Die Ökonomen sind sich einig, dass die Europäische Zentralbank am Donnerstag die Zinsen erneut anheben muss. Das wird den Druck auf die Schweizerische Nationalbank erhöhen, im Dezember nochmals einen grossen Schritt zu machen. Wird das gut gehen?

Mit ihrer Zinserhöhung im vergangenen September beendete die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Phase der Negativzinsen. Damit dauerte es fast acht Jahre, bis auf Einlagen wieder Geld bezahlt wurde, nachdem die Leitzinsen im Dezember 2014 ins negative Terrain gedreht hatten. Das war rund einen Monat vor der Aufgabe des Mindestkurses von 1.20 Franken zum Euro.

Das SNB-Präsidium hat in den vergangenen Jahren einen starken «track record» begründet, wenn es darum ging, mit ihren Entscheidungen die Märkte zu überraschen. Mindestkurs-Einführung und -Aufgabe sind hierfür nur die auffälligsten Beispiele.

Völlig unerwartet

Auch die erste Anhebung des Leitzinses um gleich kräftige 50 Basispunkte im Juni war so von den Märkten nicht erwartet worden. Allgemein hatte man damit gerechnet, dass die SNB aus Rücksicht auf den Franken-Euro-Wechselkurs erst die Zinserhöhung der EZB abwartet, bevor sie selbst die geldpolitischen Zügel anzieht. Doch die SNB nahm lieber eine deutliche Frankenaufwertung in Kauf als eine sich weiter beschleunigende Inflation.

Die Gründe für das «Vorpreschen» der SNB liegen auf der Hand und lassen sich auch aus den monatlichen Berichten zur Konsumentenpreisentwicklung des BFS ablesen. Die Schweizer Inflation, zuletzt 3,3 Prozent, stammt zum überwiegenden Teil aus dem Import. Während sich die eingeführten Waren und Dienstleistungen im Jahresvergleich um 7,8 Prozent verteuert haben, hat der Preisanstieg bei den Inlandgütern verhaltene 1,8 Prozent betragen.

Auf und ab zum Franken

Auch die jüngsten Zahlen der Produzentenpreise weisen mit einem Anstieg um 5,4 Prozent beim Preisniveau des Gesamtangebots von Inland- und Importprodukten auf eine weiter anziehende Inflation in der Schweiz hin.

In den vergangenen Monaten konnte dabei der starke Franken noch wie eine Barriere gegen die überbordende Inflation rund um die Schweiz herum wirken. Notierte der Euro zu Jahresbeginn noch bei 1.04 Franken, ging es im Tief im September bis auf knapp über 0.94 Franken hinab. Das war eine Abwertung um 9,5 Prozent. Vom Tief ausgehend hat sich die Gemeinschaftswährung zum Franken seitdem wieder um rund 5 Prozent erholt.

Lohn-Preis-Spirale dreht

Während die Inflation zwar auch in der Schweiz über dem Inflationsziel der Notenbank von zwei Prozent liegt, sieht sich die EZB unter deutlich stärkerem Druck. In der gesamten Eurozone betrug die Teuerung zuletzt 9,9 Prozent. In Ländern wie Deutschland, Frankreich und Italien dreht sich bereits die Lohn-Preis-Spirale in vollem Tempo.

Hohe Gehaltsforderungen und Streiks, bei zumeist noch vergleichsweise geringen Arbeitslosenquoten, dürften auch in den kommenden Monaten auf die Preise wirken, selbst wenn es bei den Energie- und Stromkosten zu einer Entspannung kommen sollte.

SNB unter Zugzwang

Den EZB-Ratsmitgliedern um EZB-Präsidentin Christine Lagarde wird also kaum eine Wahl bleiben, als erneut die Zinsen um mindestens 75 Basispunkte anzuheben. Auch an der letzten Sitzung des Jahres Mitte Dezember dürfte ein weiterer Schritt folgen.

Bei der SNB hiess es im September: «Es ist nicht auszuschliessen, dass weitere Zinserhöhungen nötig sein werden, um die Preisstabilität in der mittleren Frist zu gewährleisten.» Angesichts der Preisentwicklung um die Schweiz herum wird jedoch auch der SNB  im Dezember kaum eine andere Wahl bleiben als die Zinsen erneut um mindestens 50, wenn nicht gar um 75 Basispunkte anzuheben.

Offenes Schleusentor

Der Zinsabstand zur Eurozone darf nicht zu gross werden. Ansonsten könnte aus der Inflationsbarriere Franken bei einer Abwertung ein offenes Schleusentor werden.