Kundenberater der LGT würden einen grösseren unternehmerischen Freiraum geniessen als bei einer Grossbank, sagt Schweiz-Chef Heinrich Henckel im Interview.


Herr Henckel, kommen sich die LGT mit Sitz in Vaduz und die LGT in der Schweiz nicht in die Quere?

Das könnte man auf Anhieb vermuten. Aber wir wickeln möglichst viele interne Dienstleistungen, wie den Handel, das Kreditgeschäft oder den Zahlungsverkehr, zentral in unserem Service-Center in Bendern in Liechtenstein ab. Darum kommt es eigentlich kaum zu Doppelspurigkeiten.

Wir dachten eher, dass die beiden Banken hinter denselben Kunden her sein könnten?

Das kommt ab und zu vor, wobei viele Kunden Wert darauf legen, sowohl in der Schweiz als auch in Liechtenstein gebucht zu sein, weil das zwei unterschiedliche Jurisdiktionen sind. Für unsere Bank in Liechtenstein sind vor allem die Märkte Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich wichtig, während die hiesige Bank neben dem Schweizer und dem europäischen Geschäft viele Kunden aus Lateinamerika, Osteuropa sowie aus dem Nahen Osten betreut.

Die Schweizer Bankbranche befindet sich im Umbruch. Welche Rolle spielt Ihr Institut dabei?

Lassen Sie mich kurz ausholen: Im Jahr 1990 gab es in der Schweiz 625 Banken, heute sind es noch etwa 260, also gut ein Drittel. Auslandsbanken gab es 2005 noch 180, per Mitte 2016 waren es 117. Im Gegensatz dazu hat sich der Bestand an Kundengeldern inzwischen auf dem gleichen Stand wie vor der Finanzkrise eingependelt.

«Die Konsolidierung hat sich verlangsamt. Die grossen ‹Pakete› sind weg»

Mit anderen Worten: Es findet zwar eine Konsolidierung statt, aber der Schweizer Finanzplatz ist für viele ausländische Kunden nach wie vor sehr attraktiv.

Was bedeutet das für die LGT konkret?

Für uns war diese Entwicklung stets eine Chance, indem wir beispielsweise 2009 die Dresdner Bank Schweiz und 2014 ein umfangreiches Kundenportfolio der HSBC übernehmen konnten. Darüber hinaus kamen über die Jahre auch diverse Teams zu uns. Wir haben also von der Konsolidierung eindeutig profitiert. Es gelang uns, hoch qualifizierte Leute und fantastische Kundenstämme zu gewinnen.

Geht es so weiter?

Das ist zumindest unsere Absicht. Doch die Konsolidierung hat sich verlangsamt. Die grossen «Pakete» sind weg, also bedeutende Institute, die bestimmte Märkte nicht länger mehr betreuen und Kundengelder abtreten wollen.

«Als ‹sweet spot› interessieren uns Portfolios mit 5 bis 15 Milliarden Franken an Kundengeldern»

Bei kleineren Häusern, die erkennen müssen, dass sie auf längere Sicht nicht überleben werden, ist hingegen immer noch sehr viel Bewegung drin. Aber da haben wir weniger Appetit.

Warum?

Man muss sich stets vor Augen halten, dass Akquisitionen enorm aufwändig und zumeist komplex sind. Ich denke da an die unterschiedlichen IT-Plattformen, an die Kundenstrukturen, an die Integration und die Firmenkultur. Solche Übungen lohnen sich erst ab einem gewissen Volumen und einer gewissen Homogenität. Die Übernahme einer vergleichsweise kleinen Bank mit beispielsweise weniger als drei Milliarden Franken Kundengelder, verteilt über 120 Kundendomizile und ohne funktionierende Kostenstruktur macht keinen Sinn.

Was wäre aus Ihrer Sicht eine ideale Grösse, sozusagen Ihr «perfect fit»?

Als «sweet spot» interessieren uns Portfolios mit 5 bis 15 Milliarden Franken an Kundengeldern, wobei man jeden Fall einzeln prüfen muss. Eine Transaktion ist immer abhängig von der Deal-Struktur; kauft man eine ganze Bank oder nur Teams und deren Kundendepots?

«Wir könnten auch hierzulande eine solche Akquisition stemmen»

Sicherlich ist es heute einfacher, europäische Portfolios zu übernehmen, zumal aus regulatorischer und steuerlicher Sicht einiges bereits erledigt und die US-Thematik mehr oder weniger verschwunden ist.

Die LGT Gruppe hat unlängst das Private-Banking-Geschäft der holländischen ABN Amro in Asien übernommen. Wäre ein Deal dieser Grössenordnung auch in der Schweiz denkbar?

Denkbar schon, zumal wir mit der Dresdner Bank (10 Milliarden Franken an Kundengeldern) sowie den HSBC-Portfolios (7 Milliarden Franken) in der Vergangenheit durchaus Erfahrungen sammeln konnten. Insofern besitzen wir das Know-how, das wir nun auch unseren Kollegen in Asien zur Verfügung stellen.

