Mit der Ukraine-Konferenz von nächster Woche rückt Lugano ins internationale Scheinwerferlicht. Der Anlass ist ein Meilenstein in einer Entwicklung, die mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie begonnen hat und dem drittgrössten Finanzplatz der Schweiz nun zu neuer Dynamik verhilft.

Für einmal wird die Welt nicht gebannt nach Davos blicken, wo alljährlich das Weltwirtschaftsforum (WEF) stattfindet, sondern nach Lugano. Zumindest Anfang nächster Woche, wenn die Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine dort stattfindet und eine Vielzahl von internationalen Politikerinnen und Politikern erwartet werden.

Es ist müssig, darüber zu debattieren, ob die wirklich Mächtigen dieser Welt dem Anlass ihre Aufwartung machen werden oder nicht. Fest steht indessen, dass sich Lugano damit weit über die Schweizer Landesgrenzen hinaus profilieren kann. Der Finanzplatz ist auch ein Treiber dafür.

Nach Steueramnestien in tiefen Dornröschenschlaf gefallen

Die «Ukraine Recovery Conference» ist eigentlich bloss ein Mosaiksteinchen in einem Gesamtwerk, das seit gut zwei Jahren an Konturen gewinnt. Das Tessin, Jahrzehnte lang vor allem die Sonnenstube der Schweiz, Sehnsuchtsort für unzählige Deutsche und eine Region, die mit ihrer Grenze zu Italien immer wieder auch für Schlagzeilen in Sachen Warenschmuggel und Geldwäscherei sorgte, verfiel vor rund 15 Jahren in einen tiefen Dornröschenschlaf. Unvorstellbar damals, dass eine internationale Konferenz wie der zweitägige Anlass von nächster Woche ausgerechnet im kriselnden Lugano abgehalten worden wäre.

Steueramnestien der italienischen Regierung, eine schlechte Verkehrsanbindung an die umliegende Welt, die fortschreitende Globalisierung, aber auch mangelndes Selbstbewusstsein unter vielen Entscheidungsträgern aufgrund einer grassierenden Miss- und Vetternwirtschaft in der Region führten in ihrer Summe dazu, dass das Tessin und vor allem Lugano ins Hintertreffen gerieten.

Erst die Corona-Pandemie, die das Tessin – aufgrund der Nähe zu Italien – zunächst am stärksten in der Schweiz heimsuchte, löste einen Wandel aus und führte zu einer Rückbesinnung auf eigene Wurzeln, auf das Unmittelbare, das als sicher, solid und zuverlässig gilt. Am eindrücklichsten offenbarte sich dies in der Hotellerie.

Hotelier des Jahres aus Lugano

«Dominierten in der Vergangenheit internationale Gäste unsere Kundenstruktur, änderte sich dies mit dem Beginn der Pandemie schlagartig», sagt Giuseppe Rossi, General Manager im Luxushotel Splendide Royal in Lugano. «Plötzlich begrüssten wir Gäste aus der ganzen Schweiz in unserem Haus, namentlich aus der Romandie, die zuvor kaum den Weg bis ins Tessin gefunden hatten», stellt Rossi fest, der vor kurzem zum Schweizer Hotelier des Jahres gekürt wurde. Zweifelsohne eine nützliche Auszeichnung, um auch kommende Woche Europas Politiker-Elite zu begrüssen.

01 Organisationskomitee Comité dorganisation EHMA Lugano1

Tessiner Hoteliers arbeiten enger zusammen (Bild: EHMA)

Die Zeit der Pandemie nutzten in Lugano noch andere Hotels, um sich auf eine veränderte Situation einzustellen. Das im Stadtkern gelegene Businesshotel Dante modernisierte seine Zimmer und erweiterte seine Konferenzmöglichkeiten, wie General Manager Carlo Fontana im Gespräch betont. Vor dem Hintergrund einer Welt im Umbruch beschlossen die Top-Hotels der Stadt auch eine engere Zusammenarbeit (Bild oben), die auch darin mündete, dass die European Hotel Managers Association (EHMA) ihren Jahreskongress im vergangenen März in Lugano abhielt. Mit mehreren Hundert Teilnehmenden ist es das grösste Branchentreffen der Hoteldirektoren von Fünfstern-Häusern in Europa.

