Am 1. Juli 2022 jährt sich zum 25. Mal die Übergabe Hongkongs als ehemalige britische Kolonie an das chinesische Mutterland. Der neue Regierungschef, John Lee, muss die Stadt als globales Finanzzentrum wiederbeleben.

Am Freitag ist John Lee als neuer Regierungschef Hongkongs vereidigt worden. Damit endet die fünfjährige Amtszeit der derzeitigen Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam. Für die Stadt war es die vielleicht turbulenteste Periode seit der Übergabe an die Briten im Jahr 1997.

Ihr Nachfolger wird sich mit einer Vielzahl von Themen zu befassen haben. Die Wunschliste reicht von der Eindämmung der hohen Immobilienpreise bis hin zu einer stärkeren Integration mit dem chinesischen Festland. Für den Finanzsektor ist die Richtlinie von Bedeutung, mit der die Wettbewerbsfähigkeit Hongkongs als globales Drehkreuz konsolidiert und verbessert werden soll.

Bedrohte Freiheiten und Wohlstand

Im Zentrum steht aber auch der von China ausgehende politische Druck auf die Bevölkerung. Ihre Freiheiten wurden inzwischen unter anderem mit dem Erlass eines strengen Sicherheitsgesetzes beschnitten. Seitdem werden Anführer von Protestbewegungen inhaftiert oder flüchten ins Exil.

Als Reaktion auf die Einführung des Sicherheitsgesetzes hatte London die Visa- und Aufenthaltsbestimmungen für Menschen aus Hongkong erleichtert, die vor der Übergabe geboren wurden. Nach Angaben von Premierminister Boris Johnson wurden bereits 120'000 Anträge zur Einreise in Grossbritannien gestellt. Diese Signale lässt auch die ausländische Wohnbevölkerung nicht unberührt, die sich Fragen zur künftigen Attraktivität und dem Status von Hongkong stellt.

Nachdem Hongkong am 1. Juli 1997 an die Volksrepublik zurückgegeben worden war, wurde es unter dem Grundsatz «Ein Land, zwei Systeme» regiert. Zudem erhielten die sieben Millionen Hongkonger seinerzeit die Zusage, bis 2047 ein hohes Mass an Autonomie zu geniessen. Zum 25. Jahrestag ist vieles anders.

Ein langer Kampf

Als einstiger Sicherheitschef der früheren britischen Kronkolonie war Lee massgeblich für die Niederschlagung der pro-demokratischen Bewegung verantwortlich.

Die Anti-Regierungsbewegung in den Jahren 2019 und 2020 markierte eine neue Ära für Hongkong. Damals wurden Massenproteste ausgelöst, nachdem ein äusserst unpopuläres Auslieferungsgesetz, das schliesslich zurückgezogen wurde, zu stadtweiten Unruhen geführt hatte. Dies löste nicht nur die erste Abwanderungswelle von Einheimischen und Ausländern aus, sondern gipfelte auch in der beispiellosen Verhängung von US-Sanktionen gegen Beamte in Hongkong und der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes zur nationalen Sicherheit.

Der 64-jährige Lee hat neben zivilen Unruhen und geopolitischen Spannungen auch mit der Covid-Pandemie zu kämpfen. Hongkong verfolgt eine strikte Null-Covid-Politik nach dem Vorbild des Festlands, was die Abwanderung von Talenten noch verstärkte. Auch die Geschäftswelt ist besorgt: Unternehmen aus verschiedenen Branchen verlagerten ihre Spitzenkräfte und erstellten Notfallpläne.

Abwanderung in der Vermögensverwaltung

Die in Hongkong ansässigen Privatbanken waren in dieser turbulenten Zeit einer der am meisten herausgeforderten Finanzakteure. Bereits 2019 gab es besonders bei sehr vermögenden Privatpersonen und Family Offices erste Anzeichen.

Eine wachsende Zahl von Kunden, die sich traditionell auf die Region Greater China konzentrierten, suchte nach Alternativen in anderen Regionen. Die J.P. Morgan Private Bank beispielsweise richtete im selben Jahr von Singapur aus eine China-Abdeckung ein, um Vermögen im Zusammenhang mit chinesischen Unternehmen zu erfassen, die ihren internationalen Hauptsitz im Stadtstaat ansiedeln. Ende 2020 kündigte die Bank an, dass sie die Grösse des Teams innerhalb von zwei Jahren weiter verdoppeln werde.