Können Sie das genauer erklären?

Wir haben Mitarbeiter aus der Schweiz, die nun in Hongkong und Singapur ihre Erfahrung bei der Integration von ABN Amro einbringen. Insofern lautet die Antwort auf Ihre Frage, ja, wir könnten auch hierzulande eine solche Akquisition stemmen, aber von einem solchen «Objekt» wüsste ich derzeit nichts.

Wie haben sich die Anforderungen an die Kundenberater verändert?

Stark! Vor allem die älteren Kundenberater können ein Lied davon singen. Vor zehn Jahren hatte man ein Modell, bei dem man jedem Kunden, egal wo er domiziliert war, das Gleiche anbieten konnte.

«Heute hängt es davon ab, wie gut es jemand versteht, auf dieser Klaviatur zu spielen»

Und dieses Modell beruhte erst noch darauf, dass die meisten Kunden in die Schweiz kamen. Darum mussten die hiesigen Banken auch meist nicht intensiv im Ausland auf Akquisitionstour gehen. Und was die regulatorischen Anforderungen angeht, war die Ausgangslage damals noch ziemlich «lean».

Und heute?

Heute haben Sie eine Situation, in der Sie jedem Kunden, unabhängig davon, wer er ist, woher er kommt und was seine persönlichen Bedürfnisse sind, nur nach Steuerdomizil vorgegebene Dienstleistungen anbieten können. Das ist ein Paradigmenwechsel. Heute stehen Sie zudem als Bank in direkter Konkurrenz mit den lokalen Anbietern in einem Land. Unsere Kundenberater müssen für jedes Steuerdomizil, in denen sie tätig ist, Prüfungen ablegen. Und schliesslich tragen die Kundenberater im Compliance-Bereich heute wesentlich mehr Verantwortung als früher – auch gegenüber ihrer Bank.

Ist der Kundenberater angesichts der technologischen Entwicklung nicht bloss noch ein Statist, der ausführt?

Es ist so, dass sich dieser Job über die letzten Jahre massiv verändert hat. Ich würde aber trotzdem behaupten, dass ein guter Kundenberater immer noch beraten kann. Intern steht ihm dafür sogar ein wesentlich grösseres Know-how an Ideen, Research und Support zur Verfügung als früher. Heute hängt es davon ab, wie gut es jemand versteht, auf dieser Klaviatur zu spielen, insofern sind die Ansprüche gestiegen.

«Wir sind nicht so rigid wie andere Privatbanken»

Insgesamt würde ich sagen, dass ein Kundenberater bei uns einen grösseren unternehmerischen Freiraum geniesst als etwa bei einer Grossbank. Wir haben keine Vertriebsmodelle, bei denen der Berater eine «Hausmeinung» verkaufen und seinen Kunden eine vorgeschriebene Anzahl an Produkten ins Portefeuille absetzen muss. Ich bin seit acht Jahren bei der LGT und habe noch nie ein «Push-Ziel» gesehen.

Braucht es im Zeitalter der Digitalisierung denn überhaupt noch Kundenberater?

Das ist im Moment eine beliebte Frage. Letztlich kommt es aber sehr darauf an, in welchem Kundensegment Sie tätig sind.

Wie definiert sich das bei Ihnen?

Wir sind nicht so rigid wie andere Privatbanken, die Kunden erst ab einem Minimum von beispielsweise fünf Millionen Franken aufnehmen. Ein Private-Banking-Mandat, bei dem man eine bestimmte Strategie umsetzt, sollte aber sinnvollerweise mindestens eine Millionen Franken betragen.

«Die Digitalisierung findet schon seit zwanzig Jahren statt»

Aber, wie gesagt, wir haben da keine eigentlichen Vorgaben, sondern nehmen jene Kunden auf, bei denen wir ein Potenzial zu sehen glauben.

Zurück zur Frage der Digitalisierung.

Im Private Banking wird es auch in Zukunft «physische» Kundenberatung geben. Die Digitalisierung spielt vor allem im Support eine Rolle, also in den rückwärtigen, abwicklungstechnischen Bereichen, sowie in der Interaktion mit den Kunden über die jeweiligen Applikationen, die als Scharnier zwischen Bank und Klientel dienen.

Wo steht die LGT in dieser Entwicklung?

Die Digitalisierung findet schon seit zwanzig Jahren statt. Mit anderen Worten, der Zyklus ist langsam. Es ist nicht so, dass sich die Welt alle drei Jahre neu erfindet. Auf einen Hype folgt die grosse Ernüchterung, und erst über die Zeit gelangt man in eine produktive Zone.