Subtropischer Park direkt am Luganersee

Auch dies ein Indiz dafür, wie sich Lugano Schritt für Schritt auf dem internationalen Parkett zurückmeldet. Dem pflichtet Massimiliano Ferrara bei, der seit vier Jahren die Tagesgeschäfte im Grand Hotel Villa Castagnola in Lugano führt. In Lugano selber gilt das Haus mit einer 135-jährigen Tradition als eine der ersten Adressen für wohlhabende Personen und nächste Woche auch für Politikerinnen und Politiker. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Anlage einst das Zuhause einer russischen Adelsfamilie war; 1885 wurde sie in ein Hotel umgebaut. Das Fünf-Sterne-Haus liegt diskret in einem weitläufigen, subtropischen Park direkt am Luganersee.

Die Villa Castagnola ist bis heute ein Familienbetrieb und versteht sich tatsächlich als Villa. «Das heisst: Bei uns wird man wie ein privater Gast von der Besitzerfamilie betreut und umsorgt. Gäste spüren diese familiäre Atmosphäre, aber die Angestellten auch, von denen einige seit vollen 35 Jahren hier arbeiten», betont Ferrara. im Gespräch.

Giftiger Cocktail

Die Luxushotellerie dient immer auch als Gradmesser dafür, wie sich ein Finanzplatz entwickelt, zieht ein solcher doch im positiven Fall sehr viele vermögende Menschen aus aller Welt an. Das trifft insbesondere auf Lugano zu. Nach dem Boom in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren, als vor allem viele Italienerinnen und Italiener ihre Vermögen aus Sicherheits- und auch aus steuerlichen Überlegungen in die nahgelegene Schweiz gebracht hatten, stürzte der Finanzplatz 2008/2009 in seine grösste Krise; ausgelöst durch die globale Finanzkrise, Steueramnestien Italiens, dem Automatischen Informationsaustausch (AIA), dem sich die Schweiz anschloss, und dem bis heute verwehrten Marktzugang für Finanzdienstleistungen in der EU, namentlich nach Italien.

Dieser giftige Cocktail, der darin kulminierte, dass die Schweizer Fluggesellschaft Swiss im Herbst 2019 auch noch ihre Linienflüge ab Lugano-Agno einstellte, isolierte das Tessin vollends vom internationalen Jetset. Seither dauert eine Zugsfahrt von Lugano nach Genf rund fünf Stunden.

Neues Verständnis zwischen Nord und Süd

Die eigentliche Trendumkehr fand im September 2020 mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels zwischen Bellinzona und Lugano statt, der die Reisezeit zwischen Zürich und Lugano auf weniger als zwei Stunden reduziert hat. Diese verkehrstechnische Verbesserung hat Wunder bewirkt und zu einem neuen Verständnis zwischen dem Norden und Süden der Schweiz verholfen.

Diverse Tessiner Finanzinstitute, wie die unabhängigen Vermögensverwalter Crossinvest oder Colombo Wealth haben ihre Kapazitäten in der Limmatstadt deutlich ausgebaut. Unlängst fusionierten der Asset Manager Zest mit der auch in Zürich ansässigen LFG Holding und der Tessiner Vermögensverwalter Pentagram Wealth Management mit der Zuger Investment-Boutique Woodman Asset Management. Neu in Zürich ist seit kurzem auch der Tessiner Vermögensverwalter Copernicus Wealth Management.

Auch die Banken sind nicht untätig geblieben. Häuser wie Julius Bär, Vontobel, Syz oder Reyl halten an einer starken Präsenz in der Südschweiz fest. Ein gutes Beispiel ist auch die BIL (Suisse).

Die Banque Internationale à Luxembourg (BIL) gehört heute zwar zur chinesischen Legend Holdings und beruft sich auf ihre europäischen Wurzeln, operiert allerdings in der internationalen Vermögensverwaltung vornehmlich aus der Schweiz heraus. Neben Zürich und Genf spielt Lugano eine wichtige Rolle: In der Südschweiz profiliert man sich mit einem rund zehnköpfigen Team vor allem unter (Jung-)Unternehmern, wie Sascha Wullschleger, BIL-Chef in Lugano, im Gespräch mit finews.ch betont.

Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmer

Die Bank ist dabei nicht nur in der klassischen Vermögensverwaltung aktiv, sondern auch im Bereich von Finanzierungen, kleinen und mittleren Kapitalmarkttransaktionen und im Immobilienbereich tätig – in Segmenten, die für andere Finanzinstitute entweder zu unbedeutend oder zu gross sind. Mit der Bilanzsumme des Mutterhauses in Luxemburg im Rücken ist die BIL (Suisse) im Stande, eine Vielzahl von Transaktionen zu stemmen.

