axel Weber an, die Bemessung der Saläre auf eine neue Grundlage zu stellen. «Vom ersten Tag an habe ich einen breit angelegten Prozess mit Aktionären und unseren Angestellten begonnen», sagte er am Donnerstag auf einer Wirtschaftskonferenz in London.

  • 8. Französische Banker als Spottfiguren

Das Ereignis wirft ein schlechtes Licht auf französische Investmentbanker: Bruno Iskil, der fehlbare Händler bei J.P. Morgan, ist Franzose –  wie  Jerôme Kerviel (der Société-Générale-Verlustbringer), Fabrice Tourre (der bei Goldman Sachs ins Visier der SEC geriet) und Hervé Falciani (der die HSBC-Kundendaten verriet).

Französische Banker in der Schweiz werden sich in nächster Zeit zumindest einige Sprüche von ihren Kollegen gefallen lassen müssen.

  • 9. Die Halbwertszeit der Chefs sinkt weiter

Laut US-Finanzmedien wie «Bloomberg» und dem «Dealbook» der «New York Times» steht nicht nur Händler Bruno Iksil auf der Abschussliste. In Gefahr sind ebenso Treasury-Chef, Michael Cavanagh und Chief Risk Officer John Hogan, der CEO Dimon sehr nahe stehen soll. Doch erst wenn Finanzchef Doug Braunstein über die Klinge springen müsste, würde auch Konzernchef Jamie Dimon verwundbar.

Fest steht indessen, je dichter die Kadenz solcher «Unfälle» wird, desto eher müssen die Top-Shots ihren Platz räumen.

Der Fall Kerviel kostete bei der Société Générale den CEO und den Chef der Investmentbank den Job, bei der UBS musste Oswald Grübel wegen Kweku Adoboli sein Pult räumen. Zwar kann sich Grübel zumindest teilweise rehabilitiert fühlen, wenn selbst ein Jamie Dimon kleinlaut schwere Fehler eingestehen muss.

Doch auch die Schweizer Aufsichtsbehörden werden sich durch das Selbstkasteiungsritual immer weniger zufrieden stellen lassen und sich in der Auffassung bestätigt fühlen, dass die Finanzindustrie mit der Selbstregulierung überfordert ist.

  • 10. Es gibt auch Gewinner...

Goldman Sachs hat ein Imageproblem, was sich über die Zeit auch auf die Erträge auswirkten könnte. Europas Banken ringen mit zusätzlichen Widrigkeiten. Vor diesem Hintergrund ist es gut möglich, dass die beiden Schweizer Grossbanken von der gegenwärtigen Situation profitieren und in der relativen Gunst wieder etwas aufsteigen könnten – vorausgesetzt, dass sich nicht wieder ein neuer Fall Adoboli ereignet.

 

• Siehe: eFinancialcareers UK, «10 important repercussions of JPMorgan's CIO blow-up»

• J.P. Morgan: Was an der Ad-hoc-Pressekonferenz gesagt wurde 

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.28%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.8%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.91%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.39%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.62%
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