So gesehen werden Robo-Advisors sicherlich schon irgendwann einmal eine grössere Rolle spielen. Aber die Technik ist noch nicht so ausgegoren, sie ist noch Risiken ausgesetzt und auch die Regulierung ist noch damit beschäftigt, sich zu positionieren. Viel Geld wird damit noch nicht verdient. Das wird noch Jahre dauern.

«Wir wollen im laufenden Jahr unser Beratungs-Angebot im Mobile Banking ausrollen»

Im Private Banking ist die Digitalisierung noch nicht so angekommen wie in anderen Kundensegmenten, wo Dienstleistungen wie Zahlungsverkehr oder Kredite eine grössere Rolle spielen. Aber gemessen an unserem IT Investmentvolumen von einigen Millionen Franken jährlich verfolgt die LGT bedeutende Digitalisierungsprojekte. Dies vor allem im Bereich des Frontsupports. Wir wollen zudem im laufenden Jahr unser Beratungs-Angebot auch im Mobile Banking ausrollen.

Was sind die grössten Veränderungen in Ihrem Geschäft?

Ich gehe davon aus, dass sich die laufenden Entwicklungen weiter beschleunigen werden, wie die regulatorischen Veränderungen oder die Anpassungen in den Kostenstrukturen. Das alles wird sicherlich nicht einfacher. Seit Jahren wird vom Margenschwund gesprochen, jetzt sieht man ihn tatsächlich deutlich. Und dann findet da auch noch ein politischer Paradigmenwechsel statt.

Was meinen Sie damit?

Der Automatische Informationsaustausch (AIA) wird die Ausgangslage in manchen Märkten massiv verändern. In Europa dürfte das Problem über kurz oder lang gelöst sein. Aber es gibt andere Märkte, um die ich mir echt Sorgen mache.

«Unsere Kunden sind keine Oligarchen»

Es ist fraglich, ob die Schweiz gut beraten ist, mit Ländern AIA-Vereinbarungen abzuschliessen, in denen die Rechtssicherheit nicht gewährleistet ist, es kein Modell für die steuerliche Vergangenheitsbewältigung gibt und unausgegorene Regulationsansätze herumgeistern.

Wie Sie eingangs gesagt haben, betreuen Sie auch russische Kunden. Ist das nicht ein sehr riskantes Geschäft?

Unsere Kunden sind keine Oligarchen, sondern solide Unternehmer und Inhaber von kleinen und mittelgrossen Unternehmen. Auch der Nahe Osten und Afrika, vor allem Ostafrika, sind für uns interessante Wachstumsmärkte, wenngleich noch herausfordernd und compliancemässig komplex in der Handhabe.

«Interessanterweise fliessen viele dieser Gelder in die USA»

Potenzial besteht ebenfalls noch in Lateinamerika. Allerdings befinden sich dort viele Länder in einer Übergangsphase bis die Kunden sich entschieden haben, was sie mit ihrem Geld aufgrund der Einführung des AIA tun wollen.

Verlieren Sie dabei Kundengelder?

Natürlich gibt es Kunden, die ihr Geld abziehen, sobald der AIA mit der Schweiz in Kraft ist. Interessanterweise fliessen viele dieser Gelder in die USA.

Welche Rolle spielt der Heimmarkt für die LGT Bank Schweiz?

Die Schweiz ist mit einem Kundenanteil von mehr als 25 Prozent nach wie vor sehr wichtig für uns. Diesen Anker wollen wir behalten. Die Schweizer Kundschaft gehört zu unserer DNA. Und weil das Onshore-Geschäft nicht dieselben Wachstumsraten wie manche Märkte im Ausland aufweist, sind gute Kundenberater umso mehr gefragt.

«Das ist keine Floskel»

Mit unserem Angebot, dem Support und unserer Firmenkultur können wir mit jeder Grossbank mithalten. Stabilität im Management, in der Organisation – das ist heutzutage für viele Angestellte wichtig, die genug haben vom permanenten Wechsel im Management mancher Banken. Wir versuchen zuzuhören, gegenüber unseren Mitarbeitenden wie auch gegenüber unseren Kunden. Das ist keine Floskel. Wir machen das systematisch.


Heinrich Henckel 160Heinrich Henckel ist seit April 2013 Chief Executive Officer (CEO) der LGT Bank (Schweiz). Er studierte an der Universität Freiburg Rechtswissenschaften promovierte dort auch. Nach mehreren Jahren Anwaltstätigkeit in Hongkong, Indonesien und in der Schweiz war er bei der Schweizer Börse in Zürich und London tätig, 2001 bis 2008 als deren CEO. Im Frühling 2009 stiess Henckel zur LGT, wo er zunächst als Mitglied der Geschäftsleitung für die Schweizer Standorte der LGT und Kunden aus Westeuropa verantwortlich war. Die LGT Bank (Schweiz) beschäftigt gut 500 Personen und verwaltet Vermögen in der Höhe von rund 35 Milliarden Franken.