Der Fokus auf (Jung-)Unternehmer kommt nicht von ungefähr. In einer medial weltweit geschickt verbreiteten Kampagne gab Lugano im vergangenen Frühjahr seinen «Plan B» bekannt, wie auch finews.ch berichtete. Damit hat sich die Stadt zum Ziel gesetzt, Europas führende Blockchain-Metropole zu werden.

Crème de la Crème der Finanztechnologie

Realisieren wollen dies die Behörden über eine enge Zusammenarbeit mit der in Hongkong ansässigen Technologiefirma Tether, die den gleichnamigen Stablecoin (USDT) herausgibt. In diesem Umfeld wurden bereits zwei Fonds mit insgesamt mehr als 100 Millionen Franken an Eigenmitteln geäufnet, die dazu dienen sollen, Firmen und Startups aus dem (Finanz-)Technologiebereich nach Lugano zu holen, wo sie in einem neuen Cluster oder Hub Innovationen entwickeln sollen; ausserdem sollen mit den Mitteln Studentinnen und Studenten vor Ort in neuen Technologien verstärkt ausgebildet werden. Gleichzeitig haben sich die Stadtbehörden dazu verpflichtet, dass die Menschen in Lugano viele Dienstleistungen künftig auch mit digitalen Vermögenswerten wie Bitcoin, Ethereum, Tether oder Luga, begleichen können. Die ganze Initiative ist zumindest landesweit einzigartig und rückt den Finanzplatz von einst in ein neues Licht.

Welche Sogwirkung diese Bestrebungen bereits zeitigen, zeigte sich, als die BIL (Suisse) im vergangenen April eine Konferenz namens «Decentralized Lugano» veranstaltete. Dabei ging es um Themen wie DeFi, Metaverse und Web 3.0; kein Geringerer als der Miterfinder von Ethereum, Gavin Wood, erwies diesem Anlass seine Ehre. Ähnliches dürfte sich im kommenden Oktober wiederholen, wenn Tether und die Stadt Lugano zu ihrem «Plan B Forum» einladen werden – erneut wird sich die Crème de la Crème der Finanztechnologie von morgen ein Stelldichein geben.

Erstes E-Kursschiff der Schweiz

Gut möglich, dass einige Tagungsteilnehmende auch eine Schiffsfahrt auf dem Lago di Lugano unternehmen werden. Dabei ist die Chance gross, dass sie auf dem Kursschiff MN Ceresio 1931 fahren werden; seit September 2021 ist es das erste vollelektrisch betriebene Kursschiff in der Schweiz, dem weitere folgen sollen. Auch damit unterstreicht der Kanton Tessin, in der neuen Welt angekommen zu sein.

An der neu gewonnenen Attraktivität der Region findet mittlerweile auch Italien wieder Gefallen; der mächtige Generali-Konzern wartet bloss noch darauf, das grüne Licht von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) respektive eine Lizenz zu erhalten, um mit dem Betrieb der Banca Generali in Lugano loszulegen. Der italienische Finanzkonzern Intesa Sanpaolo wiederum übernahm im Herbst 2020 die Mehrheit an der Schweizer Privatbank Reyl, die nun auch von Lugano aus zum internationalen Brückenkopf für das weltweite Private Banking auf- und ausgebaut werden soll.

Erste grosse Metaverse-Konferenz

Einer, der schon lange auf dem Finanzplatz Lugano aktiv ist, heisst Riccardo Esposito. Der frühere Banker unterhält heute ein Personen-Netzwerk namens Finlantern, über das er regelmässig Konferenzen für die Finanzbranche veranstaltet. Im vergangenen Monat organisierte er mit dem MetaForum die erste grosse Metaverse-Konferenz hierzulande.

Dass diese in Lugano stattfand, begründet er folgendermassen: «Wir glauben fest an das Potenzial und die Attraktivität der Stadt Lugano, seit sie sich zum Ziel gesetzt hat, die führende Blockchain-Metropole Europas zu werden. Ausserdem liegt Lugano ideal zwischen den beiden grossen Finanzzentren Zürich und Mailand, wo alle Megatrends früher oder später ihren Niederschlag finden. Vor diesem Hintergrund war es für uns klar, das MetaForum in Lugano anzusiedeln», sagt er gegenüber finews.ch.