Sehr stark eingeschränkt

Und selbst die Betreuung von vermögenden Privatpersonen wurde wegen den strengen Covid-Regeln für die Privatbanken schwieriger, da zum Beispiel Geschäftsreisen eingeschränkt wurden.

«Die Kundenakquise war schwierig. Wir als Team reisen aufgrund der Beschränkungen nur selten», sagte ein erfahrener Privatbankier, der die nordasiatischen Märkte abdeckt, gegenüber finews.asia. «Ich muss sagen, dass unsere Möglichkeiten, uns potenziellen Kunden vorzustellen, in den letzten zwei Jahren sehr stark eingeschränkt wurden, insbesondere in Hongkong. Ehrlich gesagt waren fast alle neuen Kunden, die wir gewonnen haben, Empfehlungen von bestehenden Kunden oder Partnern wie Anwaltskanzleien oder Treuhändern.»

Einbruch bei Handel und Börsengängen

Die Null-Covid-Politik hat auch zu schwächeren Märkten in Hongkong und China beigetragen. Die Auswirkungen der gedämpften Anlegerstimmung spürten die Privabanken direkt. Laut der 2021 AUM League Table von finews.asia verzeichneten die zehn grössten Privatbanken der Region das seltene Ereignis einer Schrumpfung der verwalteten Vermögen. Der Rückgang von 1,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr war auf eine massive Risikoreduzierung zurückzuführen. Hongkong war besonders betroffen, nicht nur wegen der geringeren Kundenakquise, sondern auch wegen seiner Infrastruktur für aktive Handelskunden.

Die Auswirkungen der schwächeren Märkte erstrecken sich auch auf die Investmentbanken in Hongkong. Wie finews.asia berichtete, nahmen die Personalabgänge von Unternehmen wie Credit Suisse und Deutsche Bank zu. Bis Ende Mai wurden an der Hongkonger Börse rund 17 Milliarden HK-Dollar (2,2 Milliarden Dollar) durch Börsengänge eingenommen – ein Einbruch von 91 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Eine PwC-Schätzung geht davon aus, dass sich Hongkong in der zweiten Jahreshälfte erholen und im Gesamtjahr 331,7 Mrd. HK-Dollar aus 99 Transaktionen einnehmen könnte, was einem Rückgang von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Keine Gewissheiten

Trotz der zahlreichen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, ist das Schicksal Hongkongs alles andere als sicher.

Kurzfristig könnte es durch die Lockerung der mit dem Corona-Pandemie verbundenen Beschränkungen zu einer deutlichen Erholung kommen. Der neue Gesundheitsminister der Lee-Regierung, Lo Chung-mau, erklärte gegenüber «SCMP», dass die Regierung Optionen für eine Wiedereröffnung abwäge, darunter die Möglichkeit, die Quarantäne für Reisende von sieben Tagen in einem Hotel auf fünf Tage plus zwei Tage Quarantäne zu Hause zu lockern.

Und auf lange Sicht hat die Geschichte bewiesen, dass das, was in der Gegenwart als offensichtliche und populäre Vorhersage erscheint, in der Zukunft nicht unbedingt eintritt.

«Es stellt sich die Frage nach den globalen Finanzzentren. Verschieben sie sich, wenn sie um Geld, Talente und Unternehmen konkurrieren? Werden wir mit der Wiedereröffnung Hongkongs einen Aufschwung erleben oder wird es im Laufe der Zeit in der Rangliste weiter abfallen?», fragte Mark Matthews, der Research-Chef von Julius Baer für asiatische Märkte, in einem kürzlich durchgeführten Webinar.

«Ich weiss es nicht. Aber ich weiss, dass die Gewissheiten von heute oft die historischen Kuriositäten von morgen sind. Zum Beispiel waren 1,2 Quadratkilometer des Kaiserpalastes in Tokio in den 1980er-Jahren mehr wert als der gesamte Staat Kalifornien. Im Nachhinein erkennen wir, dass dies enorm überbewertet war.»

(Titelbild: Hongkong, Simon Zhu, Unsplash)

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